Reichsritterschaft [1]

Reichsritterschaft [1]

Reichsritterschaft, sonst der in den verschiedenen Kreisen Deutschlands angesessene, in den Gütern, welche sie als Reichsritter besaßen, keinem Fürsten, sondern dem Kaiser u. dem Reich unmittelbar unterworfene Adel, doch ohne Reichsstandschaft u. Stimmen auf dem Reichstag. Die reichsunmittelbare Ritterschaft zählte in ihren Herrschaften 300,000 Ew. In ihren Herrschaften besaßen sie alle Rechte der reichsunmittelbaren Fürsten u. also auch die Gerichtsbarkeit, übten diese Rechte jedoch in der Regel unter den Kanzleien der Cantone, an welche die Unterthanen appellirten, u. der Reichsgerichte, welche die verklagten unberechtigten Anmaßer höherer Rechte, als ihnen das Herkommen gab, tüchtig zu strafen pflegten. In einigen Herrschaften bestimmten Verträge mit den Unterthanen deren Rechte. Bisweilen eigneten sich die Reichsritter die Disposition über die Gemeinheiten zu u. nahmen von dem Werth der Güter der ihr Gebiet verlassenden Unterthanen den dritten Theil des Verkaufswerths der Grundstücke, auch außerdem den Blut- u. Naturzehnten von allen Früchten aus ihrem Gebiet, Schutzgeld u. Bodenzins, Judenzins, doch alles nur kraft der Contracte od. des erweislichen Herkommens ihrer Vorfahren. Die R. theilte sich in drei Ritterkreise od. Klassen: a) der Fränkische Ritterkreis zerfiel in die Cantone (Orte): Odenwald, Gebirg, Rhön u. Werra, Steigerwald, Altmühl, Baunach; b) der Schwäbische in die Cantone an der Donau, im Heggau, Bodensee u. Allgäu, am Neckar, Schwarzwald u. der Ortenau, am Kocher u. am Kreichgau; c) der Rheinische in die Cantone Gau u. Wasgau, Wetterau, Westerwald u. Rheingau, Niedermünster am Hundsrück u. Eberwald. Jeder Ritterkreis hatte seinen Director u. alle drei ein Generaldirectorium, welches wechselte; jeder Canton seinen Ritterhauptmann u. gewisse ihm zugegebene Ritterräthe u. Ausschuß. Die Ritterschaft hielt zuweilen Rittertage, entweder allgemeine, wo alle drei Ritterkreise zusammentraten, od. besondere, wo die Ritterhauptleute u. Ausschüsse sich versammelten. Auch Ortsconvente hatte man in den einzelnen Cantonen. Die spätern Kaiser gaben der R. besondere Privilegien, so Rudolf II. 1600. Sie verlangte 1686 drei Vota curiata auf dem Reichstage u. Stimmen im Reichsfürstenrathe gleich nach den Grafen, konnte sie aber nicht erlangen; doch wurde sie in öffentlichen Schriften des Reichstags stets ausdrücklich erwähnt. Ehedem leistete sie persönliche Kriegsdienste, seit Karl V. 1528 wurde dies aber durch eine Geldhülfe für den Krieg unter dem Namen Subsidia charitativa (Charitativgelder) ausgeglichen, welche die Reichsritter wieder von ihren Unterthanen nahmen. In ihnen bestanden bes. die Einkünfte der Kaiser. 1559 erhielt sie von Ferdinand I. bedeutende Privilegien u. 1566 durch Maximilian II. eine völlige Verfassung. Der Reichsdeputationshauptschluß von 1803 erkannte das Fortbestehen der R. zwar an, dessenungeachtet bemächtigte sich aber Baiern der in den ihm zugesprochenen Bisthümern Bamberg u. Würzburg gelegenen reichsritterschaftlichen Gebiete, begehrte die Huldigung der R. u. behandelte sie als Vasallen. Zwar protestirte die R. hiergegen, u. der Kaiser befahl dem Kurfürsten von Baiern die R. unangetastet zu lassen, aber Baiern behielt[954] das in Besitz Genommene. Auch die andern Fürsten, in deren Gebiet reichsritterliche Besitzungen lagen, griffen im December 1803 zu, u. Oranien, Hessen-Kassel u. Hessen-Darmstadt, Isenburg, Leiningen, Hohenlohe, Salm, Nassau besetzten die reichsritterschaftlichen Güter. In diesem unentschiedenen Zustande blieb es bis 1804, wo dringende Ermahnungen des deutschen Kaisers u. Rußlands einige Fürsten bewogen, ihre bisherigen Maßregeln gegen die Reichsritter wieder aufzuheben. Andere ließen die Besitznahme bestehen, u. so blieb es bis 1806, wo mit der Aufhebung des Deutschen Reichs die R. überall mediatisirt wurde. Nach der Mediatisation traf sie die Grundsteuer in ihren Domänen, u. den Bauern mußten sie auch oft Nachlaß geben, wenn diese bei den ritterschaftlichen Belastungen die neuen Lasten der Souverainetät nicht tragen konnten. Vgl. K. H. Freiherr von Schreckenstein, Geschichte der ehemaligen freien Reichsritterschaft in Schwaben, Franken u. am Rheinstrom, Tüb. 1859.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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