Friedensrichter

Friedensrichter

Friedensrichter, richterliche Begmte niederer Instanz, deren Functionen jedoch in den einzelnen Ländern sehr verschieden bestimmt sind. Der Ursprung u. das Vorbild des Institutes ist A) in England zu suchen, wo die F. eine sehr angesehene Stellung einnehmen. Der Name (engl. Justices of the peace, lat. Conservator pacis) findet sich hier schon im Anfang des 13. Jahrh.; doch erscheinen sie in dieser Zeit bei der großen Macht, welche die freien Barone ausübten, als Personen von minderem Einflusse. Eine größere Bedeutung erhielten sie erst unter Eduard III., unter dessen Regierung (bes 1327 u. 1328) sie an Stelle der seit 1275 bestandenen außerordentlichen Criminalcommissionen gesetzt u. mit ausgedehnten Rechten begabt wurden. Nach der heutigen Verfassung sind die F. theils richterliche, theils Verwaltungsbeamte, aber mit Ausnahme der Londoner F. ohne alle Besoldung, indem selbst die Gebühren den Schreibern (Clercs of the peace) überlassen zu werden pflegen. Jeder Engländer kann durch den Lordlieutenant der Grafschaft dem König die Bestellung als F. nachsuchen, wenn er nur eines guten Rufes genießt u. nachweist. daß er entweder ein Grundbesitzthum von 100 Pfund Sterling reine Einkünfte eigenthümlich lebenslänglich od. in 20jähriger Pachtung besitzt, oder 300 Pfund Sterling Renten genießt. In jeder Grafschaft besteht als Vereinigung der F. eine Friedenscommission (Commission des Königfriedens), in welche die Eintragung geschieht. Da die Zahl der Einzutragenden nicht durch ein Gesetz bestimmt ist u. in der Regel das Bedürfniß übersteigt, so theilen sich die F. in active u. nicht active; die die Zahl der Ersteren beträgt in England allein ungefähr 4000. Der Geschäftskreis des englischen F-s umfaßt namentlich die Handhabung der gerichtlichen, Gewerbe- u. Sittenpolizei, die Gerichtsbarkeit über die bei Erhebung der öffentlichen Abgaben entstehenden Contraventionen, die Mitwirkung bei gewissen militärischen Angelegenheiten, z.B. Vereidung der Soldaten, Besorgung der Einquartierung etc., die gesammte Verwaltung des Grafschaftsvermögens u. auch eine beschränkte Gerichtsbarkeit in Civilsachen. In letzter Beziehung hat der F. bes. über Dienst- u. Gewerbestreitigkeiten, Ehrenkränkungen, Besitzstörungen, Alimentationssachen etc. zu erkennen. Die Geschäfte werden theils allein, theils in einer kleinen Session (Petty session), theils in einer großen Vierteljahrsversammlung sämmtlicher F. des Bezirkes (General quarter session) besorgt. Allein handelt der F. bei allen rein polizeilichen u. administrativen Angelegenheiten, so wie in Untersuchungssachen; eine Petty session von 2 od. mehreren F-n wird erforderlich bei Aburtheilung civil- od. strafrechtlicher Fälle; in den großen Vierteljahrsversammlungen wird über alle eigentlichen Zuchtpolizeisachen (Misdemeanours), über die wider die Urtheile der einzelnen F. u. der kleinen friedensrichterlichen Versammlungen eingelegten Berufungen, ingleichen über solche administrative Angelegenheiten entschieden, welche die ganze Grafschaft angehen. Während sonach in England das Amt des F-s ein reines Ehrenamt für unmittelbar aus dem Volk hervorgehende Männer ist, ist dieser Charakter bei der Nachahmung des Institutes B) in Frankreich gänzlich verloren gegangen. Der französische F. (Juge de paix) ist im Gegensatz des englischen nur ein sparsam besoldeter, richterlicher Subalternbeamter, die unterste Stufe der richterlichen Diensthierarchie. Die F. wurden in Frankreich durch Gesetz vom 24. Aug. 1790 eingeführt u. sollten allerdings der Idee nach durch freie Wahl aus dem Volk mit dem Berufe[720] hervorgehen, überall bei entstehenden Streitigkeiten das nächste