Staat [1]

Staat [1]

Staat (lat. Respublica, Civitas, gr. Polis), die Gesammtheit seßhafter Menschen, welche unter einer seine Gesammtinteressen leitenden obersten Gewalt auf einem bestimmten Gebiete zu einer sittlich-organischen Persönlichkeit vereinigt ist. Jeder S. bildet hiernach ein Gemeinwesen, d.h. er muß aus einer Mehrzahl von Menschen bestehen, welche nicht blos durch das natürliche Band der Familie mit einander verknüpft stud. Die Familie kann wohl im einzelnen Falle der Kernpunkt sein, aus welchem ein S. erwächst; allein erst wenn die Familie sich in eine Reihe von Familien aufgelöst hat u. damit auch die oberste, Alle beherrschende Gewalt zu einer größeren Macht emporgestiegen ist, als sie die bloße Gewalt des Familienhauptes enthält, läßt sich von einem S-e sprechen. Dies Gemeinwesen muß ferner zu einem lebendigen, gegliederten Organismus herangereift sein, bei welchem die einzelnen Glieder nach dem Gesetze der Unterordnung unter einem höheren Willen, d.i. der das Ganze leitenden u. repräsentirenden Obrigkeit (Staatsgewalt, s. unten S. 621) verbunden sind; denn ohne eine solche Unterordnung würde nur ein Gesellschaftsverhältniß, sollte aber der höhere Wille nicht zugleich die Idee der Gesammtrepräsentation in sich schließen, nur das Verhältniß, wie zwischen Herr u. Diener, vorhanden sein. Nothwendig ist ferner, daß das Gemeinwesen sich als eine Einheit, die einzelnen Bestandtheile sich unter einander als zusammengehörig darstellen. Zwar ist damit nicht ausgeschlossen, daß im Innern die Gliederung (Staatsverfassung, unten S. 621) eine sehr verschiedenartige, ja der S. selbst wieder aus mehren Gemeinwesen, welche in sich selbst wieder sogar S-en bilden können, zusammengesetzt sein kann, wie in den Staatenbunden der alten Griechen, der Schweiz u. Nordamerika's; allein immerhin muß zwischen diesen Theilen ein einheitlicher Zusammenhang herrschen, durch welchen mindestens im Verhältniß zu anderen S-en sich das Gemeinwesen als ein einheitlicher, von Einer Regierungsgewaltbeherrschter Organismus zu erkennen gibt. Auch muß das Gemeinwesen, um den Namen S. verdienen zu können, in Beziehung zu einem festen Gebiete stehen, auf welchem die [619] Staatsgewalt Thätigkeit entwickelt (Staatsgebiet, s.d.). Mit diesen Attributen erscheint der S. in der Geschichte als nothwendiges Product des Menschengeistes selbst, als eine überall, wo die Individuen auf eine gewisse Stufe der Cultur sich emporgehoben haben, von selbsthervortretende Erscheinung, welcher ebendeshalb absolute Vernünftigkeit zukommt. Schon Plato u. Aristoteles erklärten deshalb den Menschen als ein von Natur politisches Wesen u. Letzter sagt, daß. ein Mensch, welcher nicht am S-e Theil nehme, weil er es nicht nöthig habe, ein übermenschliches Wesen sein würde. Daher kann man auch den S. nicht für einen Durchgangspunkt der Menschheit od. für eine Anstalt halten, welche bei vollendeter Entwickelung der Menschheit hinwegfallen werde, vielmehr ist der S. so wesentlich in der menschlichen Natur begründet, daß er an sich als die höchste Form menschlichen Beisammenlebens sich darstellt, u. daß, je mehr die Menschheit sich entwickelt, um so unentbehrlicher ihr die Staatsform wird. Vorzüglich erkennbar wird das dem Menschen immanente staatenbildende Element da, wo die Menschen durch das Band gleicher Nationalität als ein Volk vereinigt leben, indem mit dem Dasein gemeinsamer nationaler Lebensanschauungen, gemeinsamer Sprache, Sitte u. Charakter auch am ersten sich eine gemeinsame volksthümliche Ansicht von der Nothwendigkeit der Handhabung gewisser Interessen als allgemeiner u. gemeinsamer, d.i. eines gemeinsamen, nationalen. Rechtes u. einer gemeinsamen obersten Gewalt zur Übung dieses Rechtes herausbildet. Jede