Thiers [2]

Thiers [2]

Thiers (spr. Thiär), Louis Adolphe, geb. 16. April 1797 in Marseille, Sohn eines Schlossers, erhielt eine kaiserliche Freistelle auf dem Collège in Marseille, studirte seit 1815 auf der Akademie in Aix die Rechte, wurde 1818 Advocat daselbst, kam 1820 mit Mignet nach Paris u. beschäftigte sich wissenschaftlich; später war er einer der Redactoren des Constitutionnel, welcher damals das Hauptorgan der liberalen Partei war, u. gründete 1830 mit Sautelet u. Carrel den National. Er unterzeichnete als einer der Ersten die Protestation gegen die königlichen Ordonnanzen vom 26. Juli, worauf die Julirevolution folgte, u. als am 28. der Kampf ausbrach u.[525] er verhaftet werden sollte, ging er nach Montmorency, war aber bereits am 29. wieder in Paris, betrieb die Wahl Ludwig Philipps zum König, wurde im August Staatsrath u. Generalsecretär im Finanzministerium u. im November Unterstaatssecretär in dem Ministerium Lafitte. Von der Stadt Aix damals zum Deputirten gewählt, zeigte er sich als gewandter Redner, erhielt beim König großen Einfluß u. blieb nach Lafittes Abdankung im Ministerium. Jetzt wendete er sich der conservativen Partei zu u. wurde nach Perriers Tode im October 1832 Minister des Innern; er beschäftigte sich viel mit der Polizei, betrieb namentlich die Verhaftung der Herzogin von Berry, ließ die Bewegung in der Vendee niederdrücken u. wirkte für die Expedition nach Belgien. Am 31. Decbr. 1832 vertauschte er sein Portefeuille mit dem des Handels u. der öffentlichen Arbeiten; hier belebte er Handel u. Gewerbe, führte mehre Bauten aus, betrieb die Anlegung der Eisenbahnen u. reiste 1833 nach England, um sie dort kennen zu lernen. Anfangs November 1833 gab er mit Guizot, Humann, Rigny u. Duchatel zugleich seine Entlassung ein, da man sich nach dem Zurücktritt des Marschalls Gérard nicht über einen neuen Conseilpräsidenten vereinigen konnte. Das Ministerium Bassano, im Sinne des Tiers-parti ernannt, trat an ihre Stelle, blieb aber nur bis zum 14., u. T. wurde am 18. Nov. unter dem Ministerium Mortier, später (März 1835) Herzog von Broglie (eigentlich Guizot), wieder Ministerdes Innern u. entwickelte in Folge der demokratischen Aufstände in Paris eine große, seine alten republikanischen Freunde von ihm trennende Energie u. Strenge. Er war bei dem Attentat Fieschis auf Louis Philipp im Gefolge desselben, wo sein Pferd verwundet wurde. Als im Febr. 1836 sich das Cabinet Broglie auflöste, bildete T. ein neues u. erhielt neben dem Vorsitz das Portefeuille des Auswärtigen; er verfügte die Besetzung Anconas, dankte aber, durch die von ihm protegirte spanische Angelegenheit compromittirt, den 25. Aug. 1836 ab u. wurde durch das Ministerium Molé ersetzt. Zunächst machte er eine Reise nach Italien; seit 1838 aber trat er in den Kammern in Opposition gegen das Ministerium Molé, dessen Sturz er auch 1839 herbeiführte Nach der kurzen Verwaltung Soults bildete T. am 1. März 1840 ein neues Cabinet, an dessen Spitze er als Minister des Auswärtigen stand. Als solcher nahm er in Beziehung der orientalischen Angelegenheiten eine strengere Politik an u. weigerte sich entschieden dem Vertrage der übrigen Mächte, hinsichtlich der Zurückführung des Vicekönigs von Ägypten in seine früheren Schranken, beizutreten, worauf die Großmächte durch Vertrag vom 15. Juli 1840 auch ohne Frankreich zu verfahren beschlossen. Dies rief die gewaltigsten