Passionsspiele

Passionsspiele

Passionsspiele, eine Art geistliche Schauspiele, welche die Leidensgeschichte Christi zum Gegenstand haben. Um einestheils die Feier der christlichen Feste zu erhöhen u. deren Bedeutung den Laien klar zu machen, anderntheils um dem Volke für seine althergebrachten weltlichen Lustbarkeiten u. Spiele, welche die Geistlichkeit als anstößig zu verdrängen suchte, einen Ersatz zu bieten, wurden schon früh im Mittelalter Stoffe der Biblischen Geschichte, zunächst des Neuen Testaments, dramatisirt u. zu Ostern, Pfingsten u. Weihnachten öffentlich aufgeführt. Diesem Zwecke entsprechend waren die Kreuzigung, das Begräbniß u. die Auferstehung Christi diejenigen Stoffe, welche für diese Aufführungen gewählt wurden, erst später wurden andere biblische Geschichten u. die Legenden namhafter Heiliger dazu benutzt. Gehörten die Gegenstände der Bibel an, so hießen diese geistlichen Dramen Mysterien (s.d. 5), wenn aber der Legende, Mirakel; in Deutschland blieb für beide Gattungen lange Zeit hindurch bis gegen Anfang des 16. Jahrh. der Name Geistliches Spiel (Ludus paschalis etc.) üblich, als Unterarten unterschied man P., Osterspiele, Weihnachtsspiele etc. Anfangs scheint die Lateinische Sprache, wenigstens für den ernstern Theil der Handlung, gebraucht worden zu sein; später als sich Laien an der Aufführung derselben betheiligten, gewann allmälig das Deutsche das Übergewicht, welches sich in der ersten Hälfte des 14. Jahrh. behauptete. Als das älteste bekannte P. gilt der ganz lateinische Ludus paschalis de ad ventu et interitu Antichristi Wernher von Tegernsee (herausgegeben von Pez im Thes. noviss. anecdott. II. 3. p. 185 ff.), einzelne deutsche Einschiebungen zeigt bereits das Leiden Christi aus dem 13. Jahrh. (herausgegeben in Hoffmann's von Fallersleben Fundgruben, 2. Bd.). Da die P. von allen zur Aufführung gebrachten geistlichen Dramen die häufigsten waren u. in der Regel wohl auch zu den umfangreichsten gehörten (die vollständige Darstellung wurde auf 2 od. 3 Tage vertheilt), so liegt es in der Natur des Gegenstands, daß die Texte derselben viel Gemeinschaftliches haben müssen, wie denn überhaupt wohl meist eine alte Grundlage benutzt u. neu bearbeitet od. auch nur durch einzelne eingeschobene Gesänge, Reden, Auftritte erweitert wurde. In solcher Vollständigkeit hat sich aus der Zeit vor der Reformation bis jetzt nur ein P., das sogenannte Alsfelder (darüber Vilmar im 3. Bde. von Haupt's Zeitschrift für deutsches Alterthum), in einer erst dem Ende des 15. Jahrh. angehörigen[732] Aufzeichnung vorgefunden; von einem zweiten, das jedenfalls viel älter ist, findet sich nur eine Art von Auszug, bloß die Anfänge der Reden u. Gesänge bietend, zu Frankfurt (vgl. Fichard im Frankfurter Archiv, Bd. 3). P. in dieser althergebrachten Art wurden das ganze 16. Jahrh. hindurch u. noch lange nachher abgefaßt u. an öffentlichen Plätzen aufgeführt. Hans Sachs brachte 1558 die ganze Passion in eine Tragödie von 10 Acten. Auch die Gelehrtendichtung bemächtigte sich des Stoffs; Joh. Klaj dichtete, vielleicht durch eine lateinische Tragödie des Hugo Grotius angeregt, ein Drama »Der leidende Christus« (Nürnb. 1645). Die Passionsgeschichte kam neben der Auferstehung auch sehr häufig in Schulen zur Aufführung; allmälig jedoch, als die Oper in Aufnahme kam u. daneben die Oratorien beliebt wurden, ging die Passion wie auch andere biblische Stoffe mehr in diese beiden Formen ein, u. namentlich wurde die Passion nun ein Hauptgegenstand für das Oratorium, dessen Zeit etwa um 1700 in Deutschland begann. Dasselbe war schon lange Zeit vorbereitet: in der Kirche durch das während der Charwoche herkömmliche Absingen der Passionsgeschichte aus den Evangelien des Matthäus u. Johannes (zu der Passionsmusik von Seb. Bach, welche an den Charfreitagen in der Protestantischen Kirche gesungen zu werden pflegt, lieferte Henrici den Text), in der Gelehrtendichtung durch die geistlichen Trauer- u. Freudenspiele Joh. Klaj's, worunter das erwähnte von der Passion. Schon Chr. Weise fand es jedoch bedenklich, evangelische Geschichten zur Darstellung zu bringen; das von Opitz begründete deutsche Kunstdrama ließ dieselbe ganz fallen. Die Sitte geistliche Dramen in der Art der alten Mysterien öffentlich aufzuführen hat sich jedoch an vielen Orten der katholischen Länder bis in die späteste Zeit erhalten; am bekanntesten geworden sind die Bauernspiele (s.d.), welche noch gegenwärtig alle Jahrzehnte im Oberammergau in Baiern zur Aufführung kommen. Dieselbe findet hier in Folge eines Gelübdes der Gemeinde i. J. 1633 bei einer Seuche, immer nach je 10 Jahren (zuletzt 1850 u. 1860) zwölfmal im Laufe des Sommers vom Mai bis zum Sept. statt. Man hat noch den Text u. die Musik, welche von den Mönchen des Klosters Ettal im 17. Jahrh. verfaßt wurden; doch wird gegenwärtig seit 1811 eine, von dem Benedictiner O. Weiß besorgte Bearbeitung gebraucht. Die einfache Bühne für diese, meist an Festtagen stattfindenden Vorstellungen ist auf einer Wiese bei Oberammergau; sie stellt Ansichten aus Jerusalem dar. Das. P. beginnt mit dem Einzuge Christi in Jerusalem u. schließt mit der Auferstehung, worauf am Schlusse Christus als der Triumphirende erscheint, wo dann Alles die Knie beugt. Als Einleitung werden alttestamentliche Ereignisse, sofern sie mit der Christologie in irgend einer Verbindung stehen, als lebende Bilder dargestellt, ein Chor, welcher zugleich die Verbindung derselben mit der Handlung vermittelt, u. ein bes. vertheiltes Textbuch (Spielbüchlein) erläutert sie. Die Darsteller sind Einwohner von Oberammergau, welche in der Zwischenzeit mit theatralischen Übungen beschäftigt werden, u., wie überhaupt die P., unter der Leitung des Pfarrers u. eines Vorstandes stehen. Manche Rollen erben in den Familien fort. Die Zahl der Mitspielenden beträgt 400, die mit der Garderobe, den Decorationen, der Musik etc. Beschäftigten, an 200. Das Theater faßt gegen 6000 Zuschauer u. ist stets voll; die bedeutenden Einnahmen werden nach Abzug des Aufwandes für Baulichkeiten, Kleidung etc. u. der verhältnißmäßig geringen Entschädigung für die Mitspielenden, zum Besten der Gemeinde verwendet. Vgl. Ed. Devrient, Das P. in Oberammergau, Lpz. 1851; L. Clarus, Das P. zu Oberammergau, München 1860.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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