Nation trägt deshalb von Hans aus das Streben in sich zu einem selbständigen S-e emporzuwachsen. Insoweit hat daher dies sogenannte Nationalitätsprincip sowohl in der Politik, als auch bei der wissenschaftlichen Untersuchung über vorhandene Rechtszustände einen Anspruch auf vorzügliche Beachtung. Allein damit das Princip zu einer wirklich praktischen Geltung im S-e gelangen könne, wird doch vorausgesetzt daß die Völkerschaft auch die physische Möglichkeit habe als S. zu bestehen, daß sie zahlreich u. mächtig genug sei, um sich als ein selbständiges, unabhängiges Gemeinwesen behaupten zu können Volk u. S. verhalten sich daher in dieser Hinsicht zu einander, wie Zustand u. Person. Erst wenn der Zustand der gemeinsamen Nationalität unter einem Oberhaupt sich so gefestigt hat, daß das Gemeinwesen als eine besondere Persönlichkeit erscheint, ist der Völkerschaft die staatliche Eigenschaft beizulegen. Minder mächtige u. kleine Völker sind daher zur eigenen Staatenbildung nicht geeignet; sie sind entweder darauf angewiesen durch besondere völkerrechtliche Verbindungen mit anderen sich die erforderliche Sicherheit ihrer Selbständigkeit zu verschaffen, od. sie werden durch Unterdrückung unter die Herrschaft mächtigerer S-en gestellt.

Den systematischen Inbegriff sämmtlicher auf das Staatenleben sich beziehenden Kenntnisse bezeichnet man als Staatswissenschaft, Staatslehre od. Politik im weiteren Sinne (Politie). In diesem weitumfassenden Begriffe zerfällt die Staatswissenschaft aber wieder in das Staatsrecht (s.d.), d.h. die Lehre von den durch den S. begründeten u. auf denselben bezüglichen Rechtsverhältnissen, u. die Politik (s.d.) im engeren Sinne, d.h. die Wissenschaft u. Kunst des Lebens im S-e. Während daher das Staatsrecht den S. nach seinem normalen Dasein betrachtet. lehrt die Politik als Wissenschaft die letzten Gründe der Entstehung u. des Wachsthums der S-en erkennen u. begründet an der Hand dieser Erkenntniß als Kunst zugleich die tauglichsten Mittel, mittelst deren der S. seinem Zwecke gemäß praktisch so geleitet werden kann, daß er den wechselnden Bedürfnissen des Lebens u. den Anforderungen der fortschreitenden Cultur gegenüber seine Aufgabe erfüllen kann. Über diesen Zweck des S-es selbst sind freilich sehr verschiedene Theorien aufgestellt worden. Im Allgemeinen lassen sich dieselben auf zwei Richtungen zurückführen, von denen die eine diesen Zweck mit dem Zwecke der Menschheit selbst identificirt, die andere dagegen denselben ausschließlich in der Verwirklichung u. Geltung des Rechtsgesetzes findet. Die erstere Richtung zeigen alle Staatsverfassungen u. alle philosophischen Systeme des nicht-germanischen Alterthums. In ihr selbst lassen sich aber wieder zwei Standpunkte unterscheiden, je nachdem entweder die möglich allseitige Vollendung u. Ausbildung des geistigen Menschen, d.i. die Verwirklichung der Herrschaft des Sittengesetzes, od. mehr das materielle Wohl der Staatsbürger zum Zielpunkt des S-es gesetzt wurde (sogenannte Wohlfahrtstheorie). Von dem ersteren Standpunkt aus ist man sogar dahin gelangt nur die Ausbildung der religiösen Seite des Menschen als den zu erstrebenden Zweck vorwalten zu lassen, woraus sich ebensowohl die antiken Theokratien, als die neuerdings aufgestellte Idee des sogen Christlichen S-es, nach welcher der irdische S. nur als ein Abbild des Reiches Gottes hat aufgefaßt werden wollen, erklären. Die zweite Richtung liegt den neueren philosophischen Systemen zu Grunde, wie sie seit Hugo Grotius, Pufendorf, namentlich aber seit Kant (s.d. a.), unter besonderer Betonung der Freiheit u. Selbstbestimmung des Individuums gegenüber der Allgewalt des S-es, entwickelt wurden. Allen diesen Theorien liegt an sich ein wahrer Gedanke