Afghanistan

Afghanistan

Afghanistan (Ostpersien, nach seinem wichtigsten Theile Kabulistan genannt). I. (Geogr.), Land in Asien, gehört zu dem großen Hochflächenland Iran; es wird begrenzt im Norden von Kaschgar u. Badakschan, im Nordwesten von Turkestan, im Osten von dem Indus u. dem ostindischen Reiche, in Süden von Beludschistan u. im Westen von Persien; erstreckt sich vom 29. bis 35. Grade nördl. Br. u. vom 62. bis 73. Grade östl. Länge (v. Greenw.) u. umfaßt 12,000 (10,000,16,000) QM. Gebirge: A. ist Alpenland, da vom Hindukusch aus (unter 35 Grad nördl. Br. ungefähr) das Solimanigebirge längs dem rechten Ufer des Indus bis zu dessen Mündung hinläuft u. zum Theil aus hohen Schneebergen (Salomonsthron 12,800 Fuß hoch) besteht; außerdem sind noch der Paropamisus, Brahn, Kalabagh, die Keiberkette u. m. a. zu erwähnen. Flüsse: Den südlichen Abfall vom Hindukusch aus bildet das Gebiet des Kabulflusses, der vom Belur u. Hindukusch herabkommend in den Indus mündet: der östliche Abfall führt zum Indus, der westliche ist, ebenfalls von Hindukusch aus, das Stromgebiet des Hirwend (Helwend), welcher 120 Ml. lang u. bis 1200 Fuß breit in den im Südwesten A-s gelegenen Zarahsee (auch Durrah, Hamun, Luth, Aria lacus) fällt. Auch der kleinere Ferra-Rud (Faurah) ergießt sich in diesen See. Nach Norden fließt nur der Heri-Rud (Herat) an der Nordwestgrenze durch den Paropamisus. Die übrigen sind meist Alpengewässer, die nur zuweilen anschwellen. A. hat wegen seiner Alpen u. übrigen Berge in verschiedenen Thälern sehr verschiedenes, heißes, gemäßigtes, kaltes, in der Regel trockenes Klima. Die Wirkung der indischen Monsune reicht nur bis Kandahar. In Kabul steigt der Barometer auf 90–100° F., während im Winter oft 2–3 Monate lang Schnee liegt; Kandahar hat dagegen im Sommer oft eine Hitze von 110°, im Winter nur sehr selten Schnee. Producte: In den Niederungen gedeihen tropische Gewächse, höher hinauf die der gemäßigten u. kalten Zone. Das Land ist reich an schönen Weiden, worauf gute Pferde, Rindvieh, Schafe mit der feinsten Wolle u. Fettschwänzen,[157] feinhaarige Ziegen gezogen werden; das Kameel ist häufig; in den Alpen finden sich Wölfe, Füchse, Bären, aber auch Wild, in den heißen Landestheilen Löwen, Tiger, Hyänen, Leoparden u. Schakals. Der zum Theil mit künstlicher Bewässerung betriebene Acker- u. Gartenbau bringt europäische Getreidearten, Reis, Mohn, Tabak, Assa fötida, Rhabarber, Granaten, Orangen, Wein, Abrikosen, Äpfel, Pflaumen, die schönsten Rosen Asiens, Tulpen, aromatische Kräuter, Indigo, Zuckerrohr, Baumwolle hervor. Man findet da Dattelpalmen u. Rosenwaldungen, aber auch Nadelhölzer; ferner in den Flüssen Spuren von Gold, in den Bergen Silberadern, Kupfer- u. Bleilager, Zink, Eisen, Schwefel, Steinkohle, Steinsalz, Salpeter, echte Türkisse. Die Bevölkerung besteht aus den herrschenden Pochtus (Paschtuns), wie sie sich selbst, Patanen, wie sie die Indier, Solimani, wie sie die Araber, od. Afghanen (d. h. Hochländer), wie sie die Perser nennen, die zum iranischen od. persischen Stamme gehören u. eine eigene Sprache (s. Afghanische Sprache) reden. Man hält sie für Nachkommen der alten Paktyes u. schätzt sie auf 4,300,000 Seelen. Eine untergeordnetere Stellung nehmen die Tadschiks, in Dörfern lebend, ein, deren Sprache ursprünglich persisch ist, ungefähr 11/2 Million; eigentliche Hindus, gegen 2 Millionen, wohnen überall in den Städten zerstreut; Hindki sind Mischlinge