Rothschild [2]

Rothschild [2]

Rothschild, das größte u. reichste aller Handelshäuser, gestiftet von 1) Mayer Anselm (Amschel), geb. 1743 in Frankfurt a. M.; er verlor schon im 11. Jahre seine Eltern, welche gewöhnliche Handelsjuden waren. Anfangs zum Rabbiner bestimmt, besuchte er die Schule in Fürth, kehrte jedoch nach einigen Jahren nach Frankfurt zurück, beschäftigte sich hier zunächst mit den praktischen Comptoirwissenschaften, vorzüglich mit Münzkunde, u. knüpfte durch diese manche Bekanntschaften an. Er stand hierauf mehre Jahre den Geschäften eines Wechselhauses in Hannover vor u. begründete, nach Frankfurt zurückgekehrt, mit einem ersparten unbedeutenden Capital ein eigenes Wechselgeschäft. Rechtlichkeit u. Pünktlichkeit erwarben ihm Vertrauen, bedeutende Aufträge u. wachsenden Credit. 1801 ernannte ihn der Landgraf, nachmaliger Kurfürst Wilhelm I. von Hessen-Kassel, welcher ihn bei früheren Einkäufen alter Münzen u. sonst als zuverlässigen Geschäftsmann kennen gelernt hatte, zum Hofagenten. 1802, 1803 u. 1804 contrahirte R. die erste Staatsanleihe von 10 Mill. Gulden mit Dänemark; dem Kurfürsten von Hessen rettete er, als dieser 1806 wegen der französischen Invasion sein Land verlassen mußte, einen beträchtlichen Theil seines Privatvermögens nicht ohne eigene Gefahr u. verwaltete dasselbe gewissenhaft. Als der Fürst Primas in Frankfurt den Israeliten gleiche Rechte als Staatsbürger bewilligte, wurde R. Mitglied des Wahlcollegiums in Frankfurt u. st. im Septbr. 1812 in Frankfurt. Seine Wittwe, Gutle R. (geb. 1753), blieb in ihrem armseligen Haus in der Judengasse wohnen u. starb daselbst 19. Septbr. 1849. Seine Söhne (s. weiter unten), welche bis dahin gemeinschaftlich einen Waarenhandel geführt hatten, vereinigten sich nun zur ferneren Leitung des Wechselgeschäfts, welches seit 1813 durch große Geld- u. Anleihegeschäfte zu dem Range u. Einflusse gelangte, wodurch dieses Haus politische Wichtigkeit hat u. die erste Stelle in den europäischen Finanzoperationen einnimmt. Die von den Brüdern befolgten Grundsätze, stets jede Operation gemeinschaftlich zu übernehmen, mit mäßigem Gewinn zufrieden zu sein u. sich mit Klugheit möglichst vor unglücklichen Zufälligkeiten zu bewahren, haben, mit Rechtlichkeit u. Glück verbunden, am meisten zu dem erstaunlichen Erfolge des Hauses beigetragen. Das Gesammtvermögen der R-e soll sich auf 400 Mill. Gulden belaufen, während ihr Credit sie in den Stand setzt, über mehr als das Doppelte zu verfügen. Das Gesammthaus in Frankfurt a. M., London, Paris, Wien u. Neapel ist in seiner Eintracht nie gestört worden, arbeitet stets auf gemeinschaftlichen Gewinn u. jedes einzelne Haus bleibt durch den schnellsten Courierwechsel stets mit der Lage der Sache in jeder Beziehung vertraut. Die großen gemeinschaftlichen Zusammenkünfte finden in Frankfurt a. M. Statt, wo auch nach den von den übrigen Häusern eingesendeten Abschlüssen der Hauptabschluß aller Geschäfte gemacht wird. Die Beschaffenheit dieser Verbindung selbst kann ohne nähere Kenntniß des Gesellschaftsvertrages nur vermuthet werden. Danach scheint es keine Handelsgemeinschaft auf Theilung von Gewinn u. Verlust nach Maßgabe des von jedem Theilhaber eingeschossenen Vermögens, sondern nur[398] ein Übereinkommen zu sein, welches zu gemeinsamen Entschlüssen bei wichtigen Unternehmungen, zu gemeinsamem Handeln bei der Durchführung derselben u. zu gegenseitiger