Lutherische Kirche

Lutherische Kirche

Lutherische Kirche, die kirchliche Gemeinschaft derer, welche dem Bekenntniß der von Lutber aufgestellten Glaubenslehre folgen, wie diese in[623] den Symbolischen Büchern des Lutherschen Lehrbegriffs, namentlich anfangs in der Augsburgischen Confession u. schließlich in der Concordienformel enthalten ist. Dies Bekenntniß nennt man das Lutherthum, die Glieder der L-n K. Lutheraner. Das Entstehen der L-n K. wurzelt in der Protestation, welche die Evangelischen Stände auf dem Reichstag zu Speier 1529 gegen den kaiserlichen Abschied wegen ihres Verhaltens in Religionssachen einlegten, daher heißt sie eigentlich die Protestantische Kirche (s.d.), od. weil ihr Bekenntniß allein in der Bibel begründet ist, die Evangelische, u. zwar die Evangelisch-Lutherische Kirche, zum Unterschied von der in einigen Dogmen abweichenden u. von ihr sich absondernden, übrigens auf gleichem Grunde mit ihrem Bekenntniß ruhenden Reformirten Kirche (s.d.). Beide Schwesterkirchen bilden den Gegensatz zu der, ihre Dogmen auch aus anderen Quellen schöpfenden Katholischen Kirche. Evangelische Kirche nennt man jetzt gewöhnlich die Vereinigung der Lutherischen u. Reformirten Kirche, welche in neuerer Zeit in mehreren deutschen Staaten zu Stande gebracht worden ist (s. Union). Der Name Lutherisch für Anhänger Luthers wurde zuerst von Eck, bei Publication der päpstlichen Bannbulle, u. vom Papst Hadrian VI. als Ketzername gebraucht u. dann von denselben, obgleich gegen Luthers Willen, beibehalten.

Das Lutherthum fand bald nach dem Reichstag in Worms (1519) Anhänger u. Ausbreitung (s.u. Reformation), Johann der Beständige, Kurfürst von Sachsen, wie schon sein Bruder u. Vorgänger Friedrich der Weise, waren der Sache Luthers zugethan, ebenso der Landgraf Philipp von Hessen; in Preußen wurde die Lutherische Lehre durch den Bischof von Samland, Georg von Polentz, eingeführt (1523), u. so hatten sich schon zu Ausgang des Jahres 1525 drei Fürsten (Sachsen, Hessen u. Preußen) für dieselbe entschieden. In den Reichsstädten, wo der Volkswille galt, fand die Reformation leicht Eingang, in Württemberg wurde sie noch unter Herzog Ulrich eingeführt 1534, in den Stiftern Magdeburg u. Halberstadt 1541, in Braunschweig um 1545 etc. In Ungarn u. Siebenbürgen nahm die deutsche (sächsische) Nation das lutherische Bekenntniß an, während die magyarische dem reformirten folgte. In Schweden predigten Luthers Schüler Oluf u. Lorenz Peterson, u. König Gustav Wasa war ein mächtiger Förderer der lutherischen Sache, u. auf dem Reichstage in Westerås (1544) wurden die letzten Rechte des Papstthums entfernt. In Dänemark hatte Christian II. schon 1527 die Reformation begünstigt, auch Friedrich I. war ein aufrichtiger Lutheraner, u. Christian III. ließ durch Bugenhagen eine Kirchenordnung einführen. Riga u. Kurland trat 1538 dem Schmalkaldenschen Bunde bei; der Heermeister Konrad Kettler machte sich 1561 zum Herzog von Kurland u. erklärte sich für die L. K., s.u. Reformation. Gegenwärtig ist (mit Ausnahme der Unirten od. Evangelischen) die L. K. Staatskirche in Braunschweig, Dänemark, Hannover, Mecklenburg, Olderburg, Reuß, den sächsischen Ländern, Schwarzburg, Schweden u. Württemberg.

