Seelenwanderung

Seelenwanderung

Seelenwanderung, der angebliche Übergang der Seele nach dem Tode in einen andern Körper. Diese Ansicht von der Fortdauer der Seele, welche sich im Alterthum vielfach verbreitet u. entwickelt findet, gründete sich theils auf die Überzeugung von der Unvergänglichkeit der Seele, theils auf den Glauben an eine Vergeltung des irdischen Lebens nach dem Tode u. auf die Nothwendigkeit einer vorhergegangenen Reinigung von dem Irdischen, welches die Seele bei dem Verweilen im menschlichen Körper an sich genommen hatte, um würdig wieder an den Ort ihres Ausgangs zu gelangen. Diese Wanderung der Seele aus einem Körper in den andern läßt sich auf dreifache Weise denken: entweder im Kreislauf, so daß die Seele aus einem Menschenkörper in einen andern gleicher Art versetzt wird (von den arabischen Philosophen Nesch genannt); od. absteigend, u. zwar in Thier-, Pflanzen- u. Mineralkörper (bei den arabischen Philosophen Mesch, Resch, Fesch), je nachdem das Leben des Menschen gewesen u. seine Seele des Einen od. des Andern Eigenschaft gezeigt u. bewahrt hatte; od. endlich aufsteigend, wo die, ursprünglich göttlichen, in Körper niederer Ordnung versetzten Seelen wieder stufenweis in die Gottheit zurückgehen. Sonst machte man auch blos den Unterschied, daß die Seele in andere Menschenkörper wandere (Metempsychosis),[751] od. daß sie in einen andern Naturkörper gebannt werde (Metensomatosis); od. daß Metempsychosis das Einwandern verschiedener Seelen in einen Körper, Metensomatosis aber das Wandern derselben Seele in verschiedene Körper sei; u. die Metensomatosis theilte man dann in eine feinere, wornach die Seelen aus feineren, unsichtbaren Körpern in gröbere u. sichtbare verpflanzt würden; u. eine gröbere, wobei die Seele aus einem menschlichen Körper in den andern übergehe. Die ältesten Spuren dieser Lehre finden sich in dem indischen Brahmaismus; derselbe sieht die Wanderungen der Seele durch gutartige u. bösartige Thiere als ein Mittel ihrer Reinigung u. Läuterung an. Auch der Buddhaismus (s.d.) lehrt eine S.; ebenso findet sich dieser Glaube bei den Ägyptiern; sie ließen 3000 Jahre lang die Menschenseele alle Thiergattungen durchlaufen, worauf sie wieder in einem Menschenkörper anlange u. dann in die Wohnungen der Seligen aufgenommen werde. Wahrscheinlich von den Ägyptiern empfingen die Griechen diesen Glauben; namentlich soll Pythagoras (s.d.) ihn gelehrt haben, aber ob die ihm beigelegte S. blos ein Symbol für die Unsterblichkeit der Seele od. ein wirkliches Dogma war, läßt sich eben so wenig entscheiden, als ob er wirklich von sich geglaubt hat, daß er schon zu den Zeiten des Trojanischen Kriegs gelebt u. damals als Euphorbos am Krieg Theil genommen habe. Die Pythagoreer nahmen eine doppelte Seele an, das Gemüth, welches im Tode untergehe, u. den Geist, welcher fortlebe. Von den Menschengeistern behaupteten sie, daß dieselben ursprünglich höhere Geister, Dämonen, gewesen u. zur Strafe für gewisse Vergehungen in Menschenleiber eingekerkert worden wären u. zwar nach dem Tode, befreit von den Fesseln des menschlichen Leibes, in das Reich der Verstorbenen eingingen, aber dort in einem Zwischenzustande längere od. kürzere Zeit verweilten, um dann andere menschliche od. thierische Körper zu beseelen u. nach endlicher Vollendung ihrer Läuterungsperiode zum Urquell des Lebens zurückzukehren. Indem