Ebbe [2]

Ebbe [2]

Ebbe ist mit der Fluth das periodisch wiederkehrende Erheben u. Sinken des Meerwassers. Auf ebenen Küsten zieht sich das Meerwasser, nach u. nach sinkend, zurück, läßt dieselben auf eine Strecke trocken, (macht Ebbe od. Tiefe See) u. tritt dann wieder, sich erhebend, auf eine Strecke in das Land ein (macht Fluth od. Hohe See). Während der E. haben die ins Meer mündenden Flüsse freien Abfluß, der während der Fluth stockt; es ist daher in großen Strömen die Fluth weit in das Land hinein (in der Elbe auf 20 M.) bemerkbar. Das jedesmalige Fallen u. Steigen des Wassers dauert etwa 6 Stunden, das Verweilen auf seinem Stande etwa 121/2 Minuten, u. die E. kehrt wie die Fluth an jedem Tage zweimal wieder, die E. wie die Fluth tritt aber am folgenden Tage 42 bis 60, durchschnittlich also um 49 Minuten später ein. Dieß ist aber genau die Zeit, nach welcher der Mond für einen gewissen Beobachtungsort in den Meridian zurückkehrt, u. zwar erfolgen auch bei ihm in einer zwischen 24 Stunden 42' u. 25 Stunden 0' veränderlichen Zeit 2 Culminationen, eine obere u. eine untere. Diese tägliche Periode der E. u. Fluth wird in ihrer Stärke von der monatlichen modificirt; zweimal in jedem Monatsumlauf erreicht nämlich die Fluth ihr Maximum (wird zur Springfluth), zweimal ihr Minimum (als Nippfluth Taube Fluth). Jene entspricht den Voll- u. Neumonden, diese den beiden Mondsvierteln, jedoch so, daß sie an vielen Orten, z.B. in der Nordsee, erst um 11/2 Tag, auch wohl einige Tage später eintritt. Jenes Maximum wächst noch um etwas, wenn der Mond zur Zeit des Voll- u. Neumonds zugleich in der Erdnähe ist u. umgekehrt. Die monatliche Periode wird nun wieder durch eine jährliche Periode modificirt, indem die Springfluthen zur Zeit der Äquinoctien stärker als zur Zeit der Solstitien sind; daß ferner in dem Wintersolstitium die Fluthen stärker als im Sommersolstitium, auch in den Nordländern in den Voll- u. Neumonden im Sommer des Abends, im Winter des Morgens am stärksten sind. Die Zeit von einer Culmination des Mondes bis zum nächsten Hochmeere nennt man das Hafenetablissement. Es beträgt in Hamburg 5 Stunden, in Amsterdam 3 St., in St. Malo 6 St., in Brest 33/4 St., in Lissabon 4 St. Die halbe Summe zweier auf einander folgender Hochmeere über dem Niveau der zwischenliegenden E. heißt Totalfluth. Die Umdrehung der Erde von W. nach O. u. also die scheinbare Bewegung des Mondes von O. nach W. um die Erde etc. bringt es mit sich, daß auf dem offenen Meere die Fluthwelle in dieser letzteren Richtung die Erde umkreist. Die Fluth tritt hier für Orte, die unter Einem Meridian liegen, zu gleicher Zeit ein, in gemäßigten Zonen unter geringen Breiten früher, als unter größern. Ihre Höhe beträgt in ganz freien Meeren (wie im Südmeer) in der Nähe des Äquators durchschnittlich nur 3 Fuß u. nach höheren Breiten allmälig immer weniger, bis sie jenseits des 60. Grades verschwindet. Wo dagegen durch das Festland die Fluthwelle gehemmt u. aufgestauet wird,[444] erhebt sie sich oft bis zu erstaunlicher Höhe, z.B. bei St. Malo im Canal bis 46 u. 60 Fuß, an der Mündung des Tsianschang zu Hongtscheufu bis 70 Fuß. Die Züge der Küsten, Inseln, Meerengen, Meerströmungen, die Tiefe des Meeres machen dauernd, Winde vorübergehend Abweichungen in der E. u. Fluth einzelner Gegenden u. Orte; selbst der größte Theil des Atlantischen Meeres hat eigentlich nicht seine eigene Fluthwelle, sondern eine abgeleitete, indem das an der Ostküste