Schon bei Lebzeiten Luthers hatte die L. K. der Katholischen gegenüber eine feste Gestaltung gewonnen, seit die. Augsburgische Confession ein Panier geworden war, unter welchem sich die Anhänger Luthers schaarten. In den der Augsburgischen Confession folgenden Schriften wurde die neue Lehre ihren Fundamenten nach theils fester begründet (Apologie der Augsburgischen Confession, Schmalkaldische Artikel), theils dem Volke zugänglich gemacht (Kleiner u. Großer Katechismus); doch war die Lehr entwickelung noch nicht abgeschlossen, vielmehr lag in den Persönlichkeiten Luthers u. Melanchthons selbst der Grund zu manchen dogmatischen Verschiedenheiten, u. nach Luthers Tode drohte die L. K. sich in zwei Hälften zu zerspalten. Der milderen, unistischen Richtung Melanchthons u. seiner Partei (Philippisten) trat die strenge lutherische Partei (vorzugsweise Lutheraner genannt) unter Amsdorf, Flacius u. Wigand entgegen, welche der Katholischen u. Reformirten Kirche gegenüber die Unterscheidungslehren schärfer betonte u. zu einem bestimmten Abschluß drängte. Wittenberg war philippistisch gesinnt, während Magdeburg eine Zufluchtsstätte für die lutherischen Theologen war u. Jena eine Burg des echten Lutherthums wurde. Die nun ausbrechenden Streitigkeiten wurzelten in der verschiedenen Stellung beider Parteien, theils zum Katholicismus, theilszum Calvinismus. Gegen die Katholische Kirche bezogen sich diese Streitigkeiten theils auf die Glaubenslehren über die Erlösung u. Rechtfertigung, u. zwar in den Antimonistischen Streitigkeiten (1537–40) über das Verhältniß zwischen Gesetz u. Evangelium, im Osiandrischen Streite (1550–67) über den Begriff der Erlösung u. Rechtfertigung u. in den Synergistischen Streitigkeiten (1550–70) über die Zulässigkeit u. Bedeutung eines menschlichen Mitwirkens nach od. neben dem göttlichen Alleinbewirken der Erlösung u. Rechtfertigung; theils auf das praktische Religionswesen über die Gleichgültigkeit unterscheidender Gebräuche im Adiaphoristischen Streite (1550–55). Gegen den Calvinismus erstreckten sich die Streitigkeiten vorzugsweise auf das Dogma vom Abendmahl, umfaßten aber im Grunde die ganze Wesensverschiedenheit zwischen Lutherthum u. calvinisirendem Philippismus (Kryptocalvinistischer Streit). Diese Streitigkeiten beizulegen u. im Innern der Kirche zu einem Abschluß u. einer Einigung zu gelangen, war der Zweck der Concordienformel, welche nach mehrern vergeblichen Versuchen auf dem Kurfürstentage in Frankfurt (1558), auf dem Fürstentage in Naumburg (1561) u. auf dem Altenburger Colloquium (1568) in Kloster Bergen bei Magdeburg 1577 zu Stande kam (s. Concordienformel). Dieses Concordienwerk ist der letzte Act der symbolischen Gestaltung der L-n K. gewesen; die Ausbildung der lutherischen Dogmatik erlangte ihren Höhepunkt durch Joh. Gerhard. Aber auch nach dem Erscheinen der Concordienformel dauerten die Glaubensstreitigkeiten fort; sie waren hervorgerufen durch die im 17. Jahrh. einreißende starre u. todte Orthodoxie, so in Beziehung auf die Theologie der Synkretistische Streit (s.d.) gegen Georg Calirius, in welchem Abrah. Calov an der Spitzeder Orthodoxen gegen Calixts Ansicht, eine gegenseitige Duldung der verschiedenen Kirchen seidurch das Zurückgehen auf die Übereinstimmung der fünf ersten Jahrhunderte als der gemeinsamen Basis aller Kirchen zu bewerkstelligen, kämpfte, u. in Rücksicht auf das religiöse Leben der Pietistische Streit (s.d.), in welchem Joh. Jak. Spener u. Aug. Herm. Francke gegen Joh. Bened. Carpzov u. Valent. Ernst Löscher das äußere Bekenntniß zu einer lebendigen Herzenstheologie u. zur Bewährung derselben in einem frommen christlichen Wandel verinnerlichen wollten.