von Hindus u. Afghanen; weniger zahlreiche Stämme sind: die Aimaks u. Hazarahs, persisch sprechend, aber tatarischer Abkunft, die Ersteren in tatarischen Zelten, die Anderen in Dörfern lehend. In Kabul u. Herat finden sich Kuzilbaschen (Turkomanen, türkisch u. persisch redend), in Kabul u. Dschelalabad Araber (ungefähr 2000 Familien, die nicht mehr arabisch sprechen); dann hier u. da Mongolen, Kurden, Armenier, Abessinier, Kalmükken, Juden, zum Theil als Sklaven eingeführt; die meisten Sklaven sind jedoch geraubte Kafirs. Die gemeinschaftliche Schrift u. Geschäftssprache ist die neupersische. Eine genaue Angabe der Zahl der Gesammtbevölkerung ist unmöglich; Einige nehmen 5–6, Andere 8 Millionen an. Die Afghanen sind ein wohlgebildeter, geistig befähigter, edler Menschenschlag, mit kräftigen Formen, europäischen Gesichtszügen u. entsprechenden Sitten u. Gebräuchen; die Ost-Afghanen dunkelbraun, den Hindus näher stehend, die West-Afghanen olivenfarbig u. in Allem den Persern ähnlicher. Sie sind der Adel, in ihren Händen ist der große Grundbesitz, daher nur wenige von ihnen in Städten wohnen, keiner ein Gewerbe, Handwerk od. Handelsgeschäft treibt. Einfachheit, Offenheit, Freimüthigkeit in Umgang, Unternehmungsgeist, Gastfreundschaft, Mäßigkeit u. lebendige Spannkraft, Liebe zu Unabhängigkeit, Freiheit des Vaterlandes zeichnen sie aus. Durch Achtung vor den Frauen unterscheiden sie sich vor anderen Orientalen, sie beschäftigen sich mit Literatur, zumeist persischer, da in afghanischer Sprache wenig geschrieben wird. Die Regierungsverfassung beruht auf der Eintheilung der herrschenden Afghanen in Stämme (Uluß); diese bestehen aus Abtheilungen (Dschirgas), welche in kleinere Gemeinschaften od. Gemeinden zerfallen; jeder Stamm hat sein abgesondertes Kreisgebiet, jede Dschirga ihren Bezirk. Mehrere od. alle Uluß stehen unter einem König od. Schah; an der Spitze eines jeden Uluß ist ein Khan, in der Regel vom Schah ernannt od. auch vom Stamme selbst gewählt. Jede Dschirga wählt sich einen Vorstand, ebenso jede Gemeinde. Die inneren Angelegenheiten jedes Uluß leitet der Khan, die geringeren allein, die wichtigeren mit Zuziehung eines aus den Vorständen der Dschirgas bestehenden Rathes od. des ganzen Stammes. Er läßt Kopfsteuern von den Ungläubigen u. Durchgangszölle erheben. Die Gesetzgebung besteht in einem nationalen Gewohnheitsrechte (Puchtunwalla) u. dem Koran. Die Ordnungspolizei verwaltet in den Städten der Sirdar (Militärbehörde); die Wohlfahrtspolizei der Darogha; die Sittenpolizei der Motesib (ein Geistlicher), der zu diesem Zwecke Rundreisen im Lande macht. Die bürgerliche Rechtspflege wird von Kadis besorgt; Verbrecher urtheilt der Schah od. der Khan mit dem Dschirga-Rath unter Beisitz eines Geistlichen ab; Vergehen die Vorstände der Gemeinden. Die öffentlichen Ein nahmen bestehen in Grundsteuern, Kopfsteuern, Zöllen, Domänenrenten, Einkünften des Münzregals, Geldbußen, Kriegsbeiträgen einzelner Stämme; die Ausgaben in der Unterhaltung des Hofes, Heeres, wohlthätigen Anstalten u. in der Besoldung geistlicher u. weltlicher Beamten. Die Heerversassung beruht theils auf Lehnsverhältnissen, theils auf Anwerbung fremder Söldner. Steuerfrei verliehene Güter (Tikul) verpflichten zum Kriegsdienst, der noch bes. bezahlt wird. Jeder Uluß hat ein bestimmtes Aufgebot zum Heere zu stellen, dessen Stärke für Kriegsfälle auf 70,000 Mann geschätzt wird; für dringende Fälle wird eine