zu Grunde; allein einestheils beschränken sie, anderntheils veraltgemeinern sie den Staatszweck zu sehr u. stellen dem S. eine unmögliche Aufgabe. Die Theorie, welche die Herrschaft des Sittengesetzes als Staatszweck aufstellt, kann insofern nicht verworfen werden, als der S., da sein Bestehen auf der vernünftig-sittlichen Natur des Menschen beruht, nothwendig auch auf die Geltung u. lebendige Entwickelung des Sittengesetzes Rücksicht nehmen muß. Allein abgesehen davon, daß bei der Verschiedenheit der Ansichten über den Begriff u. Inhalt des Sittengesetzes diese Theorie schon an sich an einer unsicheren Grundlage leidet, erscheint dieselbe auch als einseitig u. mit den bestehenden Verhältnissen in Widerspruch, indem dabei die Rücksicht auf den materiellen Wohlstand, welche in den S-en nicht unbeachtet bleiben kann u. darf, keinen Ausdruck findet. Sie weist dem S-e zugleich eine viel zu weite, völlig unbegrenzbare Sphäre an, da danach der Mensch nicht nur in seinen äußeren, sondern auch in seinen inneren Handlungen der Herrschaft des S-es unterstellt werden müßte, was physisch unmöglich erscheint u. schon in seinem Versuche zur völligen Aufhebung der individuellen Freiheit des Einzelnen führen würde. Ebenso unzulänglich, aber auch zugleich gefährlich erscheint die Wohlfahrtstheorie. Indem sie in ihren äußersten Consequenzen den Einzelnen, ja sogar jede Klasse von Staatsangehörigen der Gesammtheit gegenüber als rechtslos betrachtet, weil dieselben beliebig[620] ihre Interessen dem Interesse der allgemeinen Wohlfahrt opfern müssen, zerstört sie völlig die sittliche Grundlage des S-s u. macht die allgemeine Wohlfahrt selbst zu einer bloßen Chimäre. Sie führt zu einer ungemessenen Einmischung der Staatsgewalt in alle Verhältnisse der Individuen u. Familien (sogenannter Polizeistaat) u. kann als eine Entschuldigung für jede Gewaltthat u. Despotie benutzt werden. Die Theorie des Rechtsschutzes endlich, welche in dem S. nur eine Rechtsanstalt zur Gewährung von Rechtsschutz u. Rechtssicherheit erblickt u. daher die rechtliche Ordnung aller Verhältnisse (Rechtsstaat) als den Zielpunkt alles staatlichen Strebens aufstellt, vermeidet zwar diese Fehler, allein sie erscheint objectiv, gleich der Theorie des Sittengesetzes, viel zu beschränkt, da das Bestehen eines geordneten Rechtszustandes allerdings zwar eine unerläßliche, jedoch offenbar keineswegs die einzige Bedingung eines vernunftgemäß socialen Zustandes ist. Außer der Geltung des Rechtes kann der S., um sich zu voller Kraft zu entfalten, von der Sorge für Erhaltung nationaler Sitte u. Religiosität, für Bildung in wissenschaftlicher, gewerblicher u. künstlerischer Beziehung, für den nationalen Wohlstand in Handel, Gewerbe u. Landwirthschaft, so wie die Herstellung einer tüchtigen Wehrkraft zum Schutze der nationalen Selbständigkeit gegen äußere Angriffe nie sich ausschließen. Bald prävalirt dabei das eine, bald das andere Bedürfniß, u. danach ist auch bald diese, bald jene Seite schärfer ausgebildet. Am richtigsten verzichtet man deshalb auch darauf, eine rein ideale Bestimmung des S-es anzunehmen. Der eigentliche Zweck des S-es wird mehr getroffen, wenn man denselben an die concreten Verhältnisse anschließt, unter denen sich der S. geschichtlich entwickelt hat. Nach dieser mehr historischen Auffassung läßt sich derselbe dahin zusammenfassen, daß er in der Wahrung der jeweiligen nationalen Gesammtinteressen od. in der Herstellung u. Fortbildung eines den jeweiligen Culturverhältnissen des Volkes entsprechenden socialen Zustandes beruht. Durch diese Begriffsbestimmung wird die Sphäre des Staatszweckes zunächst allerdings nur auf die äußeren Verhältnisse des irdischen Lebens beschränkt; in der That können aber auch