Horatīus

Horatīus

Horatīus. Die Horatĭa gens war theils ein patricisches Geschlecht von latinischem Ursprung mit den Familien Barbatus, Cocles u. Pulvillus, theils ein plebejisches mit der Familie Flaccus. Die ältesten bekannten sind: 1) die drei Horatier, Drillingssöhne eines Römers, Publius H., u. der Tochter eines Albaners Sequinus, welcher seine ältere Tochter an den Albaner Curiatius verheirathet hatte, daher mit den Drillingssöhnen dieses Ehepaares, den Curiatiern, Geschwisterkind. Eine römische Sage erzählt den Kampf der Horatier u. Curiatier, 669 v. Chr., welcher die erste Unterwerfung der Albaner unter die Römer zur Folge hatte. Statt des zwischen den Albanern u. Römern ausgebrochenen Krieges sollte, auf den Vorschlag des albanischen Dictators, Mettus Fuffetius, ein Sechskampf dieser Horatier u. Curiatier entscheiden. Zwei Horatier fielen bald, als aber der letzte, Publius H., die drei Gegner mehr od. minder verwundet sah, floh er, um verfolgt zu werden, u. erlegte die ihn, im Verhältniß der Erschöpfung schneller od. langsamer verfolgenden Curiatier, zurückkehrend, einzeln leicht. Beladen mit den erbeuteten Waffen u. Kleidern u. im Begriff in Rom einzuziehen, begegnete er seiner Schwester Horatia, der Verlobten eines der Curiatier, u. als diese, unter der Beutestückung ihres Bruders, die Kleider des Geliebten erkennend, in Wehklagen ausbrach, erstach er sie, als unrömisch gesinnt. Von den Duumviri capitales deshalb zu Tode verurtheilt appellirte er an das Volk, das seine Strafe auf Sühnopfer, unter anderen aufs Gehen durch das Jugum, milderte. Dieses Jugum (Tigillum sororium) wurde, baufällig, immer wieder hergestellt, so daß es noch zur Zeit des Augustus vorhanden war. Auch noch andere Denkmäler erinnerten in der späteren Zeit an diesen Vorfall, namentlich die Gräber u. das Feld der Horatier in Rom. 2) Marcus H., ein Nachkomme des Publius H., soll bei der Vertreibung des Königs Tarquinius II. thätig gewesen sein u. war 509. v. Chr. einer der ersten römischen Consuln. 3) Publius H. Cocles, Bruder des Vorigen, hielt, als 507 v. Chr. die Etrusker unter Porsena die Römer geschlagen u. den Janiculus erstiegen hatten, jene dadurch von der Stadt ab, daß er an der Brücke gegen sie kämpfte, bis dieselbe auf sein Geheiß abgebrochen worden war, dann sprang er in den Tibris u. kam unverwundet zu den Seinen. Er erhielt zum Lohne ein Stück Land, wie viel er in einem Tage ackern konnte, von allen Bürgern reiche Spenden u. ihm wurde eine Statue auf dem Comitium errichtet. 4) Cajus H. Pulvillus, Sohn von H. 2), s. Pulvillus. 5) Marcus H. Barbatus, s. Barbatus. 6) Quintus H. Flaccus, nicht dem Geschlechte der Vorigen angehörend, war der Sohn eines Freigelassenen u. 8. December 65 v. Chr. zu Venusia in Apulien geboren; er wurde in Rom, wohin sein Vater nach dem Verkauf seiner Besitzung in Venusia übergesiedelt war, erzogen u. ging in seinem 20. Jahre nach Athen, wo er den Akademiker Theomnestos, den Peripatetiker Kratippos u. den Epikureer Philodemos hörte, ohne daß er sich jedoch ausschließend für die eine od. die anderen[533] dieser philosophischen Schulen entschied, sondern mit Freiheit aus jeder nahm, was ihm recht dünkte. Hier traf ihn im Jahr 44 die Nachricht von der Ermordung Cäsars am 15. März in Rom, u. als Brutus im Spätsomme