Art Landwehr, 1/10 der Bevölkerung des Landes, aufgerufen. Der beste Theil ist die Cavallerie, welche 2/3 des Heeres ausmacht, Infanterie u. Artillerie stehen auf tiefer Stufe; ihre Kleidung: hohe konische Mütze, lange Jacke, weite Beinkleider, Maroquinstiefeln; Waffen: lange Flinten, Schwerter, Lanzen od. Äxte. Die Truppen sind schlecht exercirt u. undisciplinirt, aber tapfer. Dem Heere folgt in den Krieg ein großer Troß, selbst die Weiber u. Kinder Mehrerer. Die herrschende Religion ist die mahomedanische nach dem Bekenntnisse der Sunniten, welchem die Afghanen, Tadschiks u. Aimaks anhängen; im Nordwesten u. in der Stadt Herat selbst sind die Kuzilbaschen u. Hazarahs Schiiten, wie die Perser. Die Hindus u. Hindki dürfen ihren Götzendienst üben, jedoch ohne öffentliche Schaustellung; Christen u. Juden werden geduldet. Außerdem gibt es noch 2 indische Secten in A., die der Sufis, welche einem pantheistischen Mysticismus huldigen, u. die der freidenkerischen Mullah-Zuckis, die unter den afghanischen Großen Anhänger hat. Im Ganzen herrscht religiöse Duldung, nur die Schiiten u. Sunniten feinden sich heftig an, was auf die polit. Verhältnisse sehr einwirkt. Die Geistlichen (Mullahs) sind zugleich Schullehrer. In den Städten u. jedem Dorfe sind Schulen, wo Lesen u. die mohamedanische Religion gelehrt wird; die Reichen halten Hauslehrer; auch die wohlhabenden Frauen lernen Lesen. Die Geistlichen beschäftigen sich mit Logik, Theologie, Gesetzeskunde u. bei größerer Bildung mit Ethik, Physik, Metaphysik, Geschichte, Dichtkunst, Medicin. Die Vergnügungen der Afghanen sind Gastmähler, Musik, Pferderennen, Jagd, Waffenübungen.[158] Die Tadschiks sind meist Ackerbauer, auch Händler; die Hindus leben als Kaufleute, Agenten, Mäkler Getreidehändler, Bankiers, Goldschmiede in den Städten; die Araber treiben Ackerbau, die Aimaks Schaf- u. Pferdezucht, die Hazarahs in den rauhesten Gegenden des Landes nur wenig Ackerbau, mehr Viehzucht. Die Kaufleute, Schreiber, Rechnungsführer, Hausverwalter in Herat sind meist Kuzilbaschen. Der Ackerbau bringt 8–11 Proc. dessen, was für Grund u. Boden bezahlt wird, da man in den wärmeren Gegenden, sowie in Indien, zwei Mal erntet. Der Boden wird durch Bewässerung befruchtet, entweder aus fließenden Gewässern, od. durch Wasserräder od. unterirdische Leitungen. Eigenthümlich gebaute Wasser-, Wind- u. Handmühlen liefern das Mehl. Es gibt 32 organisirte Gewerke, jedes mit einem Vorstand an der Spitze, der es der Obrigkeit gegenüber vertritt, in den Städten Silber- u. Goldarbeiter, Juweliere, Siegelstecher, Golddrahtmacher, Seidenspinner, Knopfmacher, Buchbinder, Papier- u. Buchhändler, Weber. Die Fabrikation der Messer, Feuerwaffen u. überhaupt Eisen- u. Stahlwaaren steht noch auf niedriger Stufe. Außerdem werden Lederwaaren, Sattelzeug, Pferdegeschirr, Seidenstoffe, Baumwollenzeuge u. in Kandahar u. Kabul auch Shawls aus feiner Ziegen- u. Schafwolle gearbeitet. Der seit uralten Zeiten hier betriebene Handel vermittelt den Austausch der Waaren zwischen Ostindien einer- u. den nördlich u. westlich von A. gelegenen Ländern andererseits. Die Handelsstraßen führen östlich durch den Keiberpaß, den Gomulpaß u. den Bohanpaß nach Ostindien, südlich durch Beludschistan nach dem indischen Ocean, nördlich über den 15,000 Fuß hohen Kuschanpaß u. nordwestlich auf der Bamianstraße über 8000–13,000 Fuß hohe Bergrücken nach Centralasien, endlich geht westlich eine Straße über