[624] Was die Versassung u. Organisation der L. K. betrifft, so wurden nach der sächsischen Kirchenvisitation zur Beaufsichtigung der Kirchen u. Schulen Superintendenten eingesetzt u. eine Sächsische Kirchenordnung abgefaßt, welche das Vorbild für die Organisation der übrigen deutschen Landeskirchen wurde. Die L. K. hielt die Mitte zwischen Hierarchie u. Cäsareopapie. Die Fürsten u. Magistrate übernahmen bei dem Nothstande der Kirche als Nothbischöfe die oberste Verwaltung u. Vertretung in kirchlichen Angelegenheiten u. übertrugen die Ausübung dieser Rechte u. Pflichten den Consistorien, d. h. besondern aus geistlichen u. weltlichen Mitgliedern zusammengesetzten Behörden. Dadurch entstand, indem der Nothstand allmälig in den rechtlichen Bestand überging, das Episkopalsystem, der Landesherr war zugleich oberster Bischof. Der Unterschied zwischen Clerus u. Laien hörte nach. Vorgang des neutestamentlichen allgemeinen Priesterthums der Gläubigen auf, weshalb auch eine hierarchische Gliederung der Geistlichkeit als dem Geist. des Christenthums widersprechend, dagegen eine Über- u. Unterordnung nach menschlichem Rechte als statthaft u. heilsam anerkannt wurde. In Beziehung auf den Cultus spricht sich Luther in der Formula missae von 1523 u. in der Deutschen Messe von 1526 dahin aus, daß der Gottesdienst nicht aufgehoben werden solle, ja daß der gegenwärtige Gottesdienst eine christlich seine Abkunft habe, aber vielfach verunreinigt sei, hauptsächlich dadurch, daß das Wort Gottes geschwiegen werde; Reinigung, Erneuerung u. Fortbildung desselben wurde durch Rückkehr auf den biblischen Grund u. die altkatholische Zeit vollzogen. Das Abendmahl, welches wieder in seine ursprüngliche Geltung eintritt, macht den Schlußtheil von jedem vollständigen Hauptgottesdienst aus; diesem Theile vorausgeht das Amt des Wortes, der Predigttheil, u. die freie Verkündigung desselben bildet den Mittelpunkt des ganzen Gottesdienstes. Die Gemeinde sollte zur lebendigen Theilnahme am Gottesdienst herangezogen, u. derselbe daher in der Landes sprache abgehalten werden. Luther drang zugleich auf eine reiche Gliederung des Gottesdienstes durch Beibehaltung od. Einrichtung von Morgen- u. Abend- u. Wochengottesdiensten, vor allen auf Entfaltung des Gemeindegesangs. Aus diesen Anschauungen heraus entwickelte sich dann in der Praxis der Gottesdienst von sogenanntem Lutheri, schen Typus in den Kirchenagenden des 16. u. 17. Jahrh. Im nördlichen, östlichen u. mittleren Deutschland schließt man sich noch an die Wittenbergsche Ordnung, u. da ist der Gottesdienst verhältnißmäßig lang u. liturgisch reich ausgestattet. Diese in der Reformationszeit festgestellten Formen wurden durch den im 18. Jahrh. eintretenden Umschwung der Theologie mehr od. weniger durchbrochen u. alterirt, meist freilich in nicht glücklicher Art. Daher dachte man, als eine Erneuerung des religiösen Lebens eintrat, auch in dieser Beziehung auf Abhülfe, u. diesem Bestreben verdankt die preußische Agende (1824) ihren Ursprung wenigstens mit; doch war wie die Art ihrer Einführung so auch das Ganze ein Bruch mit dem ursprünglich Lutherischen Typus. Als dies erkannt wurde, versuchte man die in der Agende vorgeschriebene Form mit demjenigen in Übereinstimmung zu bringen, was noch Gutes in den Gemeinden lebte; nichts desto weniger hatte die Sache auch so noch viel Unvollkommnes, weshalb in Preußen in der neusten Zeit noch mehr Annäherung an den frühern lutherischen Ritus eingeführt worden ist. Man fing an, entweder eine unbedingte Repristination des Reformatorischen zu empfehlen (Höfling, Kliefoth), od. dringt auf Vermittelung mit dem historisch Gegebenen u. zwischen den wohlbegründeten Anschauungen der Gegenwart u. den Bedürfnissen der Gemeinden.

