Liebe [1]

Liebe [1]

Liebe, 1) ist das Gefühl, vermöge dessen der Mensch in dem Besitze eines Gegenstandes od. in dem Verkehr mit einer anderen Person die Quelle seiner eigenen Befriedigung, seines eigenen Glücks findet. Das wesentlichste Merkmal der L. ist aber diese Gebundenheit an den geliebten Gegenstand, die Unmöglichkeit, den letzteren ohne ein schmerzliches Gefühl zu entbehren; der Begleiter der L. ist bei jeder Trennung Schmerz u. Sehnsucht. Um jedoch den überaus vielgestaltigen Begriff der L. in seiner Allgemeinheit aufzufassen, ist dreierlei zu beachten, a) daß dieses Gefühl nicht blos auf Personen, auch nicht blos auf lebende u. empfindende Wesen, sondern auch auf Sachen, auf nicht empfindende, ja selbst leblose Gegenstände geht; das Kind liebt sein Spielzeug, ein Mädchen seine Putzsachen, der Geizhals sein Geld; das, was man Liebhabereien nennt, ist zum größten Theile diese Abhängigkeit des eigenen Wohlseins von dem Besitze bestimmter Gegenstände od. der Ausübung gewisser auf sie gerichteten Thätigkeiten (Liebhaberei an Büchern, Münzen, Gartenbau, Jagd etc.). b) Das Liebesgefühl als solches ist auch da, wo es Personen gilt, niemals ganz frei von der Rückbeziehung auf das eigene Glück, wie sehr auch der Liebende sein Glück in dem Glücke der geliebten Person finden mag; die dem fremden Wohlsein sich ganz uneigennützig widmende Gesinnung ist vielmehr das Wohlwollen, obgleich der Sprachgebrauch des gewöhnlichen Lebens beide Begriffe oft in einander fließen läßt, u. insofern nicht ohne Grund, als die L. verschiedene Persönlichkeiten dergestalt verschmilzt, daß für sie die Grenze zwischen dem eigenen u. dem fremder Ich fast verschwindet; andererseits erklärt sich daraus aber auch die nicht seltene Erscheinung, daß eine unerwiderte od. getäuschte heftige L. in bitteren Haß umschlägt. c) Die L. hängt nicht nothwendig ab von dem objectiven Werthe des geliebten Gegenstandes od. der geliebten Person, sondern von den subjectiven Bedingungen der Anhänglichkeit[359] u. des Wohlgefallens u. hat daher auch überall einen vorherrschend individuellen u. oft sehr veränderlichen Charakter. Innerhalb des weiten Kreises, welcher die Bedingungen für die Entstehung der L. darbieten kann, gestaltet sich nun dieses Gefühl, welches zu den allgemeinsten u. mächtigsten Triebfedern der menschlichen Thätigkeit gehört, in höchst verschiedenartiger Weise. Am wichtigsten wird es da, wo der Gegenstand der L. ein gleichartiges empfindendes u. denkendes Wesen, also ein Mensch ist; hier wurzelt die L. zum großen Theile in den Gewohnheiten des Verkehrs, der Gleichartigkeit der einander entgegenkommenden, sich gegenseitig ergänzenden geistigen Regsamkeit, so wie in den sympathetischen Gefühlen, welche die Menschen an einander knüpfen. Besonders hervorzuheben sind die Formen der L., denen natürliche Verhältnisse u. die mit ihnen verknüpften Empfindungen zu Grunde liegen; also namentlich die Anhänglichkeit der Stammes- u. Volksgenossen an einander, soweit ihre Interessen nicht unter einander collidiren, die L. zwischen Eltern u. Kindern, u. die zwischen Mann u. Weib, die Geschlechtsliebe. Diese ruht zunächst auf dem sinnlichen Triebe der Geschlechtsvereinigung; aber so wie bei dem Menschen die Natur dem Geschlechtstriebe die Scham zum Wächter gegeben hat, so wird der sinnliche Trieb erst dann L., wenn die Neigung in ihrer Richtung auf ein bestimmtes Individuum des anderen Geschlechts nicht nur Beharrlichkeit u. Ausschließlichkeit, sondern auch einen die Grenzen des bloßen Triebes überschreitenden geistigen Gehalt gewonnen hat, welcher den Beziehungen zwischen Mann u. Weib den Charakter eines geistigen Bandes verleiht. Auf der Geschlechtsliebe ruhen Ehe u. Familie (s.d.), u. somit die wichtigsten Factoren der menschlichen Gesellung; daher die Gestaltungen