Vermittelungsamt zu üben. Die F. sollten zu diesem Zwecke für jeden Canton, zugleich mit 2 Beisitzern (Prud'hommes assesseurs) von allen Activbürgern des Cantons auf 2 Jahre u. so, daß die Wahl keiner Bestätigung Seitens der Regierung mehr bedurfte, gewählt werden. Wählbar sollte jeder sein, welcher 30 Jahre alt war u. eine directe Steuer von mindestens 18 Arbeitstagen (ungefähr 15 Francs) zahlte; juristische Studien waren nicht erforderlich. Allein schon nach einem Jahre wurde durch Gesetze vom 6. März u. 16. Sept. 1791 die Stellung der F. wesentlich verändert. Die beiden Assessoren wurden durch Gesetz vom 28. Febr. 1801 abgeschafft u. die Wahl durch Gesetze vom Jahre 1828 u. 1837 dahin modificirt, daß jetzt der F. lediglich von der Regierung, u. zwar nur auf Widerruf ernannt, auch dabei nur auf solche Personen reflectirt wird, welche eine mehrjährige juristische Beschäftigung bei einem Advocaten od. Notar nachweisen können. Der F. ist in Frankreich daher jetzt nur ein Localbeamter der Staatsregierung für jeden Canton, welchem neben dem ursprünglich ihm zugewiesenen Vermitelungsamt noch eine große Anzahl anderer niederer Geschäfte übertragen ist. Die F. sind Einzelrichter, denen zwei nicht besoldete Ergäzungsrichter (Suppléans), welche dem F. im Verhinderungssalle zu vertreten haben, ein Gerichtsschreiber (Gréffiers), bei größeren Friedensgerichten mit mehreren Untergerichtsschreibern (Commis. gréffiers) u. mindestens zwei Huissiers zur Seite stehen. Ihre Thätigkeit besteht nach jetziger Verfassung a) zunächst darin, daß jede Klagsache, welche vor einem ordentlichen Gericht erhoben werden soll, zunächst vor das Fried ensgericht gebracht werden muß, damit dieses als Vermittelungsbehörde (Bureau de conciliation) zwischen den Parteien einen Vergleich zu Stande zu bringen suche. Mit dem Nichterscheinen der Parteien in dieser Verhandlung sind indessen weitere Nachtheile, als die Bezahlung einer Buße von 10 Francs nicht verbunden. b) Als Civilrichter bilden die F. die erste Instanz in allen persönlichen Klagen bis zum Betrag von 100 Francs, außerdem ohne Rücksicht auf diesen Betrag in allen Besitz- u. Grenzstreitigkeiten, allen Miethstreitigkeiten, Klagen über wörtliche u. thätliche Injurien, Schäden an Feldern, Früchten u. Ernten, sowie bei Streitigkeiten über Mauthsachen. Hält sich der Werthbetrag bei diesen Sachen unter 50 Franken, so entscheiden die F. dabei zugleich in letzter Instanz; war der Gegenstand von höherem Werth, so ist von ihren Entscheidungen noch eine Berufung an das ordentliche Bezirksgericht gestattet. c) In strafrechtlicher Beziehung fungirt der F. als einfaches Polizeigericht (Tribunal de simple police) u. hat in dieser Eigenschaft auf die Anträge eines Localpolizeibeamten, welcher die Functionen der Staatsanwaltschaft versieht, über die Polizeiübertretungen (Contraventions de simple police), d.h. solche Übertretungen, die höchstens mit 15 Franken od. mit 5tägiger Gefängnißstrafe bedroht sind, jedoch auch hier mit Vorbehalt der Berufung an das Zuchtpolizeigericht, wenn auf Gefängniß oder eine Geldstrafe von mehr als 5 Franken erkannt worden ist, zu entscheiden (Vgl. Criminalgericht). d) Als Hülfsbeamte der Gerichtspolizei (Officiers de police judiciaire) haben sie Denunciationen anzunehmen u. darüber an den Procurator des Bezirksgerichts zu berichten, die Gewißheit eines Verbrechens od. Vergehens auf frischer That herzustellen, Haussuchungen anzuordnen u. dergl. Der F. kann sogar von dem Untersuchungsrichter des Bezirksgerichts die ganze Generaluntersuchung über ein in seinem Bezirke vorgekommenes Verbrechen übertragen erhalten. e) Als einer Administrativjustizbehörde sind ihm endlich