die Huzarahgebirge nach Herat u. von da nach Ispahan od. ans Kaspische Meer zur Verbindung mit Rußland. Die Beförderung der Waaren geschieht durch Karawanen von Leuten, die Lohanis heißen; 100,000 Menschen u. 24,000 Kameele sollen dabei beschäftigt sein. Die Einfuhr indischer u. englischer, persischer u. russischer Waaren ist bedeutender als die Ausfuhr. Die hauptsächlichsten Gebiete A-s sind: a) der nördliche u. östliche Theil Khorasans, welches im Übrigen zu Persien gehört, auch Herat genannt, mit den Hauptorten Herat, Mesched, Nischabur, Nisa am Tedschansluß; b) Kabul, mit der Hauptstadt gleiches Namens; c) Kandahar, mit der gleichnamigen Festung am Fluß Hir u. der Stadt Nagar; d) südwestlich Sedschestan, mit den Städten Zereng am Hirmend u. Ferrah. Außer diesen werden genannt Gasniod. Ghasna, jetzt zum Theil verfallen, früher Aufenthalt der Gaznavidischen Sultane; Ghorat nördlich von Kandahar, der rauhe u. unfruchtbare Huzarahdistrict in Nordwesten, vielleicht 1/4 von ganz A.; das noch wenig bekannte Sewiestan mit der Stadt Rochadsch; östlich das fruchtbare Lughman, das reiche Thal von Dschelalabad; das südlich von Kandahar gelegene, noch wenig bekannte Schorawuk; Komis mit der Stadt Damghan u. a. m. Die Landschaft Balkh (Bulkh), mit der Hauptstadt gleiches Namens auf der nördlichen Abdachung des Hindukusch gelegen, gehört nicht zu A. Vgl. M. Elphinstone, An account of Cabul, Lond. 1815 (deutsch von Richs, Weim. 1816); Tychsen, De Afganorum origine et historia; I. v. Klaproth, Über die Sprache u. den Ursprung der Afghanen, Petersb. 1810; A. Burnes, Cabul, Lond. 1842.

II. (Gesch.). Das heutige A. ist das Ariana u. Drangiana der alten Zeit. Kandahar u. Kabul vermittelten bereits in vorchristlicher Zeit lebhaft den Handel zwischen Ostindien u. Persien. Ptolemäus erwähnt die Kaboliten, Einwohner des Landes Kabul in der Landschaft Paropamisus. Man brachte außer Specereien auf u. entlang dem Indus u. Kabulflusse (Sir-Indi u. Behat) alle indischen Waaren hinauf, die von da nach Persien, Baktriana (Balkh) u. Scythien (Bucharei u. Rußland) weiter befördert wurden. Perser u. Scythen trieben hier einen starken Pferde- u. Viehhandel. Zur Zeit des Byzantinischen Kaiserreichs war die Stadt Mesched wegen ihrer goldenen u. silbernen Brocate, seidenen Zeuge, irdenen Geschirre, seiner Wolle u. der in der Nähe liegenden Türkis- u. Rubingruben berühmt; ebenso Herat (Hera) als Stapelplatz zwischen Ispahan u. Kandahar wegen seiner Tapeten, seidenen Stoffe u. Brocate. Der Name der Afghanen kommt aber erst im Geschichtswerke des Farischka beim J. 681 n. Chr. vor, u. im 9. Jahrh. werden sie als Bewohner von Ghauer in Nordost-A. genannt. Im 11. Jahrh. waren sie im Kampf mit dem Ghaznaviden Mahomed Irmin Eddaula, der Kabul eroberte u. die Afghanen von Ghauer (Ghor) unterjochte. Ghasna war seine prächtige Hauptstadt, u. Ferdusi blühte an seinem Hofe. Die Afghanen von Ghauer machten sich unter eigenen Herrschern (Ghoriden) unabhängig, vertrieben, unter der Regierung Husseins die Ghaznaviden aus Ghasna u. später sogar aus Lahore. Der Sieger errichtete eine neue Herrschaft auf den Trümmern des Ghaznavidischen Reiches. Der Bruder seines zweiten Nachfolgers, Gajath Eddin Mahomed Ghori (Seiffedin), eroberte mit Hülfe arabischer Krieger die indischen Grenzländer u. Delhi u. machte sich zum Herrn von Khorasan. Ihm folgte sein Brudersohn Mahomed III., mit dem dieses Fürstenhaus erlosch u. das Reich