nur diese dem S-e als einer rein menschlichen Institution anheimfallen. In diesem Punkte unterscheidet sich der S. namentlich von der Kirche, welche als eine Gemeinschaft der in gleichen religiösen Grundsätzen Verbundenen zunächst nur eine innere Vereinigung bildet u. sich insoweit ganz der staatlichen Ordnung entzieht, während sie, insofern sie in der Form einer äußeren Gemeinschaft mit dem Zwecke gemeinsamer Religionsübung hervortritt, nothwendig auch in das Bereich des S-es hereinfällt u. je nach der besonderen Ausbildung des religiösen Glaubens sich bald als ein besonderes Gemeinwesen dem S-e unterzuordnen hat od., wie in den Theokratien u. den antiken Nationalreligionen, in ihm aufgeht u. mit ihm verschmolzen wird. Selbst von irdischen Dingen unterfallen aber ferner danach dem Staatszwecke nur diejenigen, welche eine Beziehung zum socialen Zusammenleben haben u. bei denen deshalb ein Gesammtinteresse der staatlichen Gemeinschaft zu Grunde liegt. Es wird daher hierdurch gewahrt, daß in den Staatszweck nicht das aufgenommen werde, was an sich blos Sache des Individuums, der Familie, Gemeinde od. anderer menschlichen Verbindungen im S-e ist. Diesen Kreisen, so wie den Individuen gegenüber, kann der Staatszweck nur darin bestehen, daß er je nach dem hervortretenden Bedürfniß die Möglichkeit allseitiger freier Entwickelung durch Entfernung der dieser Entwickelung entgegenstehenden Hindernisse u. Gewähr der Hülfe da schaffe, wo die Kraft des Einzelnen nicht ausreicht, nicht aber, daß er einen die individuelle Freiheit aufhebenden Zwang ausübe. Jene Hülfe wird nun der Staat vorzugsweise. durch die Beförderung des Rechtsschutzes bringen, allein sie ist keineswegs der einzige Gegenstand der Fürsorge des S-es, sondern Hebung der öffentlichen Moral u. die Beförderung des allgemeinen Wohlstandes muß ebensogut als in der Aufgabe desselben begriffen erachtet werden (vgl. Murhard, Der Zweck des S-es, Gött. 1832). Indem aber dabei der S. immer an die wirklich socialen Interessen gebunden ist, erklärt sich zugleich, daß nicht das Bestehen eines einzigen S-es für die ganze Menschheit als Ideal des S-es gedacht werden kann, so wenig es eine absolut beste, für alle Zeiten u. Völker passende Staatsform (s. unten) gibt, ja daß ein solcher Universal od. Weltstaat nicht einmal möglich ist. Die Verschiedenheit der socialen Beziehungen, welche schon mit der Mannigfaltigkeit der Racen u. mit den natürlichen Begrenzungen der Ländergebiete nothwendig gegeben ist, wird vielmehr auch immer das Bestehen einer Mehrheit von S-en bedingen, wenn schon diese Mehrheit da zusammenschmilzt, wo eine gleichmäßige Cultur die Völker einander nähert u. damit auch die Gesammtinteressen auf größere Kreise ausdehnt. Aus derselben nothwendigen Anschließung der Staatsidee u. des Staatszweckes an die jeweiligen socialen Interessen geht ferner hervor, daß, wenn auch die Staatsidee selbst eine ewige ist, welche nie verschwinden wird, so lange ein menschliches Zusammenleben stattfindet, doch die einzelnen S-en gleich den Individuen natürlichen Wandlungen unterworfen sind, nach denen sie aus geringen Anfängen entstehen, blühen u. vergehen, um anderen Platz zu machen. Noch hat kein europäischer S. sich über ein Jahrtausend ohne Umwälzung erhalten. Längere Dauer findet man zwar bei manchen S-en Asiens, aber diese Dauer ist nur mit einem gänzlichen Abschluß nach Außen zu erkaufen gewesen u. in ihrem Inneren zeigt sich eine Stagnation des Volkslebens, welche ihr längeres Bestehen sehr zweifelhaft macht, wenn ein neuer, kräftigerer Volksgeist die Macht gewinnen sollte in ihre Kreise einzudringen. Der Untergang der S-en geschieht denkbarer Weise entweder durch die Auflösung des Volkes, od. durch die Auswanderung