diese Philosophen, wie Pythagoras, Empedokles, Platon u.a., eine Präexistenz der menschlichen Seele voraussetzten, verknüpften sie mit dieser Hypothese noch mehr moralische Folgerungen; namentlich lehrten sie, daß der Mensch nur durch ein sittliches Leben in den ursprünglichen, seligen Dämonenzustand zurückkehren könne, durch Unsittlichkeit aber nur noch tiefer herabsinke, so daß die Seele in ihrer Läuterungsperiode in niedrigere Thierkörper eingeschlossen werden würde. In Folge ihrer Lehre von der S. hielten die Pythagoreer, ebenso wie die Inder, das Fleischessen, so wie das Schlachten der Thiere für unerlaubt u. genossen blos Vegetabilien. In den orphischen Lehren u. den griechischen Mysterien trat der Glaube an S. unter der Hülle anmuthiger Mythen auf. Wenn die Seelen die Erde erlangt hatten, so lehrte man dort, werden sie von einer Menge Gewändern (Leidenschaften u. sinnlicher Begierden) umgeben, welche Persephone gewebt habe; wenn die Seele an die Rückkehr denkt, muß sie diese Gewänder abwerfen; je mehr sie deren angenommen hat, desto schwerer wird ihr die Entledigung von denselben u. das Wandern von der Erde. Immer sollen die Seelen aber nach dem Rath des Weltregierers nicht in diesen Fesseln der Sinnlichkeit bleiben; er hat dieselben zerbrechlich gemacht u. den Seelen eine Befreiung davon bestimmt. Dies geschieht im Tod, durch das Hinabsteigen in den Hades, wo den Seelen der Becher der Weisheit gereicht wird, dessen Trunk ihnen die Liebe u. Sehnsucht zur Rückkehr eröffnet. Dionysos war hier der Führer der Seelen (Psychopompos); er empfing die Seelen von Persephone aus dem Schattenreich, wo sie geläutert wurden, wieder auf der Erde, von wo sie nun durch Erkenntniß der Wahrheit u. edle Thaten die Heroenwürde erstrebten. Je mehrer Leidenschaften die Seele in dem ersten Erdenleben theilhaft geworden war, desto schwerer wurde die Läuterung durch Feuer, Wasser u. Luft in der Unterwelt; Gelegenheit zur Reinigung wurde ihr aber in der Theilnahme an den Mysterien gegeben. Außerdem findet sich der Glaube an das Wandern der Seelen, ehe sie zum Ziel kommen, bei den Dodonäischen Priestern, bei denen die S. durch die in einen Kreis aufgestellten Becken u. deren Klang angedeutet werden sollte, nämlich wie der Klang durch die Kreise der verschieden tönenden Becken, so ziehe die Seele auf ihrer Wanderung durch die Kreise der verschiedenen Sphären. Auch der Dichter Pindar läßt erst nach dreimaligem, tadellosem Lebenslauf die Seelen zum Lande der Seligen gelangen. Plato benutzte gleichfalls diese Lehre im Sinne eines sittlichen Reinigungsprocesses. Die Seelen sind vor ihrem Erscheinen im Menschen schon einmal da gewesen (Präexistenz), u. je nachdem ihre Eigenschaften waren, suchen sie wieder andere Körper auf, Freßsüchtige u. sinnlicher Liebe Fröhnende werden in Esel, Tyrannen u. Grausame in Wölfe, Geier etc., dagegen Arbeitsame, gute Bürger, welche aber nur politische Tugend übten u. nicht wahrhaft philosophirten, etc. in Bienen od. Ameisen übergehen. Zu den Göttern können nur solche kommen, welche rein von hinnen geschieden sind, welche sich von aller Gemeinschaft mit dem Körper losgesagt haben. Die Schlechten mußten außerdem noch, ehe sie einen neuen Körper als Wohnung fanden, um die Gräber als sichtbare u. schreckende Gespenster umherwandeln. Das Aufsteigen geschah durch die acht Kreise, welche sich vom