zerfiel. Khorasan u. Kabul wurden von Tataren unter der Kharesmischen Dynastie (von Kothbeddin 1097 gestiftet) erobert u. fielen sodann in die Hände der mongolischen Eroberer. Gajath Eddin Mahomed bekehrte die Afghanen zum Islam (vorher scheinen sie dem Buddadienst ergeben gewesen zu sein). Nach der Auflösung des afghanischen Reiches von Ghauer zerfielen die Afghanen wieder in viele Stämme unter besonderen Khanen; nur das flache Land ward seit dem Entstehen der mongolischen Herrschaft zwischen Hindustan u. Persien getheilt; in den Gebirgen retteten einzelne Stämme, namentlich auch der der Abdalli-Afghanen in Herat, ihre Unabhängigkeit. Der von Gajath Eddin Mahomed in Indien eingesetzte afghanische Statthalter Kuttun Eddin Abek hatte ebenfalls gegen die Mongolen die Selbständigkeit behauptet u. eine neue Dynastie mit der Hauptstadt Delhi gegründet, nach deren Erlöschen eine zweite afghanische Dynastie daselbst herrschte, bis ein Nachkomme Timurs, Baber, in der Schlacht bei Panniput im Jahr 1525 der Herrschaft der Afghanen in Indien ein Ende machte. Perser u. Mongolen kämpften nun um den Besitz A-s. Von hereinbrechenden [159] Usbeken bedrängt, begab sich Herat zu Anfange des 17. Jahrh. in den Schutz des Schahs Abbas I. von Persien; nachdem dieser aber Kandahar von den Mongolen erobert hatte, unterwarf er A. persischer Botmäßigkeit. Im Jahr 1632 empörten sich die Afghanen unter Ali Mandan Khan wegen Bedrückung gegen Persien u. unterwarfen sich wieder dem Großmogul; 18 Jahre darauf standen sie aus derselben Ursache gegen die Regierung des Großmoguls auf u. begaben sich von Neuem unter die Herrschaft des persischen Schahs Abbas II. Eine wiederholte Empörung unter Schah Hussein wurde (1696) von 22,000 Persern, die in A. einrückten, unterdrückt, aber im Jahr 1710 gelang es einem afghanischen Kalantar (Untergouverneur), Mir Weis, den persischen Statthalter Gundschin Khan bei einem Gastmahle zu ermorden u. in dessen Kleidern sich der Festung von Kandahar zu bemächtigen. Hierauf fiel er, von anderen Sunniten unterstützt, in Persien ein, nahm Herat u. Kerman u. schlug das Perserheer. Nach seinem Tode (1715) folgte ihm sein ältester Sohn (n. A. Bruder) Mir Abdallah, den jedoch Mir Mahmud, sein zweiter Sohn, bald entthronte. Dieser eroberte 001'25,000 M. Ispahan u. zwang den Schah Hussein, ihm das persische Reich abzutreten, so daß im Jahr 1723 Persien u. A. unter einem afghanischen Herrscher vereinigt waren. Aber Husseins Sohn, Tamasp, setzte unter Beistand des türkischen Sultans u. Peters des Großen, Kaisers von Rußland, den Kampf fort. Mir Mahmud suchte durch Schreckensherrschaft u. Blutvergießen sich zu erhalten u. starb, als Russen, Türken u. Perser mit Erfolg gegen ihn vorrückten. Schah Aschraff setzte die afghanische Herrschaft fort, besiegte die Türken u. schloß mit ihnen Frieden, wurde aber von Nadir, dem Heerführer Tamasps, bei Damghan geschlagen tu auf der Flucht in Beludschistan getödtet. Der siegreiche Feldherr bemächtigte sich als Schah Nadir des Thrones, so daß unter ihm Ost- u. Westpersien wieder vereint waren. Nach seiner Ermordung (1747) gründete Achmed Schah Abdalli, aus dem afghanischen Stamme der Durani, ein mächtiges Afghanenreich, welches außer Peschawer, Kandahar, Kabul u. den übrigen Theilen des eigentlichen A., auch Beludschistan, einen Theil von Balkh, Kafiristan, Kaschmir, Sind, Lahore u. den größeren Theil von Multan umfaßte. Sechs Mal drang er von A. aus in