desselben, sei diese eine freiwillige od. gezwungene, ferner durch Unterwerfung unter einen mächtigeren S., durch Zerfall eines größeren Reiches in mehrere S-en u. umgekehrt durch die Verschmelzung kleinerer S-en zu einem größeren Reiche. Für alle diese Endigungsarten eines S-es bietet die Geschichte zahlreiche Beispiele dar. Vgl. noch im Allgemeinen über das Wesen des S-es, der Staatsidee u. des Staatszweckes außer den klassischen Schriften von Plato (Politeia u. über die Gesetze), Aristoteles (Politika) u. Cicero (De republica): H. Grotius De jure belli et pacis, zuerst 1625; Pufendorf Elementa jurisprudentiae universalis, Haag 1650; Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 2. Aufl. 4798; Herbart, Analytische Beleuchtung des Naturrechts u. der Moral, Gött.[621] 1835; Krause, Abriß der Philosophie des Rechts, ebd. 1828; Ahrens, Die organische Staatslehre, Wien 1851; Erdmann, Philosophische Vorlesungen über den S., Halle 1851; Stahl, Rechts- u. Staatslehre auf der Grundlage christlicher Weltanschauung, Heidelb. 1845; Haller, Restauration der Staatswissenschaften, 2. Aufl. Winterth. 1820; Zachariä, Vierzig Bücher vom S-e, 2. Ausg. Heidelb. 1839–43; Welker, Die letzten Gründe vom Recht, S. u. Strafe, Gießen 1813; Leo, Studien u. Skizzen zu einer Naturlehre des S-es, Halle 1833; Bluntschli, Psychologische Studien über S. u. Kirche, Zürich 1844; Derselbe, Allgemeines Staatsrecht, München 1852; R. von Mohl, Die Geschichte u. Literatur der Staatswissenschaften, Erl. 1855–58, 3 Bde.; Derselbe, Encyklopädie der Staatswissenschaften, Tüb. 1859; Fehr, Einfluß u. Entwickelung der politischen Theorien, Innsbruck 1855; Hildenbrand, Geschichte u. System der Rechts- u. Staatsphilosophie, Lpz. 1860.

Im Einzelnen bildet im S-e die Staatsgewalt gewissermaßen die Spitze des gesammten Staatswesens, die Personification des im S-e herrschenden u. auf die Erreichung des Staatszweckes gerichteten Willens, welcher zu diesem Behufe auch mit der nothwendigen äußeren Macht ausgestattet sein muß. Diese Macht muß sogar als die höchste im S-e gedacht werden, da es schon im Wesen des Staatsbegriffes liegt, daß der das Gemeinwesen leitende Wille auch der maßgebende sei, welchem sich die Willen der einzelnen im S-e lebenden Individuen u. der sonst im Bereiche desselben sich bildenden Kreise unterzuordnen haben, daher die Bezeichnung der Staatsgewalt als Souveränetät (s.d., Suprema potestas) u. des Inhabers der Staatsgewalt als Souverän. Die einzelnen aus dieser Gesammtstellung der Staatsgewalt sich ergebenden Befugnisse werden Jura sublimia, Hoheitsrechte, Regalien (s.d.) genannt. Daraus daß die Staatsgewalt die höchste Gewalt im S-e ist, folgt indessen keineswegs, daß sie auch eine unbeschränkte sei. Unbeschränkt ist sie nur in dem Sinne, daß der Staatsherrscher von keiner innerhalb des S-es vorhandenen Macht zu Etwas gezwungen werden kann, allein seine Rechte sind auch zugleich seine Pflichten; der Souverän hat die Gewalt nicht in seiner Person, sondern als im Wesen der Anstalt entsprungen, welche er repräsentirt, daher begrenzt durch den Zweck u. nach dem inneren Gesetze des Staates selbst als eines vernünftigen Gemeinwesens. Grund- u. Cardinalsatz des ganzen Staatsrechtes (s.d.) ist deshalb auch, daß das Recht des Staatsherrschers niemals weiter geht als seine Pflicht od. sein Beruf. Die nähere Feststellung der hiernach der Staatsgewalt zu ziehenden Grenzen wird durch die verschiedenen Staatstheorien (s.d.) bedingt, welche in ihrem Wechsel den entschiedensten Einfluß auf die Gestaltung der einzelnen S-en gehabt haben. In positiver Weise werden diese Grenzen durch die Staatsverfassung bestimmt, d.h. den Inbegriff der rechtlichen Normen über die concrete Gliederung, in welcher jeder