nach Griechenland kam, folgte H., ein Anhänger der alten republikanischen Verfassung, als Kriegstribun seinen Fahnen; nach der Niederlage bei Philippi aber, wo er selbst seinen Schild verloren u. die Häupter der Republik dieselbe selbst aufgegeben hatten, gab auch er seine Hoffnung auf die Erhaltung der Verfassung auf, da er aus derselben den Geist entschwunden u. sie selbst nicht mehr lebensfähig erkannt hatte, kehrte nach Italien zurück u. befreundete sich mit dem Gedanken an die Monarchie, ohne sich jedoch dem Octavian selbst zu nähern. Durch den Verlust seines Vermögens in den Bürgerkriegen arm geworden, widmete er sich nun der Dichtkunst; durch Virgilius u. L. Varius dem Mäcenas empfohlen, wurde er (wahrscheinlich 40 v. Chr.) einer von dessen literarischen Gesellschaftern u. erhielt das Amt eines Scriba quaestorius (Finanzsecretär), zugleich erscheint er seitdem im Besitz seines Sabinum (s.d.), eines Landhauses bei Tibur, welches ihm Mäcenas geschenkt hatte. Er lebte nun abwechselnd hier, in Tibur u. Rom im vertrautesten Umgange mit seinem Gönner Mäcenas, starb kurz nach demselben am 27. November 8 v. Chr. u. wurde neben ihn auf dem Esquilinus bestattet. Verheirathet war H. nie; gegen die Beschuldigungen der Engherzigkeit, Inconsequenz, Schmeichelei u. Wollust hat ihn namentlich Lessing vertheidigt. H. hat sich das Verdienst erworben, die Lyrische Poesie in ihren schönen u. vollendeten Formen vom griechischen auf italischen Boden verpflanzt u. nicht ohne Selbständigkeit nachgeahmt zu haben; die erkannte Differenz zwischen den Idealen seiner Jugend, die er aus dem Geiste des alten Römerthums geschöpft hatte, u. dem Leben u. Treiben der Wirklichkeit in der Gegenwart, führte ihn zur Satyre, welche Anfangs eine herbere war, später aber ernster u. milder wurde, u. in welcher er ganz originell ist. Seine Gedichte zeichnen sich aus durch Wahrheit der Empfindung, Natürlichkeit der Gedanken, Einfachheit der Form. Seine Philosophie ist eklektisch; ebenso weit entfernt von dem Cynismus des überschwenglichen Stoicismus, wie von der Frivolität des römischen Epicureismus, empfiehlt er die Weisheit als Wächter des Gewissens u. aller Tugenden, ohne welche reiner Genuß verbittert od. ganz unmöglich wird. Dem Versuch der neuesten holländischen Philologenschule, besonders Peerlkamps, ganze Gedichte u. mehrere einzelne Stellen in den Oden als unecht zu verwerfen, ist anderwärts gründlich begegnet worden. Ein anderer Versuch, die chronologische Ordnung der Gedichte des H. darzuthun, welchen besonders der Engländer Bentley machte, ist von deutschen Philologen, namentlich von Kirchner, in seiner Unhaltbarkeit nachgewiesen worden; als ausgemacht betrachtet man nur, daß H. zuerst die Satyren, dann die Epoden, hierauf die Oden nebst dem Carmen saeculare u. zuletzt die Briefe nebst der Ars poetica gedichtet hat. In den gewöhnlichen Ausgaben ist die Reihenfolge der Gedichte: a) Carmina (Odae), Lyrische Gedichte, 4 Bücher, dazu das Carmen saeculare, ein Hymnus auf Apollo u. Diana, den er auf Verlangen des Augustus zur Säcularfeier Roms (17 v. Chr.) dichtete, u. ein Buch Epoden (eine Nachbildung der Jamben des Archilochos), herausgegeben von Jani, Lpz. 1778–82, 2 Bde.; von Mitscherlich, ebd. 1800, 2 Bde.; von Döring, ebd. 1803 u. 1815; Peerlkamp, Harlem 1834; deutsch übersetzt von Ramler, Berl. 1800, 2. Aufl. ebd. 1818, 2 Bde.; von Scheller, Helmst. 