Bei dem Umschwung in der Theologie im 18. Jahrh. suchte Götze in Hamburg gegen Lessing u. der Minister Wöllner in Preußen durch das Religionsedict die Sache der L. K. mit Eifer, obschon nicht mit Erfolg, zu vertheidigen. Besonders aber erhoben sich im 19. Jahrh. die othodoxen Lutheraner gegen die Unionsversuche (s.u. Union) u. gegen die Agende (s.d.), indem sie sich gegen die Verschmelzung der Lutherischen u. Reformirten Kirchen entschieden erklärten u. der L-n K. in Lehre, Cultus u. Verfassung ihre volle Reinheit u. Selbständigkeit zu sichern suchten. Hierbei geriethen aber die Lutheraner, nun gewöhnlich Altlutheraner genannt, in Conflicte mit den Staatsregierungen, welche sich von Preußen aus anderen Ländern mittheilten, u. des Schlesien wurde der Kampfplatz des sogenannten Agendenstreites (s.u. Agende). Am thätigsten waren hierbei die Prediger Scheibel, Berger, Wehrhahn u. Kellner in Hönigern u. selbst ein beruhigender königlicher Erlaß vom 28. Februar 1834 über den Fortbestand der Bekenntnißschriften war ebenso erfolglos, als ein Rescript des Consistoriums zu Breslau vom 15. Mai 1834, welches von den der Union nicht beigetretenen Geistlichen den Gebrauch der erneuerten Agende von 1829 forderte u. das öffentliche Polemisiren gegen die Union untersagte. Wegen Verletzung dieser Verbote wurden jene Geistlichen 1834 suspendirt, u. in Hönigern mußte selbst Militär wegen Öffnung der Kirche (24. Dec. 1834) requirirt werden. Ähnliche Differenzen entstanden in Halle durch Professor Guerike, welchen die Regierung 1836 entsetzte. Allein die Lutheraner gaben ihre Sache nicht auf, sie beschlossen vielmehr auf einer im Februar 1835 in Breslau gehaltenen Synode, alle gesetzlichen Mittel anzuwenden, um die bedrohte L. K. zu retten, Reiseprediger wanderten umher, tauften die Kinder u. reichten das Abendmahl, u. es bildeten sich in Berlin u. Erfurt neue Gemeinden, in der Mark u. in Schlesien wurde eine besondere apostolische Kirchenverfassung von ihnen angenommen. Indeß gab es unter den Lutherisch Gesinnten selbst neben der strengeren Partei, welche dem Ausscheiden aus der Landeskirche das Wort redete, eine gemäßigtere (unter ihnen Guerike), welche ihre lutherischen Tendenzen innerhalb der Landeskirche, soweit es nach den gesetzlichen Concessionen gestattet war, verfolgte. Hierdurch reiste allmälig der Entschluß zu einer großen Auswanderung nach Australien, die trotz Concessionen seitens der Regierung, unter Führung Kavels, erfolgte, wobei sich auch Lutheraner in Sachsen unter Stephan, in Württemberg u. dem Wupperthale anschlossen. Bereits von 1838 an, bes. aber seit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV in Preußen 1840 trat gegen die Lutheraner eine mildere Stimmung ein, u. es erging den 23. Juli 1845 die königliche Generalconcession für die von der Gemeinschaft der Evangelischen Kirche sich getrennt haltenden Lutheraner (Separirte Lutheraner). Hiernach ist es denselben gestattet zu[625] besonderen Kirchengemeinden zusammenzutreten u. einen Verein dieser Gemeinde unter einem gemeinsamen Vorstande zu bilden, welcher dem Kirchenregimente der Evangelischen Landeskirche nicht untergeordnet wird. Eine solche Kirchengemeinde, zu deren Bildung die Genehmigung des Staates erforderlich ist, hat die Rechte einer moralischen Person, sie kann Geistliche vociren, welche der Vorstand confirmirt u. ein ordinirter Geistlicher ordinirt. Die von diesen Geistlichen vorgenommenen Taufen, Confirmationen, Aufgebot u. Trauungen haben Gültigkeit u. ihre Kirchenregister öffentlichen Glauben. Die Verpflichtung zu den aus der Parochialverbindung fließenden Abgaben u. Lasten wird nach den Bestimmungen des