Unterstützung im Börsen- u. Geschäftsverkehr verpflichtet. Die Rothschildschen Häuser halten in den wichtigeren Staaten, wo sie nicht selbst Niederlassungen haben, Agenten u. lassen es an nichts fehlen, um sich folgenreiche Nachrichten zuerst zu verschaffen, deren gegenseitige Mittheilung auf dem schnellsten Wege erfolgt. Dadurch hat das Haus häufig große Summen gewonnen, od. Unfälle von sich abgewendet. Nur die Französische Revolution vom Februar 1848 u. ihre weitreichenden Erschütterungen überraschten die R-s ebenso, wie alle Welt. Die Verluste, welche dem Gesammthause daraus erwuchsen, waren unstreitig sehr beträchtlich, sind aber sorgfältig verschwiegen, auch durch keine zu Tage getretene Verlegenheit desselben verrathen worden. Die Wendung der Dinge gab bald Gelegenheit diese Wunden zu heilen, wiewohl das Mittel, durch Staatsanleihen große Summen zu gewinnen, jetzt seltener geworden ist, da die Regierungen, wo nur möglich, Anleihen im eigenen Lande machen. Mayer Anselm hinterließ 10 Kinder, darunter 5 Söhne: 2) Meyer Anselm, Baron von R., geb. 12. Juni 1773 in Frankfurt, wurde 1813 als Chef des Rothschildschen Stammhauses in Frankfurt königlich preußischer Geh. Commerzienrath, erhielt 1815 von Österreich den Adelsstand u. wurde 1822 mit seinen 4 Brüdern baronisirt; er war seit 1820 baierischer Consul in Frankfurt u. Hofbankier u. st. 6. Dec. 1855 daselbst. Ihm folgte in der Leitung des Frankfurter Hauses sein ältester Sohn Mayer Anselm, Baron von R. 3) Salomon, Baron von R., geb. 9. Sept. 1774 in Frankfurt, war seit 1816 Chef des Wiener Hauses u. st. 27. Juli 1855 in Paris. 4) Nathan Mayer, Baron von R., geb. 16. Sept. 1777, gründete 1798 das Comptoir in Manchester, welches er 1813 nach London verlegte, leistete dem britischen Gouvernement in der Finanzkrise von 1813 bedeutende Dienste u. gelangte zu großem Ansehen, wurde 1820 österreichischer Consul in London, 1822 Generalconsul u. st. 18. Juli 1836 in Frankfurt. 5) Karl, Baron von R., geb. 24. April 1788, Chef des Hauses in Neapel, lebte seit 1921 meist in Frankfurt, wo er auch 1829 neapolitanischer Consul wurde, u. st. 10. März 1855 in Neapel. 6) Jakob (James), Baron von R., geb. 15. Mai 1792, ist seit 1812 Chef des Hauses in Paris u. seit 1822 österreichischer Generalconsul daselbst. Er hat die Tochter seines Bruders Salomon geheirathet. 7) Anselm, Baron von R., Sohn von R. 3), geb. 1806, ist seit 1836 österreichischer Generalconsul in Frankfurt; 8) Lionel, Baron von R., ältester Sohn von R. 4), geb. 22. Nov. 1808, folgte ihm 1836 als Chef des Londoner Hauses u. österreichischer Generalconsul. Er leitet das Londoner Haus zugleich mit seinen beiden jüngeren Brüdern, wurde in den Jahren 1847, 1849 u. 1852 von den Wählern der City zu ihrem Vertreter im Unterhause ernannt, aber bei dem Widerspruch der Peers gegen die Emancipation der Juden verhindert seinen Sitz im Parlamente einzunehmen, bis er endlich nach Abänderung des beim Eintritt in das Parlament zu leistenden Eides im Januar 1858 seinen Sitz im Unterhause einnehmen konnte, s. Großbritannien (Gesch.) S. 711. Er hat sowohl der sardinischen Regierung bei ihren Anleihen in England gedient, als auch die österreichische Anleihe von 1852 in London unterbringen helfen. Vgl. Das Haus R., seine Geschichte u. Geschäfte, Prag 1857.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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