Sieden

Sieden

Sieden, 1) vom Wasser, mit einem zischenden Laute in einer inneren Bewegung befindlich sein, so namentlich vom bewegten Meere; 2) von tropfbaren Flüssigkeiten, in einem solchen Zustande sich befinden, daß die Dämpfe nicht bloß von der freien Oberfläche der Flüssigkeit, sondern auch aus dem Inneren der ganzen Masse aufsteigen u. dadurch die tropfbare Flüssigkeit in Wallung versetzen. Da hierbei die oberen Flüssigkeitsschichten gehoben werden, so müssen die Dämpfe beim S. eine solche Spannkraft besitzen, daß sie den auf der Oberfläche der Flüssigkeit lastenden Druck der Atmosphäre überwinden. Hieraus geht hervor, daß der Eintritt des S-s (Siedepunkt) von der Natur der Flüssigkeit, von der Temperatur u. von dem über der Flüssigkeit herrschenden Drucke abhängig ist; z.B. unter dem mittleren Barometerstand von 28 Par. Zoll siedet Wasser bei 100° C. (= 80° R.), Quecksilber bei 350°, Alkohol bei 79°,7, Cyangas schon bei – 18°. Dagegen siedet Wasser auf dem Montblanc in einer Höhe von 4772 Mètres (14,800 F.) unter circa 151/3 Zoll Barometerdruck schon bei 84°; in einem Schacht aber, welcher 280 Mètres (860 Fuß) unter die Meeresoberfläche reicht, erst bei 101° u. in einem Dampfkessel unter einem Drucke von drei Atmosphären erst bei 135°. Ist die Flüssigkeit zum S. gekommen, so erhöht sich ihre Temperatur nicht weiter, weil alle noch ferner hinzugeführte Wärme zur Bildung des Dampfes verwendet wird; die Dämpfe führen also, außer daß sie die Temperatur der siedenden Flüssigkeit besitzen, noch sogenannte latente Wärme mit sich fort, welche zur Bildung ihres luftförmigen Aggregatzustandes erforderlich ist. Nur wenn man das Gefäß luftdicht bedeckt, so daß die Dämpfe nicht entweichen können, sondern einen vermehrten Druck über der Flüssigkeit veranlassen, muß sich die Temperatur der Flüssigkeit erst wieder steigern, ehe sie zum S. kommt; die entweichenden Dämpfe haben dann gleichfalls eine höhere Temperatur u. größere Spannung; so beim Papinschen Topf od. Digestor u. bei den Dampfmaschinen. Daß unter geringem Luftdrucke schon bei niedrigen Temperaturen das S. u. also eine beschleunigte Verdampfung erfolgt, wird bei der Trocknung von Stoffen gebraucht, welche keine große Hitze vertragen, z.B. bei der Papier- u. Zuckerfabrikation. In Gefäßen mit völlig glatten Wänden erhöht sich die Temperatur bisweilen über den Siedepunkt ehe das S. eintritt u. dasselbe erfolgt dann nach gesteigerter Hitze plötzlich explosionsartig. Man kann dieses stoßweise S. gewöhnlich durch Hineinlegen eines Stücks Platindraht od. irgend eines eckigen Körpers vermeiden. 3) Speisen dadurch zubereiten, daß man sie kurze Zeit in siedendem Wasser liegen läßt, so Fische, Krebse, Eier sieden, da dagegen das Kochen eine längere Zeit erfordert. 4) Von einigen Dingen so v.w. völlig schmelzen, so vom Schwefel, Pech u. Wachs; 5) so v.w. Einsieden, d.h. durch Abdampfen über Feuer flüssigen Stoff verdicken, so Öl, Firniß, Pflaumenmuß; 6) eine Salzlösung durch Abdampfen zur Krystallisation, d.h. Ausscheidung der Salze, bringen, vgl. Salz-, Alaun-, Salpeter-, Vitriolsieden, auch Seifensieden; 7) so v.w. Bäuchen, d.h. Reinigung des zu verwebenden Leinengarnes durch Kochen mit schwacher Pottaschenlösung; 8) so v.w. Ansieden, d.h. dem legirten Silber od. Golde, welches während der Bearbeitung eine dunkle Oberfläche erhalten hat, durch Auflösen der letzteren wieder ein blankes Äußere verschaffen. a) Sieden (Weißsieden) des Silbers. Das Silber zu Geräthen u. Münzen ist stets mit Kupfer legirt; beim Verarbeiten nun wird das Silber, z.B. die justirten Münzplatten vor dem Prägen, geglüht, wodurch sich eine schwarze Oberfläche von Kupferoxyd bildet. Diese läßt sich ablösen, indem man die Gegenstände in einer Lösung von 1 Loth Weinstein u. 2 Loth Kochsalz in 11/2 Pfund Wasser, od. in verdünnter Schwefelsäure (40 Theile Wasser auf 1 Theil Vitriolöl) kocht, od. in einerkalten Lösung von saurem schwefelsauren Kali liegen läßt, bis[60] sie blank erscheinen. Oft ist ein zwei- bis dreimaliges Sieden mit abwechselndem Abreiben mit Sand od. einer Kratzbürste nöthig. Das S. der Münzen geschieht in kupfernen Kessen (Siedeschale) auf dem Siedeofen. Neuerdings wird das S. derselben ersetzt durch das Beizen. Die Platten werden noch heiß in verdünnte Schwefelsäure (8 Procent Vitriolöl u. darüber) gebracht, welche dadurch auf 30 bis 40° R. erwärmt wird. Sie befindet sich in etwas geneigten, um Zapfen drehbaren Fässern (Beizfässer), welche bis zum Blankwerden des Silbers gedreht werden. b) Das S. des Goldes hat einen ähnlichen Zweck, da auch das mit Kupfer legirte Gold beim Glühen schwärzlich wird. Man benutzt hier verdünnte Schwefelsäure od. Salpetersäure (Stärkewasser), letztere dann, wenn von der Oberfläche des mit Silber legirten Goldes das Silber weggenommen werden soll. Die gesottenen Gegenstände werden gespült u. zwischen Sägespähnen od. Kohlenpulver in drehbaren Fässern (Scheuertonnen) getrocknet u. etwas abgerieben. Durch das S. erhalten die Gegenstände eine Oberfläche von reinem Silber od. Gold; sie sehen daher reichhaltiger aus, als sie wirklich sind, u. werden meist, um diesen Zweck zu erreichen, dem S. unterworfen. Silbermünzen erleiden durch das S. 3/16 bis 2 Procent Gewichtsverlust.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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