Wettrennen

Wettrennen

Wettrennen, so v.w. Wettlauf, bes. das Reiten u. dann auch das Fahren Mehrer nach einem Ziele, wobei dem zuerst am Ziele Anlangenden ein Preis gereicht wird. In Griechenland gehörte das W. u. bes. der Wettlauf (Dromos) zu den öffentlichen Spielen (s.u. Kampfspiele) u. war unter diesen das angesehenste, denn die Olympiaden[144] erhielten stets ihren Namen nach dem Sieger im W. Das W. geschah in einem bes. dazu eingerichteten Platz (Stadion, s. Stadium); an dem Auslaufplatz versammelten sich hinter den Schranken (Balbides) alle Kämpfer; wenn das Zeichen zum Auslaufen gegeben war, fielen jene Schranken u. die Renner liefen zusammen aus. Die Bestimmungen waren verschieden; man lief entweder von den Balbides bis zur Nyssa (dem Ziel, auf der den Balbides entgegenliegenden Seite), u. dies hieß Stadion; od. man lief von den Balbides weg, an der Nyssa vorbei u. bis wieder zu den Balbides (Diaulos, Doppellauf); dieser Doppellauf wurde zuerst 724 v. Chr. angestellt. Ausgezeichnet war der Wettlauf, wenn Einer das ganze Stadium sieben- od. zwölfmal durchlief (Dolichos). Meist machte man diesen Lauf ganz nackt, aber es gab auch ein W. in Waffen (Helm, Schild, Beinschienen), solche Kämpfer hießen Hoplitodromoi; so lief man nur einmal durch die Rennbahn; dieser Lauf war seit 516 v. Chr. gewöhnlich. Außer diesem Wettlauf gab es auch noch das Pferderennen, dazu war eine eigene Bahn (Hippodromos); entweder soll hier ein Mann auf gewöhnliche Weise auf einem Pferde geritten haben u. nach Art der Kunstreiter bald herabgesprungen, dann im Lauf wieder hinaufvoltigirt sein, od. das Pferd ein an einen Wagen geschirrtes, od. so abgerichtet gewesen sein, daß es, ohne daß Jemand darauf saß u. es regierte, selbst zum Ziel lief. Ein solches Pferd hieß Keles (Monampyx, Monippos). In den Olympischen Spielen war dies bes. seit 640 v. Chr. gewöhnlich. Gewöhnlicher war das W. zu Wagen (Wettfahren), wozu man entweder zwei Pferde an den Wagen schirrte (Zeugos), od. ein Viergespann (Tethrippon, Harmata) nahm; aber dieses W. erforderte mehr als gewöhnliche Mittel, u. meist konnten nur Fürsten od. sehr reiche Privatleute solche Gespanne zu W. stellen. Die Lenker solcher Gespanne (Heniochoi) waren nicht die Herren selbst, sondern von denselben gewählte angesehene Jünglinge od. Freunde, welche sich in dieser Kunst geübt hatten. Nach erlangtem Siege wurden sie oft von den Eigenthümern der siegenden Gespanne auf der Stelle beschenkt. Selbst W. mit Maulthiergespannen (Apenä) wurden angestellt. Ganz nach Art der griechischen W. waren die W. bei den Etruskern, man kämpfte meist mit Viergespannen. Aus Etrurien ließen sich nachher die Römer ihre Pferde u. Wagen zu W. kommen, so wie Etrusker selbst an den W. in Rom Antheil nahmen. Bei den Römern waren blos Wettreiten u. Wettfahren (Cursus equestris) bei den Circensischen Spielen in dem Circus (s.d.) gebräuchlich; die Reiter ritten entweder auf einem Pferde (Singulatores), od. hatten zwei, so daß sie im Reiten von dem einen auf das andere sprangen (Desultores). Zum Wagenrennen nahm man kleine, leichte, mit niedrigen Rädern versehene, mit zwei od. vier Pferden bespannte Wagen; die Lenker (Aurigae, Agitatores) waren Leute, welche ein besonderes Geschäft aus dieser Kunst machten u. von den Wagenbesitzern dazu gedungen wurden; später führten die Besitzer auch ihre Gespanne selbst. Die Wettkämpfer stellten sich in eine Reihe an die durch das Loos bestimmten Plätze in die Schranken (Carceres) des Circus; diese waren geschlossen mit einer Kette od. einem Seil, welches an zwei kleinen Hermen (daher Hermulae genannt) befestigt war u. nach gegebenen Zeichen zum Auslaufen herabgelassen wurde. Das W. bestand in 24 Missus (11/2 deutsche Meile u. in 1 Stunde zu vollenden) u. jeder Missus in 7 Spatia (Umläufen um die Metae). Wer einen Missus zuerst endigte, sprang auf die vordere Meta, wo er den Siegespreis, z.B. einen Palmzweig, einen Kranz, erhielt, gemiethete Lenker bekamen eine Geldsumme. Die Lenker trugen ein kurzes ärmelloses Gewand, Binden um den Leib u. eine Kopfbedeckung, alles von gleicher Farbe; um die Hände zum Antreiben der Pferde frei zu haben, banden sie die Zügel um den Leib. Gewöhnlich fuhren vier Gespanne auf einmal ab, deren Lenker jeder mit einem andersfarbigen Gewande bekleidet war, denn es waren bei den römischen W. vier Parteien (Factiones): mit weißen (Factio albata), mit lauchgrünen (F. prasina), mit röthlichen (F. russata), mit himmelblauen Kleidern (F. veneta). Vor Alters soll es nur zwei solcher Factionen, u. zwar die Grünen u. die Blauen, gegeben u. solche schon in den Olympischen Spielen bestanden haben; aber schon Romulus führte deren nach der Sage vier ein, zu denen Kaiser Domitianus noch zwei, die gelben (F. aurata) u. purpurfarbene (F. purpurea), hinzufügte, welche aber nach seinem Tode wieder wegfielen. Von jenen Parteien waren die Grünen u. Blauen die Hauptparteien, u. die Weißen Collegen der Grünen u. die Rothen Collegen der Blauen. Die Zuschauer trugen auch die Farbe der von ihnen begünstigten Partei, u. selbst die Kaiser mischten sich in jene Parteisache. In Constantinopel, wo die W. ganz auf römische Weise gehalten wurden, erhielten die Factionen in der Rennbahn politische Bedeutung, denn die Anhänger der verschiedenen Factionen waren Feinde, so daß die Grünen die Blauen u. umgekehrt oft schaarenweise mordeten. 532 gerieth über einen Aufruhr der Grünen fast ganz Constantinopel in Flammen u. 3000 Veteranen mußten einrücken, um den Aufruhr zu stillen; 30,000 Grüne fielen hierbei. In neuerer u. neuester Zeit ist das W. zu Fuß etwa nur noch bei Turnübungen gewöhnlich; dagegen hat das W. zu Pferde einen großen Aufschwung u. weite Verbreitung gewonnen, namentlich von England aus, wo dasselbe schon von den Römern eingeführt, aber erst unter König Heinrich II. im 12. Jahrh. ausgebildet wurde. Die vorzüglichsten der jährlich im Herbst od. Frühling in fast allen Grafschaften abgehaltenen W. sind die zu Ascot, Derby, Epsom u. Newmarket. Von hier sind sie bes. als Beförderungsmittel der edeln Pferdezucht nach Frankrrich, Norddeutschland u. Rußland gekommen, auch in Süddeutschland werden dergleichen gehalten u. sind fast allenthalben nach englischem Muster eingerichtet u. W. zu Wagen damit verbunden. Die Beschreibung derselben s. als Nachtrag am Ende dieses Bandes.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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