der Geschlechtsliebe u. des darauf gegründeten Familienlebens zu den wichtigsten Kennzeichen des Culturzustandes ganzer Völker u. Zeitalter gehören. So verschiedenartig die Formen der L. rücksichtlich ihrer Gegenstände sind, so verschieden sind sie auch rücksichtlich der Art u. des Umfanges, in welchen sie das Gemüth des Liebenden ergreifen u. beschäftigen; von vorübergehender Neigung bis zu unerschütterlicher Gesinnung, von leichter Aufregung des Gemüths bis zu verzehrender Leidenschaft, von ruhiger Hingabe u. Anhänglichkeit bis zu den gewaltsamsten Aufregungen durchläuft die L. die mannigfaltigsten Grade u. Abstufungen der Dauer u. Stärke, u. Ausdrücke, wie Liebesfieber, Liebeswuth, Liebeswahnsinn, Liebestaumel etc. bezeichnen psychische Phänomene, in welchen die L. das innere Gleichgewicht in einer krankhaften Weise zu erschüttern u. bisweilen sogar die geistige Gesundheit zu zerstören im Stande ist. Da die L. als solche keine Bürgschaft für den wahren Werth des geliebten Gegenstandes od. der geliebten Person darbietet, so ist sie nicht zu verwechseln mit der Achtung, als der Anerkennung des fremden wirklichen persönlichen Werthes. Es kann Achtung geben ohne L., u. L., wo die Frage nach dem inneren Werthe der geliebten Person für den Liebenden wenigstens nicht das allein entscheidende Moment ist; aber der sittlich gebildete Mensch wird nicht auf die Dauer lieben können, wo er unfähig ist zu achten od. genöthigt wäre zu verachten. Daher streben alle Formen einer sittlich veredelten L. zur Freundschaft als der Verknüpfung der L. mit der Achtung. Wo das Edle, das wahrhaft Schöne u. Gute dem Menschen als das ausschließend Liebenswürdige erscheint, erheben sich seine liebenden Neigungen in eine ideale Region, u. es ist eines der Verdienste Platons (s.d.), diese Erhebung u. Veredlung des Liebesgefühls in anmuthiger Schönheit geschildert zu haben, obwohl man den Ausdruck Platonische L. häufig nur von einer Form der Geschlechtsliebe versteht, für welche der sinnliche Trieb als Motiv der Verknüpfung od. Quelle der Befriedigung entweder ganz fehlt, od. hinter die geistigen Beziehungen zurücktritt. In diese Region gehört nun die L. zur Tugend, zur Wahrheit, zu Gott, als dem Inbegriff aller Vollkommenheit; Gefühlsformen, welche sämmtlich, sowie die ihnen verwandten, einen idealen Inhalt u. eine ideale Richtung des Glaubens u. Denkens voraussetzen, vermöge deren der Mensch einer Idee nicht nur einen Werth, sondern auch eine solche Beziehung auf sein eigenes geistiges Leben beilegt, daß, ihr sich zu widmen, für ihn selbst die Quelle der Befriedigung u. des Glückes wird. Überhaupt ist das, was, u. die Art, wie der Mensch liebt, eines det durchgreifendsten Merkmale für die Richtung, den Umfang u. die Höhe seines geistigen Gesammtlebens; 2) Liebe Gottes (Amor Dei), in der Dogmatik die Eigenschaft Gottes, daß er den lebenden Geschöpfen so viel an leiblichen u. geistigen Gütern gewährt, als sie zu ihrem Leben, Endzweck u. Handlungen brauchen. Sie ist allgemein, unermeßlich, frei (von den Menschen unverdient), mit seiner Weisheit u. Gerechtigkeit im Einklang, ewig. Sie zeigt sich als a) Gnade, weil Gott die Menschen ohne ihr Verdienst liebt; b) Barmherzigkeit, sofern er seine Liebe den Unglücklichen beweiset u. den Sündern vergibt; c) Geduld, sofern er der Sünder schonet; d) Langmuth, sofern er die Strafen aufschiebt; e) Güte, sofern er die Strafen, wenn sie erfolgen müssen, mildert. Dagegen soll der Mensch Gott wieder lieben, d. h. an ihm, welcher uns zuerst geliebt hat, höchstes Wohlgefallen haben, seiner stets mit kindlicher Freude gedenken u. ihm zum Wohlgefallen leben. Vgl. Mutschelle, Kenntniß der Liebe des Schöpfers, 1785.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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