Indien ein, nahm reiche Beute mit sich fort, schlug die Mahratten in einer großen Schlacht bei Panniput unweit Delhi, u. setzte Dchewan Bucht auf den Thron von Delhi. Unter seinem Sohne Timur machten sich aber Beludschistan, die Sikhs u. andere Provinzen unabhängig. Nach dessen Tode brach unter seinen 4 Söhnen: Humayun, Zeman, Mahmud, u. Schudscha ein Erbfolgekrieg aus. Der älteste wurde vom zweiten, dieser vom dritten geblendet; der Sieg schwankte zwischen den beiden jüngeren, bis Mahmud mit Hülfe des Ministers seines Vaters, Feth Ali, aus dem Hause der Berekzis, seinen Bruder i. J. 1809 besiegte u. sich des Thrones bemächtigte. Er ließ Feth Ali, der von ihm beleidigt ein Heer gegen ihn sammelte, ermorden (1819), worauf die Brüder des Getödteten ihn verjagten. Er behauptete sich jedoch in Herat, wo ihm nach seinem Tode (1829) sein Sohn Schah Kamran folgte. Unterdessen lebten Zemon u. Schudscha unter britischem Schutze als Flüchtlinge in Ludiana. Zunächst herrschte nun der Älteste aus dem Hause Berekzi Assim Khan, welcher fast immer Krieg mit Rundschit Singh (s. u. Sikhs) führte. Nach seinem Tode (1833) machten vier Mitglieder dieser Familie Ansprüche auf die Nachfolge: Kohal Dil Khan bekam Kandahar, Dost Mahomed Kabul, Sardar Sultan Mahomed Khan Peschawer; der vierte, Habiballah Khan, wurde verjagt. Peschawer unterwarfen sich jedoch bald die Sikhs unter Rundschit Singh, der schon Lahore, Kaschmir u. Multan besaß. Während Dost Mahomed mit den Sikhs unter dem Schah Schudscha, der sich des geraubten Thrones wieder zu bemächtigen suchte, im Osten fortwährend im Kampfe lag, trachteten die Perser nach dem Besitz von Herat im Westen. Schudscha wurde (1834) in den Gebirgspässen Kabuls geschlagen, ebenso die Sikhs (1835) in den Engpässen von Peschawer unter einem Enkel Rundschit Singhs, u. dieser selbst (1837) bei Gumrud, obwohl kurz vorher General Allard als Anführer der Sikhs Vortheile über die Afghanen errungen hatte. Es erwachte nun die Besorgniß der Briten in Indien, daß A., von wo aus Delhi schon einmal erobert worden war, ihnen gefährlich werden könnte, während man bisher darauf gebaut hatte, daß innere Zwietracht es zur Ohnmacht erniedrigen würde. Burnes u. a. britische Sendlinge, die A. bereisen mußten, um den Stand der Dinge genau auszukundschaften, fanden die Herrscher von Kabul u. Kandahar den Briten abhold u. ihre Macht gefahrdrohend. Die britisch-indische Regierung beschloß daher diese Gefahr im Keime zu ersticken. Der Generalgouverneur von Indien, Lord Auckland, erklärte also am 1. Oct. 1838 den Afghanen den Krieg, angeblich um Rundschit Singh als englischen Verbündeten gegen sie zu schützen u. den vertriebenen Schudscha wieder in seine Rechte einzusetzen. Im Febr. 1839 brachen 12,000 indische u. englische Soldaten unter General John Keane, der auch dem Schah Schudscha den Befehl über eine Abtheilung anvertraut hatte, auf, setzten über den Indus, rückten durch den Bolanpaß nach Kandahar vor, u. besetzten im Mai die Stadt u. Festung, da Kohai Dil Khan sich ohne Kampf zurückgezogen hatte. Schudscha wurde feierlich als Schah von A. von den Engländern eingesetzt, sodann das von Dost Mahomeds Sohn, Akber, vertheidigte Ghasna erobert, u. am 4. Aug. auch Kabul besetzt. Das Heer Dost Mahomeds zerstreute sich, er selbst gab sich den Engländern gefangen. Schah Kamran, der im J. 1838 mit Hülfe britischer Offiziere, namentlich des Lieutenant Pottinger, Herat befestigt und gegen