1821; von der Decken, Braunschw. 1838, 2 Bde. b) Sermones, Satyren, 2 Bücher, herausgegeben u. erläutert von Heindorf, Bresl. 1815, u. Aufl. von Wüstemann, Lpz. 1843; mit Übersetzung von Kirchner, Strals. 18297 übersetzt von Wieland, Lpz. 1786, 4. Aufl. 1819, 2 Bde. u. A. c) Epistolae, poetische Briefe (worin er in sokratischer Manier die heiterste Philosophie u. den reichhaltigsten Schatz seiner durch Erfahrung geläuterten Lebensweisheit vorträgt), erklärt von Schmid, Halberst. 1828–30, 2 Bde.; von K. Passow, Lpz. 1833; von Obbarius u. Schmid, ebd. 1837–47, 2 Bde.; von Düntzer, Braunschw. 1843, 2 Bde.; übersetzt von Wieland, Lpz. 1787, 1790, 1801, von Günther, ebd. 1824, Passow, ebd. 1833. Zu den Episteln kommt noch eine ausführlichere Epistola ad Pisones od. Ars poetica (eine didaktisch-satyrische Züchtigung der damaligen Dichterlinge in Rom, veranlaßt u. näher bestimmt durch einvorhergegangenes Gespräch od. andere Familienverhältnisse mit den Pisonen), herausgegeben von Schelle, Lpz. 1806, oft übersetzt, auch von Wieland bei den Briefen. Die Scholiasten des H. sind Acro, Porphyrion (s. b.) u. der Scholiast des Cruquius (Commentator Cruquianus). Gesammtausgaben: Editio princeps, o. O. u. J. (Mail. 1470?); Vened. 1478, Strasb. 1498, Basel 1580; von Fabricius, ebd. 1555, 2 Bde., Fol.; von Lambinus, Leyd. 1561 u.ö.; u. Aufl. Tobt. 1829; von Cruquius, Antw 1578; von Torrentius, ebd. 1608; von Heinsius, Leyd. 1612, u.ö., zuletzt ebd. 1676; von Bentley, Cambr. 1711, Amst. 1728, Lpz. 1764, 2 Bde., zuletzt von Dindorf, ebd. 1826, 2 Bde.; von Cuningham, Haag 1721; von Baxter, Lond. 1725, u. ö, zuletzt von Bothe, Lpz. 1822; von Fea, Rom 1811, 2 Bde. (2. Aufl. von Bothe, Heidelb. 1826, 2 Bde.); von Vanderbourg, Par. 1812, 3 Bde.; von F. W. Döring, ebd. 1803–24. 2 Bde.; 1. Bd. 4. Aufl. 1829, 2. Bd. 2. Aufl. 1828; von W. Braunhard, ebd. 1831–38; J. K. Orelli, Zürich 1837 f., 2 Bde., 3. Aufl. von J. G. Baiter, 1850–52; für den Schulgebrauch die von Jahn, Meineke, Dillenburger (Bonn 1844, 3. Aufl. 1854), Krüger (1853), den reinsten Text enthält Haupt's Recension (Lpz. 1851); Vorlesungen über den H. von Nitsch u. Haberfeld, Lpz. 1792 ff., 4 Bde. Deutsche Übersetzung u.a. (metrisch) von Voß, Heidelb. 1806, Braunschw. 1821, 2 Bde.; von Preuß, Lpz. 1805–1809, 4 Bde.; von J. S. Rosenheyn (in gereimten Versen), Königsb. 1818, 2 Thle., von J. H. M. Ernesti, Münch. 1826–1827, 2 Bde.; von Scheller, Braunschw. 1828, 2. Aufl. 1830; von J. Nürnberger, Prenzl. 1827–31; von Günther, Lpz. 1830; von Fr. Gehlen, Essen 1835; von Strodtmann, Lpz. 1852. Lebensbeschreibungen u. Charakteristiken des H.: kurz bei Suetonius; Lessings Rettungen im 3. Bd. der Werke; Masson, Vita Horatii, Leyd. 1708; Teuffel, Charakteristik des H., Lpz. 1842; Derselbe, H., eine literatur-historische Übersicht, Tüb. 1843; Weber, H. als Mensch u. Dichter, Jena 1844.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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  • Horatius — [hō rā′shəs, hō rā′shē əs; hərā′shəs, hərā′shē əs] n. Rom. Legend a hero who defends a bridge over the Tiber against the Etruscans …   English World dictionary

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