Agriculturchemie

Agriculturchemie

Agriculturchemie (Ackerbauchemie), eine der wissenschaftlichsten Grundlagen für die gesammte Theorie des Ackerbaues; sie hat zwar erst seit noch nicht zwei Jahrzehnden eine wissenschaftliche Gestalt gewonnen u. steht noch keineswegs als vollendete Wissenschaft da, allein in Verbindung mit der Pflanzenphysiologie, lehrt sie doch schon unter Berücksichtigung verschiedener Gewächse den Bau der Culturpflanzen mehr beherrschen, als dies früher jemals der Fall war. Man ist gegenwärtig schon im Stande, unter Berücksichtigung der physikalischen u. chemischen Beschaffenheit des Ackerbodens, des Klimas, der Lage des Feldes, der verschiedenen Düngemittel etc. dem Boden die zum günstigsten Anbau verschiedener Gewächse erforderliche chemische Beschaffenheit zu geben. Die A. gibt Aufschluß über den Einfluß der atmosphärischen Luft, namentlich des Sauerstoffs, der Kohlensäure, des Ammoniaks u. des Wassers auf die Ernährung der Pflanzen, sie lehrt die Wirkung des Lichtes, der Warme u. der Elektricität auf die Vegetation näher kennen, erklärt die Entstehung u. die Beurtheilung der Ackerkrume, macht bekannt mit den Resultaten der chemischen Untersuchung des Bodens, der Vegetabilien, der Pflanzenarten u. der Düngerarten, erklärt die Bedeutung der Brache u. der Wechselwirthschaft, so wie den Einfluß der verschiedenen Düngerarten für die vortheilhafteste Benutzung des Bodens zum Anbau der Culturpflanzen, lehrt die Bedingungen des Wachsthums, des Fettwerdens u. der Fortpflanzung der Zuchtthiere etc. Der Einfluß der Chemie auf die Landwirthschaft äußert sich aber auch dadurch vortheilhaft, daß man mit ihrer Hülfe mehrere mit der Landwirthschaft in engster Beziehung stehende Gewerbe einzurichten od. zu verbessern vermag, wie z.B. die Bierbrauerei, Branntweinbrennerei, Essigfabrikation, die Bereitung von Butter, Käse, Milchzucker, Stärke u. Stärkezucker, die Brodbäckerei, Seifensiederei, Oelraffinirung, das Kalk- u. Gypsbrennen, die Theerfabrikation etc. Die Aufgabe der A. wird gelöst dadurch, daß man den Grund des Entstehens u. Vergehens des Organischen, also den sogenannten Stoffwechsel in der organischen Natur, kennen zu lernen sucht; dann sich genaue Kenntniß von der Nahrung der organisirten Wesen verschafft; ferner die chem. Beschaffenheit der Nahrungsmittel u. Nahrungsquellen u. ihre zweckmäßige Benutzung ermittelt; endlich diejenigen chem. Processe kennen lernt, durch welche die landwirthschaftlichen Naturproducte in solche Kunstproducte verwandelt werden, welche, je nach der Örtlichkeit, am zweckmäßigsten verwerthet werden können. Die Zwecke der A. werden in neuerer Zeit durch landwirthschaftliche Akademien u. Lehranstatten, durch Vorträge über A. auf Hochschulen, durch Agriculturchemische Versuchsstationen befördert. Die letzteren sind Versuchsanstalten für alle Zweige der Landwirthschaft, sich stützend auf die rationelle Erfahrung u. auf die Naturwissenschaft, Werkstätten zur Fortbildung der naturwissenschaftlichen Grundlage der Landwirthschaft u. der mit ihnen in Verbindung stehenden technischen Gewerbe, Belehrungs- u. Erkundigungsbureaus für die landwirthschaftliche Praxis der Umgegend. Sie betreiben ihr Forschen u. Versuchen in u. mit der landwirthschaftlichen Praxis, durch u. für dieselbe u. ordnen es zugleich planmäßig. Die Hülfsmittel der Versuchsstationen bestehen in einem Landgute, einem Versuchsfelde, Versuchsthieren, einem chemischen Laboratorium. Leiter der Anstalt sind ein Chemiker, der zugleich ausreichende Kenntnisse von der Physiologie u. den technischen Gewerben hat, u. ein praktischer Landwirth.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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