Götterhaus nach oben zogen; die Zeit von der Zeugung der Seele bis zu ihrer Heimkehr umfaßte 10,000 Jahre. Von den Platonikern schlossen sich an den Glauben dieses Einwanderns der Seele in Thierkörper, außer Andern, Plotinos u., wie es scheint, auch Porphyrios an; Jamblichos war darüber ganz anderer Meinung u. Proklos suchte durch einen Mittelweg Ausgleichung; Hierokles nahm nur eine Wanderung aus einem Menschenkörper in den andern an. Die Juden kannten die S. auch; zwar findet sich weder im Alten, noch im Neuen Testamente eine Spur davon, daß aber zur Zeit Jesu diese Ansicht bei ihnen ziemlich allgemein war, sieht man daraus, daß Jesus von Einigen für den hingerichteten Johannes, od. für Elias, od. für einen andern der alten Propheten gehalten wurde. Die jüdischen Lehrer der späteren Zeit (Talmudisten) reden stets ziemlich dunkel von der S.; nur so viel sieht man, daß sie der Meinung waren, Gott habe jeder Seele ein bestimmtes Ziel gesetzt u. sie für einen gewissen Grad von Vollkommenheit bestimmt; doch könnte denselben in einem einmaligen Leben Niemand erreichen, daher müsse jede Seele mehrmal auf der Erde erscheinen u. sich durch die Erfüllung der Gebote Gottes zu der ihnen bestimmten Vollkommenheit erheben. Das Wandern der Seelen in[752] andere Körper nehmen sie auf zweifache Weise an, entweder so, daß eine Seele in einen schon beseelten Körper ging, dann sollte sie die schon vorhandene Seele unterstützen, od. ihr neue, von jener noch nicht errungene Vollkommenheiten bringen; od. die Seelen gingen in ganz neu geborne Körper, um in denselben einst verübte Verbrechen zu sühnen od. überhaupt in denselben einen gewissen Grad von Vollkommenheit zu erlangen. Diese Rückkehr soll 3–4mal geschehen. In der Christlichen Kirche wurde eine S. im eigentlichen Sinn nur von Gnostikern u. Manichäern gelehrt, obgleich bei einigen derselben, wie bei Valentinus, diese Lehre vielleicht auch nur Allegorie von einer reineren Vorstellung war. Die Kirche aber bestritt diese Ansichten stets. Auch im germanischen Glauben findet sich eine S., doch verschieden von der indisch-ägyptischen; sie steht hier mit dem Weltbrand in Verbindung u. ist eine zweite Schöpfung, ein Wiedergeborenwerden, u. hat drei Grade, die Guten behalten ihre Körper u. leben als Einheriar in Walhalla fort; die Gerechten (welche ihre erhaltene Tugend nicht erhöhen) kommen erst durch den Weltbrand nach Brimner; die Schlechten verlieren durch den Weltbrand ihren Körper, leben zur Strafe im Schlangensaal (Nastrond, s.d.), bis sie einen neuen Körper bekommen, u. müssen die irdische Laufbahn u. Prüfung wieder von vorn anfangen. Also nur die Guten kehren nicht wieder auf die Erde zurück; aber die Gerechten zur Vervollkommnung ihrer Tugend u. die Bösen zur Büßung ihrer Schuld; daher muß es auf der Erde immer schlechter werden. Wer sich bis zum Weltbrand nicht gebessert hat, muß auf immer im Schlangensaal bleiben. Vgl. Rhodius, De transmigratione animarum pythagorica, Kopenh. 1638; Gaudentius, De animarum transmigratione, Pisa 1641; Irhovius, De palingenesia veterum etc., Amst. 1733; Essay on transmigration in defense of Pythagoras, Lond. 1662; Schlosser, Zwei Gespräche über die Seelenwanderung, Lpz. 1781; Conz, Schicksale der Seelenwanderungslehre, Königsberg 1791.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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