Namur

Namur

Namur (spr. Namür), 1) belgische Provinz (unter der französischen Herrschaft das Departement Sambre et Meuse) zwischen Frankreich, Luxemburg, Lüttich u. Hennegau, besteht aus dem größten Theile der ehemaligen Grafschaft N., ferner aus Theilen des ehemaligen Hochstiftes Lüttich u. der Herzogthümer Brabant u. Luxemburg, wozu noch 1815 die französischen Städte Marienburg u. Philippsville hinzukamen, hat 66,71 QM.; zerfällt in die drei Arrondissements: Namur, Dinant u. Philippsville; Volkszählung von 1858: 291,080 Ew.; Flüsse: Maas mit den Nebenflüssen Molignée, Mehaigne, Lesse, Bocq u.a. kleinere; der Boden ist nur im Arrondissement N. für den Getreidebau sehr ergiebig; viel Hügel u. Wald (Ardennen); Obst-, Acker-, auch etwas Tabak- u. Weinbau; gute Viehzucht; starke Eisenindustrie, Glasbereitung u. Bergbau auf Kohlen, Blei u. Zink. – Die ehemalige Grafschaft od. das Marquisat N. war in der ältesten Zeit von Eburonen u. Tungrern bewohnt u. wurde von den Römern zu Germania secunda, von den Franken zu Austrasien gezogen. Als ältester Graf von N., unter der Lehnsherrlichkeit von Niederlothringen, wird Beranger, Graf von Lomme, zu Anfang des 10. Jahrh., genannt; ihm folgte um 932 sein Sohn Robert, der sich 960 dem Befehl des Herzogs von Lothringen, die Burgen niederzureißen, widersetzte. Sein Sohn Albert I., der um 973 Graf von N. war, war durch seine Gemahlin Ermengarde der Schwiegersohn des Herzogs Karl von Niederlothringen. Von seinen Söhnen folgte erst Ratbod (Robert II.), der 1013 bei Tirlemont gegen die Lütticher kämpfte, dann Albert II., welcher 1037, gegen den Grafen von Champagne für den Kaiser Konrad II. fechtend, fiel. Sein Sohn Albert III. kämpfte 1047 für Kaiser Heinrich III. gegen Flandern, 1072 für die Gräfin Richila von Flandern gegen Robert den Friesen, 1086 gegen Gottfried von Bouillon u. st. 1105. Sein Sohn Gottfried unterstützte den Kaiser Heinrich IV. gegen dessen Sohn Heinrich u. schlug Letztern beim Schloß Viset; 1119 befestigte er seinen Bruder Friedrich gegen dessen Rival Alexander auf dem bischöflichen Stuhl von Lüttich, ging 1139 in das Kloster u. starb in demselben Jahre. Ihm folgte sein Sohn Heinrich der Blinde, der bereits seit 1136 Graf von Luxemburg war. Er erhielt 1145 die Schirmvoigtei über die Abtei St. Maximian zu Trier u. kam darüber mit dem Erzbischof Adalbero in Krieg, der 1146 geendigt wurde. Da Heinrich von seiner Gemahlin Laurentia keine Söhne hatte, so disponirte er 1163 über seine Besitzungen zu Gunsten seines Neffen, des Grafen Balduin von Hennegau. Da ihm aber seine zweite Gemahlin Agnes 1186 eine Tochter, Ermenson, gebar, so änderte er 1187 seine Erbbestimmung von 1163 zu Gunsten des Grafen Heinrich II. von Champagne, dem er seine Tochter verlobte. Der Kaiser Friedrich hintertrieb zwar diese Verlobung, gleichwohl kam der Graf von Champagne nach N. u. erhielt die Schlösser in Lehn, welche Balduin schon besaß, u. nur durch kaiserliche Vermittlung erlangte Balduin eine Änderung der Bestimmungen Heinrichs, in deren Folge er die Verwaltung von N. u. durch einen Vertrag von[662] 1190 die ganze Erbschaft seines Oheims erhielt, worauf 1191 der Graf von Champagne auch die Heirath mit Ermenson aufgab. Auch erhob der Kaiser 1188 in Worms den Grafen Balduin zum Marquis von N. Graf Heinrich st. 1194 (1196), u. in N. folgte Balduins V. zweiter Sohn, Philipp I. der Edle, als Vasall von Hennegau u. blieb auch, trotzdem daß der Graf von Bar, welcher Ermenson, Heinrichs Erbtochter, geheirathet hatte, Ansprüche auf N. machte, durch den Vertrag von Dinant 1199 im Besitz. 1202 ernannte ihn sein Bruder Heinrich, Graf von Flandern, welcher einen Kreuzzug mitmachte u. Kaiser von Constantinopel geworden war, zum Regenten von Flandern. Philipp st. 1212, u. nun kam N. an seine Schwester Jolantha, Gemahlin Peters von Courtenai, Grafen von Auxerre. 