eine Belagerung von Seiten der Perser glücklich vertheidigt harte, erhob nun Ansprüche auf die Beherrschung ganz A-s; die Briten mutheten ihm dagegen zu, eine englische Besatzung in Herat aufzunehmen; sein schon damals allmächtiger Wesir (Premierminister) Yar Mahmud veranlaßte ihn aber, sich mit Herat unter persischen Schutz zu begeben und von englischem Einflusse zu befreien. Indessen schienen Kabul u. Kandahar der englischen Herrschaft anheim gefallen, als unerwartet am 2. Nov. 1841 in Folge einer weit verzweigten, von Akber geleiteten Verschwörung ein allgemeiner Aufstand losbrach. Der britische Commissär Al. Burnes, der britische Gesandte am Hofe Schudschas zu Kabul u. viele britische Offiziere wurden ermordet.[160] Das britische Heer, wegen des Winters ohne Hoffnung der Hülfe aus Indien, mit dem übrigen engl. Gefolge gegen 16,000 Seelen, unterhandelte wegen freien Abzuges, der den Engländern von Akber mit der Zusage sicheren Geleites u. der Lieferung der nöthigen Reisemittel gewährt wurde. Der Rückzug begann von Kabul aus am 6. Jan. 1842, um durch die Keiberpässe nach Indien zu entrinnen; ohne Geleit u. ohne Lebensmittel wurden aber die Unglücklichen auf dem Zuge von verschiedenen afghanischen Stämmen überfallen u. gegen 16,000 Menschen, Soldaten, Unbewaffnete, Frauen u. Kinder, erlagen der Kälte, dem Hunger od. dem Schwerte. Einige englische Offiziere u. Frauen ergaben sich freiwillig an Akber u. retteten so ihr Leben. Kandahar war in den Händen der Briten geblieben. Nach einigen kleineren Gefechten zwischen Briten u. Afghanen zog General Nott von Kandahar nach Ghasna, nahm es am 6. Sept. 1842 u. ließ es verwüsten. Zugleich kam General Pollock durch die Keiberpässe herauf u. vereinigte sich mit Nott in Kabul, nachdem er Akber am 13. Sept. bei Teschin geschlagen hatte. General England war durch den Bolanpaß vorgedrungen u. hatte am 19. Sept. Dabur besetzt. Nach diesen angeblichen Siegen (denn es giebt nur englische Berichte) ordnete der neue Generalgouverneur Lord Ellenborough die Räumung A-s von Seiten der engl. Truppen an, vorher aber die Verbrennung mehrerer afghanischen Städte. In der That wurden Istalif u. Kabul von den Engländern verwüstet, sodann am 12. Oct. 1842 der Rückzug angetreten u. unterwegs unter fortwährenden Kämpfen Alles zerstört. Auch Dschellalabad, was sie am 24. Oct. erreichten, hatte das gleiche Schicksal. Nachdem die Engländer nach einem letzten Gefechte in den Keiberpässen am 3. Nov. den Indus überschritten u. in der Mitte Januars 1843 Firoßpur erreicht hatten, entließ der Generalgouverneur sämmtliche afghanische Gefangenen, auch Dost Mahomed, in ihre Heimath. Eine glücklichere Wendung schienen die Angelegenheiten für A. dadurch zu nehmen, daß nach dem Tode Rundschit Singhs (27. Juni 1839) im Reiche' der Sikhs der Plan entworfen wurde, mit vereinigter Kraft mehrerer asiatischer Fürsten die englische Herrschaft zu stürzen. Der Kampf zwischen Engländern u. Sikhs begann im Dec. 1845, aber erst zu Anfange des Jahres 1849, nachdem die Sikhs bereits bedeutend geschwächt waren, zogen ihnen 12,000 Afghanen durch die Khoschudpässe nach Schikarpur, u. ein anderer afghanischer Heerhaufen unter Dost Mahomed durch die Keiberpässe nach Peschawer zu Hülfe u. vereinigten sich mit ihnen am 20. Febr. bei Guzerat, einem Städtchen auf der Straße nach Lahore. Hier siegte Lord Gough mit 25,000 M. u. 100 Kanonen über das verbündete Heer von 60,000 M. Die Sikhs zerstreuten