Kriegsrüstungen Seiten Frankreichs hervor, aber die Weigerung des Königs die Nothwendigkeit des Kriegs vor den Kammern auszusprechen, veranlaßte T. u. sein Ministerium am 24. Oct. 1842 seine Entlassung einzureichen. Seitdem lebte T. ohne Staatsanstellung, nur publicistisch u. parlamentarisch thätig u. gehörte in der Deputirtenkammer mehre Jahre zur entschiedenen Opposition, näherte sich aber dann den Ansichten Ludwig Philipps wieder mehr u. trennte sich von der äußersten Linken. Damals mit der Schreibung der Geschichte Napoleons beschäftigt, machteer Reisen nach Deutschland u. Italien, um dort die Schlachtfelder in Augenschein zu nehmen. Obgleich wieder der liberalen Partei zugewendet, lehnte er doch im Febr. 1848 die Unterzeichnung zum Reformbanket ab, u. in der Nacht vom 23. zum 24. Febr. wurde er zu Ludwig Philipp gerufen, um ein neues Cabinet zu bilden wozu er sich bereitwillig fand. Er schrieb sogleich eine Proclamation an das Volk, welche den Ministerwechsel anzeigte, u. erschien am Morgen des 24. Febr. unter dem Volk, um dasselbe zu beruhigen, was ihm jedoch nicht gelang. Im März wurde er Mitglied des Poitiervereins u. im Juni vom Wahldepartement zu Rouen zum Vertreter in die Nationalversammlung gewählt. Hier wurde er Mitglied der Commission der Finanzen u. der der Verfassung u. Berichterstatter der Gesetzvorschläge Proudhons, welchen er lebhaft bekämpfte. Er stimmte in der Gesetzgebenden Versammlung überhaupt mit der Rechten u. wurde Mitglied der Commission des öffentlichen Unterrichts u. bald darauf Oberunterrichtsrath. Wegen eines Wortstreites in der Nationalversammlung bestand er mit Bixio am 18. October 1849 ein unblutiges Duell. In diesem Jahre erbte er auch von seinem Schwiegervater Dosne, Generaleinnehmer des Norddepartements u. Regent der Bank, ein bedeutendes Vermögen. 1850 wirkte er bes. für die Wahlreform, wurde einer der Chefs der Orleanistenpartei u. Führer der Rechten, u. als solcher zu den Burggrafen gezählt. Bei der Nachricht von Ludwig Philipps schwerer Erkrankung reiste er im Juni 1851 nach England zur verbannten Königsfamilie u. wurde bei seiner Zurückkunft nach Frankreich Vicepräsident des Oberstudienraths. Im Juli 1851 stimmte er gegen die Verfassungsrevision u. im November für den Quästorenantrag. Beim Staatsstreich am 2. Dec. wurde er verhaftet. zwar am 6. in Freiheit gesetzt, doch am 8. über Strasburg nach Kehl escortirt, von wo er sich nach Brüssel begab. Durch das Decret vom 9. Jan. 1852 aus Frankreich verbannt, ging er nach London, erhielt jedoch im Aug. die Erlaubniß nach Frankreich zurückzukehren u. kehrte im Dec. 1852 nach Paris zurück. Er lebte nun fortan hier mit literarischen Arbeiten beschäftigt, bis er im Juni 1863, mit andern Candidaten der Opposition gegen das zweite Kaiserreich, von der Stadt Paris in die Kammer gewählt wurde u. darauf eine Reise nach Wien unternahm. Er schrieb eine Bearbeitung der Memoiren der englischen Schauspielerin Bellamy, Par. 1822; Les Pyrénées et le midi de la France, ebd. 1823; Hist. de la révolution de France, ebd. 1823–25, 10 Bde. (fast in alle europäische Sprachen übersetzt); Histoire du consulat et de l'empire, 1845–62, 20 Bde.; u. die Broschüren Sur la propriété et le droit au travail, Par. 1848; De la propriété, 1848; Du crédit foncier, 1848; Du communisme, 1849.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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