Landrechts beurtheilt. Hierauf constituirten sich die Lutheraner durch Einsetzung eines Oberkirchenraths (1841) unter dem Präsidium des Professors Huschke, u. diese Behörde bildete von nun an die oberste Kirchenbehörde für die Lutheraner in Preußen. Sie besteht aus vier ordentlichen Mitgliedern, wird von der Synode controlirt u. hat für die Reinheit der Kirche in Lehre u. Wandel, für die Annahme neuer Gemeinden, für Regelung der Parochialverhältnisse u. für Anstellung der Geistlichen zu sorgen; auch steht ihr die Entscheidung bei der Anklage der Kirchen- u. Schulbeamten des höheren Lehrstandes, die Aufsicht über das Rituelle, das Dispensations- u. Censurwesen, die Berufung der Synoden etc. zu; den Geistlichen wird ihr Unterhalt durch eine fixirte Einnahme u. durch Accidenzien gewährt. Bei der Kirchenzucht handelt es sich um Ermahnung, Ausschließung vom Abendmahl, Abbitte nach verschiedenen Graden u. vollständige Ausschließung. Der Gottesdienst wird nach den üblich gewesenen Agenden gehalten, das Predigen über freie Texte setzt die Genehmigung derselben durch das Oberkirchencollegium voraus, das Abendmahl ist ein Theil des Gottesdienstes. Die L. sind nicht gehalten, ihre Kinder in unirte Schulen zu schicken. Hierdurch gewann die Lutherische Kirche in Preußen eine bestimmte Grundlage; bereits 1847 standen unter dem Oberkirchencollegium 21 vom Staate anerkannte Gemeinden, zusammen mit 19,000 Seelen, von denen die meisten in Schlesien (10 Gemeinden mit 8400 Mitgliedern) die wenigsten in Westfalen u. in der Rheinprovinz sich befanden. Neben diesen separirten Lutheranern gab es noch eine große Zahl von Lutherisch Gesinnten, welche aber unter den von der Staatsregierung gewährten Concessionen in der Landeskirche blieben. Außerhalb Preußens erregte bes. auch eine altlutherische Bewegung in Nassau 1846 durch Brunn in Steeten bei Runkel Aufsehen; jedoch wurde der Bildung einer altlutherischen Gemeinde von der Regierung u. den Ständen die Anerkennung versagt. Die Verbindung der L. wurde theils durch literarische Organe (z.B. die Zeitschrift für lutherische Theologie von Rudelbach u. Guerike u. die für Protestantismus u. Kirche von Harleß u. And., u. durch mehrere populäre Blätter, wie den Pilger aus Sachsen, das Sonntagsblatt etc.), theils durch Versammlungen in Berlin, Triglaff u. Gnadau, theils durch die Lutherischen Conferenzen in Leipzig seit 1843 vermittelt.

Mit den Bewegungen des Jahres 1848 trat die Sache der Altlutheraner in ein neues Stadium, indem dieselben die geforderte Trennung des Staates u. der Kirche für ihre Zwecke zu benutzen u. namentlich der staatskirchlichen Union cntgegenzuwirken suchten. Mittlerweile blieb indeß der Zwiespalt zwischen den Lutheranern innerhalb der Union u. den separirten Lutheranern, es machte sich die Meinung geltend, daß lutherisch gesinnte Geistliche gewissenshalber nicht in der Union verbleiben könnten, u. nun traten auch die Lutheraner, welche sich dem Kirchenregiment nicht entziehen wollten, in einen engeren Verkehr unter Göschel, Stahl, Heubner, Schmieder u. vereinigten sich, unterstützt von der Hengstenbergischen Kirchenzeitung u. von den lutherischen Provinzialvereinen, in Sachsen, Pommern, Schlesien u. Posen am 19. Sept. 1849 in Wittenberg über folgende noch jetzt gültige Sätze: Wir stehen auf dem Bekenntnisse der Evangelisch-Lutherischen Kirche, unsere Gemeinden haben rechtlich nie aufgehört lutherische Gemeinden zu sein; wir fordern die Anerkennung u. Durchführung des lutherischen Bekenntnisses in Cultus, Gemeindeordnung u. Regiment; als nächstes Ziel gilt die Befreiung des Altardienstes von aller Zweideutigkeit u. Ausprägung des Bekenntnisses