Einzelstaat als organisirte Anstalt besteht u. aus welcher sich die Art der Ausübung der Staatsgewalt, so wie das Rechtsverhältniß zu dem Objecte derselben, den Unterthanen, ergibt. Durch die Staatsverfassung werden daher theils die Stellung u. die einzelnen Befugnisse der Staatsgewalt, ihr Erwerb u. Verlust, die Stellung der zur Ausübung der verschiedenen Hoheitsrechte angestellten Beamten (s.u. Staatsdiener), theils die rechtliche Beschaffenheit der verschiedenen Kreise von Unterthanen, die Bedingungen ihrer rechtlichen Existenz u. ihres rechtlichen Auftretens im öffentlichen Leben näher bestimmt. Normen hierüber fehlen selbst in der absoluten Monarchie nicht, wenn sie auch nur auf Herkommen beruhen können u. daher nicht nothwendig in geschriebenen Gesetzen niedergelegt od. in einer Constitution (s.d.) zusammengefaßt zu sein brauchen, nur in der reinen Despotie u. bei Anarchie, welche beide aber jedes staatliche Gesammtleben von selbst zur Auflösung bringen, können sie vorübergehend verloren gehen. Die Verfassung kann aber verschiedene Formen (Staatsformen) haben. welche für die Grundrichtung des gesammten Staatslebens von größter Bedeutung sind. Diese Formen sind die Monarchie, wenn die Staatsgewalt einer physischen Person beigelegt ist, u. die Republik, wenn ein Collegium, eine moralische Person, den höchsten Willen repräsentirt; die letztere Form wird zur Aristokratie, wenn dieses Collegium nur durch eine bevorzugte Klasse der Unterthanen od. eine privilegirte Corporation, od. zur Oligarchie, wenn dasselbe nur durch eine bestimmte kleine Anzahl von Familien gebildet wird; dagegen zur Demokratie, wenn das mit der höchsten Gewalt bekleidete Collegium aus der Gesammtheit der freien Bürger hervorgeht od. doch die Ausschließung hiervon nur als Ausnahme von der Regel besteht. Neben diesen einfachen Verfassungsformen gibt es aber auch gemischte od. zusammengesetzte; letztere sind dann vorhanden, wenn entweder die Staatsgewalt selbst zwei verschiedenen, in den einfachen Staatsformen hervortretenden Subjecten gemeinschaftlich zukommt od. wenigstens eine Theilnahme gewisser Personen od. öffentlicher Organe an der Ausübung der dem Inhaber der Staatsgewalt zuständigen wesentlichen Hoheitsrechte dergestalt begründet ist, daß die Rechtmäßigkeit dieser Ausübung durch jene Concurrenz bedingt wird. Für diese zusammengesetzten Verfassungsformen lassen sich die mannigfaltigsten Gestaltungen denken, u. es ist zuweilen schwierig zu entscheiden, welcher Hauptkategorie ihrem eigentlichen Charakter nach eine Verfassung zuzurechnen sei. Unter die gemischt-monarchischen Verfassungen gehört namentlich auch die beschränkte od. constitutionelle Monarchie. Die einzelnen Personen, über welche sich die Herrschaft der Staatsgewalt erstreckt, unterfallen im Gegenüber der letzteren dem allgemeinen Begriff Unterthan (Staatsbürger), Diese Unterthanenschaft ist entweder ein bleibendes persönliches Rechtsverhältniß, wie es regelmäßig durch das Eingeborensein in einem S-e (Indigenat, s.d.) entsteht, u. wird dann zur Staatsangehörigkeit; od. sie kann aus einem vorübergehenden persönlichen Verhältniß, durch den bloßen Aufenthalt im Staatsgebiet, für die Dauer desselben begründet werden (temporäre Staatsunterthanenschaft); in gewisser Beziehung u. je nach den Einrichtungen der verschiedenen S-en mit verschiedener Wirkung, entsteht die Unterthanenschaft sogar schon durch das dingliche Verhältniß des Besitzes eines im Staatsgebiete gelegenen Grundstückes (Landsassiat, s.d.). Durch die Bezeichnung Unterthanenschaft wird zunächst die Stellung der Staatsangehörigen im Gegenüber der Staatsgewalt als eine Summe von Pflichten bezeichnet, welche im Allgemeinen im [622] Gehorsam gegen die Gesetze u. gegen