1214 erhob Graf Waleran von Luxemburg, der zweite Gemahl der Ermenson, Ansprüche auf N.; ein langer Streit entspann sich darüber, weshalb Jolantha 1216 N. ihrem Sohne, Philipp II. von Courtenai, überließ, der in Folge eines Vertrags zu Dinant 1123 N. behielt. 1226 folgte ihm sein Bruder Heinrich von Courtenai, u. nach dessen Tode 1228 (1229) maßte sich seine Schwester Margarethe, Gemahlin des Grafen Heinrich von Vianden, das Marquisat an, obgleich noch ein Bruder, Kaiser Balduin II. von Constantinopel, u. eine ältere Schwester, die Königin Jolantha von Ungarn, da waren. Diese schwiegen jetzt, dagegen erhob Graf Ferrand von Flandern im Namen seiner Gemahlin, einer Niece Jolanthens, Ansprüche auf N., u. in einem Vertrag von 1232 blieb Margarethe in Besitz von N., trat aber namursche Ländereien in Hennegau u. Flandern an Ferrand ab. Als 1237 Kaiser Balduin II., ihr Bruder, nach Frankreich kam, vertrieb er seine Schwester u. nahm selbst von N. Besitz. Balduin verpfändete aber N. an Blanca, Königin von Frankreich u. Vormünderin Ludwigs IX., u. Johann von Avesnes, Graf von Hennegau, glaubte sich deshalb befugt, N. als erledigtes Lehn einzuziehen. Nach mehren Streitigkeiten der Grafen von Hennegau mit Frankreich setzte endlich Ludwig IX. den Kaiser Balduin II. wieder in seinen Besitz, dieser aber verkaufte N. 1262 an Guido von Dampierre, Grafen von Flandern. In dieser Familie blieb N. bis 1419, wo Graf Dietrich seine sehr verschuldeten Güter an den Herzog Philipp den Guten von Burgund verkaufte. Nach Johanns Tode 1421 nahm Philipp N. in Besitz, riß es von Hennegau u. brachte es unter den Lehnhof von Mecheln. Über das fernere Schicksal N-s s. Burgund. 2) Arrondissement darin, 18 QM. u. (1858) 153,691 Ew. 3) (flämisch Naemen), Hauptstadt des Arrondissements u. der Provinz, am Einflusse der Sambre in die Maas; Kreuzungspunkt der Eisenbahnen von Lüttich nach Paris u. von Brüssel nach Luxemburg; Sitz der Provinzialregierung, einer Handelskammer, eines Gerichts erster Instanz, eines Handelsgerichts, eines Bischofs; Theologisches Seminar, königliches Athenäum, Strafanstalt für Frauen; unter den vielen Kirchen zeichnen sich aus: die 1772 beendigte Kathedrale (St. Aubin) mit dem Grab Don Juan's d' Austria, u. die Lupuskirche (1621–53); bedeutende Messerfabrikation, Gerbereien, Leder- u. Baumwollenwaaren; 25,280 Ew. Die Citadelle wurde 1784 neu angelegt u. seitdem bis auf die neuesten Zeiten beträchtlich verstärkt; die Festungsmauern sollen niedergerissen werden. – N, wurde 1692 von Ludwig XIV. u. 1695 von Wilhelm III. von Oranien erobert. Nach dem Ryswijker Frieden erhielt N. spanische u. holländische Besatzung zugleich, welche aber auf Veranlassung Maximilians II. von Baiern, 1701 nach dem Tode Karls II. von Spanien, abziehen mußte, wogegen N. französische Truppen einnahm. 1704 beschossen es die Alliirten; 1715 wurde es durch den Barrieretractat Barriereplatz u. von den Holländern mit besetzt; 1746 von den Franzosen belagert u. erobert, 1748 aber im Frieden von Aachen zurückgegeben. Joseph II. ließ N. gleich den andern Barriereplätzen schleifen u. nur das Schloß in befestigtem Stande, doch wurde dies 1794 auch von den Franzosen erobert u. gesprengt; 1815 wurde N. von den Franzosen besetzt u. von dem, von Wavre sich zurückziehenden Corps des Generals Vandamme gegen das zweite preußische Armeecorps unter General Pirch den 20. Juni tapfer vertheidigt. Seitdem ist N. wieder mit englischen Hülfsgeldern u. mit Beiziehung der französischen Contributionsgelder befestigt worden.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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