noch manche Acte der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugewiesen, wie die Anlage u. Abnahme der Siegel bei Todesfällen, di. Zusammenberufung u. der Vorsitz im Familienrathe, die Aufnahme der Adoptionsverträge, von Instrumenten, Urkunden über die Anerkennung natürlicher Kinder u. sogenannte Notarietätsacte, welche bei Eingehung gewisser Ehen erforderlich sind. Aus den Gebühren für diese letzteren Geschäfte (Vacations) beziehen die F. neben ihrer geringen fixen Besoldung den Hauptheil ihrer Einnahme. Das neueste Gesetz über ihre amtliche Stellung ist die Loi sur les justices de paix vom 25. Mai 1838. Vgl. auch Henrion de Pansey, De la compétence des juges de paix, 1843: Levasseur, Manuel des justices de paix, 1839; Bioche, Dictionnaire des juges de paix et de police, 1852, 2 Bde. C) Mit dem französischen Rechte sind in der unter B) geschilderten Stellung die F. auch in die Justizverfassung anderer Länder übergegangen. So finden sie sich im Wesentlichen mit denselben Attributen versehen in der preußischen Rheinprovinz, Rheinbaiern u. Rheinhessen. Wenn dagegen auch anderwärts in deutschen Ländern, die sonst kein französisches Recht haben, neuerdings F. eingeführt worden sind, so ist hierbei der Name meist für eine ganz verschiedene, auf eigenem Grunde beruhende Institution gebraucht worden. Dies gilt insbesondere i) von den F-n, wie sie seit dem Jahre 1855 im Königreich Sachsen durch Gesetz vom 11. Aug. d. I. angeordnet worden sind. Dieselben sind weniger den der französischen, als den englischen F-n vergleichbar, obgleich sie sich auch von diesen wesentlich unterscheiden. Sie werden zum Beirath der Verwaltung als obrigkeitliche Personen in der Zahl 15–30 für jeden gerichtsamtlichen Sprengel aus der Mitte der größeren Grundbesitzer u. sonst durch Vermögen, größeren Gewerbsbetrieb od. persönliche Stellung ausgezeichneter Personen vom König gewählt u. sind als Gehülfen des Gerichtsamts dazu berufen, demselben für den ganzen Bereich seiner polizeilichen u. gemeindeobrigkeitlichen Amtsthätigkeit zur Seite zu stehen u. bei Handhabung der gesetzlichen Ordnung innerhalb des Gerichtssprengels, mit Ausnahme der Städte, theils unterstützend, theils selbständig mitzuwirken. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, daß sie sich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe u. Ordnung, die Abwehrung von Friedensstörungen, das örtliche u. Bezirksarmenwesen, den Zustand der nicht fiscalischen Communicationswege, die öffentliche Sittlichkeit u. die Nahrungs- u. Erwerbsverhältnisse der arbeitenden Volksklassen hauptsächlich angelegen sein lassen müssen. Ihre Theilnahme an den Geschäften der gerichtlichen Polizei beschränkt sich auf Anordnung von Verhaftungen von auf frischer That ergriffenen od. flüchtigen Verbrechern, die dann aber binnen 24 Stunden an das Gerichtsamt abzuliefern sind, u. auf Haussuchungen nach gestohlenem[721] Gut. Der Verein sämmtlicher F. eines amtshauptmannschaftlichen Bezirks od. auch ein nach Bedürfniß aus seiner Mitte zu besiellenden Ausschuß dient zugleich oer Kreisdirection u. dem Amtshauptmann, der Verein der F. eines Gerichtsamtssprengels dem Gerichtsamt als berathendes Organ für die Angelegenheiten des resp. Bezirks u. vertritt so die Stelle einer kleineren Kreisversammlung. Alle F. haben ihr Amt, gleich den englischen, als ein unentgeldliches, bürgerliches Ehrenamt auszuüben. In noch anderen Staaten, z.B. in Sachsen-Meiningen, sind die F. auch nur dazu bestellt, um Sühnetermine abzuhalten, u. nehmen außerdem eine obrigkeitliche Stellung nicht ein.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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