sich u. Dost Mahomed zog sich mit großem Verluste nach A. zurück, ohne von den Engländern dorthin verfolgt zu werden. Mit dem Reiche der Sikhs wurden diejenigen Theile A-s, welche Rundschit Singh früher erobert gehabt hatte, den britischen Besitzungen einverleibt. Außerdem nahmen die Briten aber auch noch das Thal Dhomer, welches zum Gebiete Dost Mahomeds gehörte, in Besitz, um eine feste Stellung in der nächsten Nähe Kabuls zu haben. Auf der einen Seite von den Engländern, auf der andern von den schiitischen Persern bedroht, mußte Dost Mahomed die Nothwendigkeit erkennen, seine Stellung durch Bündnisse zu stärken. Am 31. Aug. 1851 starb Yar Mahmud, der sich der Regierung in Herat nach dem Tode seines Herrn, Kamran Schah, bemächtigt (1843) u. sich in persischen Schutz begeben hatte. Ihm folgte sein Sohn. Syed Mahmud, dem jedoch die Nachbarn den Besitz streitig machten, bes. Dost Mahomed, weil es längere Zeit zu A. gehört habe (s. u. Herat). Dost Mahomed strebte aber nicht allein seine Macht gegen das, unter russischem Einflusse stehende Persien auszubreiten, sondern suchte auch A. nach Norden auf Kosten des Khans von Bochara zu vergrößern, wo er unmittelbar mit der russischen Politik in Reibung gerieth. Dabei vereinigten sich seine u. der Engländer Interessen, indem diese ein kräftiges Reich Dost Mahomeds sehr wohl als Schutzmauer gegen Rußland in Herat u. der Bucharei brauchen konnten, während dieser hoffen mochte, englisches Geld zu seinen kriegerischen Unternehmungen zu bekommen. Bei dem Ausbruche des Krieges zwischen England u. Rußland schien Dost Mahomed zwar eine Zeitlang zu schwanken, da ihm bei einem Bündnisse mit Rußland, wenn dieses siegte, Erwerbungen im Osten in Aussicht gestellt wurden als aber diese Hoffnungen schwanden, entschied die Feindschaft gegen Persien, u. es fand eine entschiedene Annäherung zwischen Dost Mahomed u. den Engländern statt. Sein Sohn Heider Khan (Akber war gestorben) kam als Gesandter seines Vaters im März 1855 nach Peschawer, wo er mit einem englischen Gesandten zusammentraf u. ein Freundschaftsvertrag, zugleich ein Schutz- u. Trutzbündniß zwischen Dost Mahomed u. der indischen Regierung abgeschlossen wurde (30. März 1855) Während sich Perser u. Afghanen wegen Herats feindlich gegenüberstanden, wurde Syed Mahmud (Dec. 1855) in Herat (s.d.) ermordet u. die Herater unterwarfen sich einem Neffen Schah Kamraus, Mahomed Yussuff, der an der Spitze von persischen Truppen Herat besetzte u. unter persischem Schutze die Regierung übernahm. Kaum war er aber in Besitz der Gewalt, als er sich von Persien mit Hülfe Dost Mahomeds, der von England angereizt Persien den Krieg erklärte, zu befreien suchte. Der Schah von Persien ließ in Folge dessen ein Heer, unter Murad Mirza, gegen Herat ziehn, welches die Stadt nach einer hartnäckigen, von Truppen Dost Mahomeds unterstützten Vertheidigung im Oct. 1856 einnahm. Mahomed Yussuff war während der Belagerung entflohn. Heider Khan, Dost Mahomeds Sohn, zog sich an der Spitze der Afghanen zurück, während die siegreichen Perser die Stadt Ferrah, i. J. 1838 noch durch britische Offiziere neu befestigt, u. mehrere andere Punkte A-s besetzten. Über die ältere Geschichte vgl. Alex. Dow, The history of Hindostan (nach Kasim Ferischia), deutsch, Lpz. 1772; über die neuere Geschichte Plath, Asien, Lpz. 1856 ff.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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