im gesammten Gottesdienste, ferner eine die confessionelle Selbständigkeit verbürgende Leitung im Kirchenregiment, endlich die Bewahrung der lutherischen Grundsätze auch in der Gemeindeverfassung. Diese Zwecke aber wollten sie nicht auf dem Wege des Austritts, sondern durch Kampf für das gute Recht der Lutherischen Kirche auf dem ihr zuständigen Gebiete innerhalb der Landeskirche erreichen. Von nun an wurde das Verhältniß der in der Landeskirche bleibenden u. der separirten Lutheraner immer feindseliger. Neben diesen inneren Streitigkeiten gab es aber auch Differenzen mit dem Kirchenregimente, namentlich für die Lutheraner innerhalb der Landeskirche, theils wegen der Errichtung des Oberkirchenrathes (1850), theils wegen der proponirten evangelischen Gemeindeordnung, indem man das Bekenntniß nicht genügend gesichert fand. Bei diesen Differenzen suchte der Oberkirchenrath durch manche Concessionen den Frieden herzustellen, allein da die Lutheraner immer mehr forderten, z.B. Aufhebung unirter Behörden, Einsetzung rein lutherischer Facultäten, Herausgabe des Kirchenguts etc., so trat endlich die Cabinetsordre vom 12. Juli 1853 diesen Tendenzen entschieden entgegen. Aber nicht blos gegen das Kirchenregiment, sondern auch gegen andere Erscheinungen traten die L. auf, z.B. 1849 gegen die Innere Mission (s.d.) wegen Nichtachtung des Bekenntnisses u. der Gemeindegrenzen, gegen den Gustav-Adolfverein (s.d.), gegen den auf dem Kirchentage zu Wittenberg 1849 gefaßten Gedanken einer Conföderation der Kirchen. Auch in anderen Ländern dauerten die Bestrebungen der L. fort. In Baiern hatten sie ihren Hauptstützpunkt in der Universität Erlangen u. in dem Präsidenten des Oberconsistoriums Harleß, doch konnten sie auf der Generalsynode zu Ansbach ihre streng lutherischen Ansichten über Bekenntniß u. Kirchenregiment u. Veränderungen in Liturgie, Beichte u. Kirchenzucht 1856 wegen starken Widerspruchs der Gemeinden nicht durchsetzen. Auch hier gab es eine strengere Partei (Pfarrer Löhe u. Wucherer), welche gegen die Abendmahlsgemeinschaft mit den Reformirten u. vom Austritt aus der Landeskirche sprachen, wogegen das Oberconsistorium wirkte. Auch in Nassau, den beiden Hessen, Hannover, in den Sächsischen Herzogthümern hatten die strengen L. ihren Anhang u. in den Missionsfesten in der Negel[626] ihren Mittelpunkt. In Baden kam es durch den Pfarrer Eichhorn unter vielen Kämpfen mit der Regierung 1856 zu einer gesetzlichen Separation von der Landeskirche, während in Sachsen die bes. im Schönburgischen verbreiteten streng lutherischen Geistlichen durch die Stephansche Auswanderung sehr in der öffentlichen Meinung verloren hatten. Dabei fehlte es innerhalb der Partei nicht an wissenschaftlichen Differenzen, z.B. zwischen Hofmann in Erlangen u. Philippi in Rostock über die Versöhnungslehre u. in Mecklenburg mit Professor Baumgarten, dessen Amtsentsetzung 1858 erfolgte. Eine gemischte Versammlung in Rothenmoor 1858 vertrat das strengste Lutherthum, das hier bes. Kliefoth pflegte. Einen bedeutenden Aufschwung nahm die Sache der Lutheraner in Amerika bes. durch das Deutschlutherische Predigerseminar bei Fort Wayne (Indiana), welches lutherische Geistliche u. Schullehrer bildet. In Deutschland nennt man zuweilen die Anhänger der gemäßigteren Richmng Neulutheraner. Der Einfluß der Parteiführer auf die Gemeinden war bes. wegen ihrer exclusiven Richtung nur gering, u. nur einzeln z.B. in Herrmannsburg (s.d.) unter Pfarrer Harms bedeutend. Vgl. F. I. Stahl, Die lutherische Kirche u. die Union, Berl. 1859.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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