die in rechtmäßiger Form ergangenen Anordnungen der Staatsgewalt, in der Pflicht zur Vertheidigung des S-es gegen äußere Angriffe u. zu den gesetzlich festgestellten Beiträgen zur Bestreitung der allgemeinen Staatsbedürfnisse zusammengefaßt werden können. Da aber der Staatsunterthan nach dem Zwecke des S-es keineswegs rechtlos dastehen soll, so können mit der Staatsangehörigkeit auch in Bezug auf das Gemeinwesen Rechte verbunden sein, deren Vollgenuß als Staatsbürgerrecht bezeichnet zu werden pflegt. Dahin gehören das Recht der freien Meinungsäußerung, der freien Religionsübung, das Petitionsrecht, die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter, das Recht als Geschworener zu fungiren etc. Zu höherer Bedeutung erhebt sich das Staatsbürgerrecht da, wo nach der Verfassung den Staatsangehörigen in ihrer Gesammtheit eine Vertretung (Volksrepräsentation, Kammern) gesichert ist, welche entweder nur berathend der Staatsgewalt zur Seite tritt, od., wie in der constitutionellen Monarchie, mit noch ausgedehnteren Befugnissen die Interessen der Unterthanen wahrzunehmen befugt ist. Das active u. passive Wahlrecht zu dieser Vertretung bildet alsdann einen wesentlichen Bestandtheil des vollen Staatsbürgerrechts. Nicht immer aber ist dies Staatsbürgerrecht gleichmäßig unter alle Staatsangehörige vertheilt. Die Vertheilung der irdischen Güter u. mancherlei andere Einflüsse, welche bei der historischen Bildung des Staatswesens wirksam geworden sind, können wohl dazu führen, daß die Staatsbürgerrechte in gewissen Abstufungen unter mehre Klassen der Staatsangehörigen (Stände) vertheilt sind, daher auch die Lehre von den Ständen u. ihren Rechten u. Pflichten wesentlich in die Wissenschaft vom S-e einschlägt. Dagegen sind nicht mit dem Staatsbürgerrecht die blos bürgerlichen (Privat-) Rechte zu verwechseln; indem die letzteren nur das Mein u. Dein betreffen u. ihnen die unmittelbare Beziehung auf das Gemeinwesen gänzlich abgeht, gehören sie einer völlig verschiedenen Sphäre an u. können daher auch ohne die Vorbedingung der Staatsangehörigkeit, zwischen In- u. Ausländern begründet werden. Das Vorhandensein eines Staatsgebietes erscheint insofern als eine nothwendige Bedingung des S-es, als überhaupt ohne feste Wohnsitze ein sociales Gemeinwesen von einiger Dauer sich nicht zu bilden vermag. Vermöge des Begriffes der Staatsgewalt als der obersten Gewalt kommt der letzteren aber nothwendig auch die Herrschaft über das Territorium (s. Staatsgebiet) zu, welches die zu dem staatlichen Gemeinwesen vereinigten Glieder einnehmen. Indessen ist diese Herrschaft nicht als ein wahres Eigenthum zu denken, da der Staatsgewalt das Eigenthum an dem Privatvermögen der einzelnen Staatsbürger nicht zusteht, sondern sie umfaßt nur politische Befugnisse, deren Summe wesentlich darin besteht, daß die Staatsgewalt die Macht haben muß alle Einwirkungen einer fremden Staatsgewalt auf ihr eignes Staatsgebiet u. in Bezug auf die in demselben wohnenden Unterthanen u. deren Güter auszuschließen. Bei größeren Staatsgebieten wird der S. wegen der Unmöglichkeit die Staatsgewalt in allen Beziehungen von einem Punkte aus auszuüben, in kleinere Bezirke (Provinzen, Kreise etc.) eingetheilt, bei deren Absonderung vorzugsweise die natürlichen Verbindungen u. Gegensätze der Landschaft, die historischen Beziehungen der Bevölkerung, deren Verkehrsverhältnisse etc. maßgebend bleiben müssen, deren Organisation im Verhältniß zu der Gesammtstaatsgewalt indessen nicht so locker werden darf, daß dadurch die Einheit des Herrscherwillens aufgehoben würde. Im anderen Falle ist nur ein Staatensystem (s.d.) vorhanden.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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