Südamerikas gestauete Wasser sich nach Nordosten wendet u. in dieser Richtung gegen die Küsten Europas trifft. Da diese Fortpflanzung der Fluthwelle einige Zeit braucht, so treten die im Süden ursprünglichen Wellen am Eingange des Kanals ungefähr 1 Tag, in der Nordsee 11/2 Tag später ein. Alle Mittelmeere haben nur unmerkliche Fluth an einzelnen Orten (im Mittelmeere bei Marseille, an den Küsten der Berberei, im Adriatischen Meerbusen), ganz geschlossene Meere (wie das Kaspische Meer) haben gar keine. Auch über die Ostsee herrschte bisher die Ansicht, als sei E. u. Fluth in ihr nicht bemerklich, doch haben die zu Wismar angestellten Beobachtungen von 1848–55 gelehrt, daß solche doch vorhanden sei, u. zwar beträgt die Differenz des Wasserstandes im Mittel 2,4 Zoll u. die höchste Fluth tritt 5 Stunden 33 Minuten nach der oberen Culmination des Mondes ein. Die Griechen hatten nur unbestimmte Kenntnisse von E. u. Fluth, mehr die Römer; Kepler, bes. aber Newton, fanden in der Attraction des Mondes das befriedigende Princip der Erklärung. Die Calcule, um die Abweichungen von der Theorie in gegebenen Fällen zu bestimmen, sind schwierig. Der gesammte feste Erdkörper unterliegt der Attraction des Mondes, welche so stark ist, als ob die ganze Erdmasse in ihrem Mittelpunkte concentrirt wäre. Die Wassertheile am Äquator nun, für welche sich der Mond in der oberen Culmination befindet, werden stärker angezogen, weil sie dem Monde um 1 Erdhalbmesser näher sind, die Meerestheile dagegen, für welche der Mond in der unteren Culmination steht, werden schwächer angezogen, als der übrige Erdkörper, weil sie um 1 Erdhalbmesser ferner sind. In geschlossenen Meeren kann hieraus freilich keine Erhebung des Wassers über das gewöhnliche Niveau folgen, weil die Schwerkraft das Losreißen des Wassers verhindert. In dem zusammenhängenden großen Weltmeere dagegen, innerhalb dessen selbst einige Theile um 1 Erdhalbmesser hinter dem andern zurück sind, gleicht sich der durch den Mondstand verminderte hydrostatische Druck, welcher an den dem Monde zugewendeten u. abgewendeten Punkten herrscht, durch einiges Zuströmen des Wassers von allen Seiten her aus. Wie der Mond wirkt auch die Sonne attrahirend auf das Meereswasser; die durch sie bewirkte Erhebung des Wassers unterscheidet man als Sonnenfluth von jener (Mondsfluth), die aber wegen der weit größeren Nähe des Mondes immer die der Sonne übertrifft. Nach dem verschiedenen Stand der Sonne wirken nun beide zusammen (bewirken Springfluthen), od. es wird die Mondsfluth dadurch gemäßigt. Dieser Attraction ist zunächst die mittlere Erdzone ausgesetzt, die übrigen Erdgegenden in dem Verhältniß der Abnahme der Breiten. Das spätere Einfallen der Fluth rührt davon her, daß der Wiederabfluß des gehobenen Meerwassers nicht so schnell erfolgt, wie der Umschwung der Erde um ihre Achse. Alle übrigen Unterschiede lassen sich eben so aus bekannten Gravitations- u. hydrostatischen Gesetzen ableiten. Auch in der Atmosphäre findet, wie d'Alembert (1747) zuerst darthat, E. u. Fluth (mehrere od. mindere Erhebung u. dadurch Verminderung u. Vermehrung ihres Drucks) aus gleichen Gründen, wie die E. u. Fluth des Weltmeers, Statt, die jedoch unter den übrigen Einflüssen, die den atmosphärischen Druck modificiren, so sich versteckt, daß sie kaum bemerkt wird. Vgl. Hagen, Über E. u. Fluth in der Ostsee, Berl. 1857.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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