Tropfbare Flüssigkeiten

Tropfbare Flüssigkeiten

Tropfbare Flüssigkeiten, Körper, deren Theilchen unter Anwendung der mindesten Kraft sich unter einander verschieben lassen, dabei aber ein unveränderliches Volumen behalten; durch die erste Eigenschaft bilden sie einen Gegensatz zu den festen, durch die zweite zu den luftförmigen od. elastisch flüssigen Körpern. Dieser abstracten Definition genügt allerdings kein Naturkörper vollkommen, weil jede sogenannte T. F. der Verschiebung ihrer Theilchen doch einigen Widerstand entgegensetzt (Bewegung des Ruders durch das Wasser), u. weil jeder durch angewendete Kraft sich einigermaßen zusammendrücken läßt; allein viele kommen ihr doch so nahe, daß man sie sofort als T. F. anerkennt. Gesetze des Gleichgewichts: Hier kommen in Betracht die zwischen den kleinsten Theilchen der Flüssigkeit bestehenden Molecularkräfte, die bei Berührung mit andern Körpern wirksam werdenden Molecularkräfte u. die aus der Ferne wirkende Schwerkraft. Die zwischen den Molecülen der T-n F. herrschenden Kräfte sind wie bei allen andern Körpern theils Anziehungs-, theils Abstoßungskräfte; beide halten sich aber bei den T-n F. beinahe das Gleichgewicht, so daß ein kleiner Überschuß der ersteren noch eine Cohäsion der Flüssigkeitstheilchen bedingt, aber eine leichte Verschiebbarkeit derselben bleibt. Ist daher eine gewisse Menge T-r F. keiner andern Kraft ausgesetzt, so nimmt sie eine solche Gestalt an, daß der von dem Überschuß an Attractionskraft herrührende Druck gegen das innerste Theilchen von allen Seiten gleich stark ist, d.h. die Kugelgestalt. Dies gilt von den im Weltenraum schwebenden, ursprünglich als T. F. zu denkenden Weltkörpern, annähernd auch von den zur Erde fallenden Regentropfen, nur daß letztere durch die Wirkung der Schwere vertical etwas in die Länge gezogen sind; auch beruht darauf die Bildung von Schrot aus geschmolzenem Blei, welches aus einiger Höhe herabfällt. Kommt eine gewisse Menge T-r F. mit einem festen Körper von horizontaler Oberfläche in Berührung, so fragt es sich, ob die an der Berührungsfläche wirkende Anziehungskraft der verschiedenartigen Körpertheilchen unter einander (die Adhäsionskraft) größer od. kleiner ist, als die Cohäsion der Flüssigkeitstheilchen unter sich. Im ersteren Fall benetzt die Flüssigkeit den festen Körper, im letzteren bewahrt die Flüssigkeit ihre sphäroidische Gestalt. So bildet Quecksilber auf Glas od. Holz kugelförmige Tropfen, ebenso Wasser auf fettigen od. mit Bärlappsamen bestäubten Körpern; aber reines Glas wird von Wasser benetzt. Wie dieses Benetzen od. Nichtbenetzen Ursache der Capillaritätserscheinungen ist, s.u. Capillarität. Auch erklärt sich hieraus die Erscheinung, daß eine zwischen den Fingern fettig gemachte Nähnadel vorsichtig auf Wasser gelegt, od. auch die über die Wasseroberfläche hingleitenden Insecten nicht untersinken, denn in Folge der überwiegenden Cohäsion der T-n F. zieht sich dieselbe von dem festen Körper zurück u. bildet eine Depression, welche wie ein Kahn die Last zu tragen vermag. Die wichtigsten Gleichgewichtserscheinungen T-r F. gehen endlich aus der Berücksichtigung des Einflusses der Schwere hervor. Befindet sich eine gewisse Menge T-r F. in einem Gefäß mit festen Wänden, so herrscht an jedem innerhalb der Flüssigkeit liegenden Flächenstück ein Druck, welcher gleich ist dem Gewichte der über dieser Fläche bis zur freien Oberfläche der Flüssigkeit sich erhebenden Flüssigkeitssäule, d.h. diese Säule strebt durch die Schwerkraft nach unten, wird aber an der Bewegung verhindert durch die Gegenwirkung der von ihr berührten Flüssigkeits[867] theilchen. Dieser Druck pflanzt sich vermöge der Verschiebbarkeit der Theilchen nach allen Seiten fort. Da sich nun die Flüssigkeit im Gefäße nur dann im Gleichgewicht befinden wird, wenn jeder Tropfen im Innern der Flüssigkeit von allen Seiten gleich starkem Drucke unterliegt, so geht aus Vorigem hervor, daß alle den Tropfen umgebenden Flüssigkeitssäulen für den Fall des Gleichgewichts gleiche Höhe haben müssen, d.h. daß die freie Oberfläche der Flüssigkeit horizontal sein muß. Hierauf beruht die Wasserwage. Auch wenn zwei mit einerlei Flüssigkeit gefüllte Gefäße, sie mögen gleich weit sein od. nicht, durch eine Röhre in ihren unteren Enden zusammenhängen (Communicirende Gefäße), kann die Flüssigkeit nur dann im Gleichgewicht sein, wenn beide freie Oberflächen in einer horizontalen Ebene liegen, weil nur dann jedes Flüssigkeitstheilchen, z.B. in der Röhre, von beiden Seiten gleich stark gedrückt wird. Hierauf beruht die Nivellirwage. Dieser Druck wird auch von der Flüssigkeit insbesondere gegen die Wände des Gefäßes ausgeübt, so daß die Bodenfläche einen Druck auszuhalten hat, welcher gleich ist dem Gewichte einer cylindrischen Flüssigkeitssäule über der Bodenfläche bis zur freien Oberfläche der Flüssigkeit, das Gefäß mag nun wirklich cylindrisch sein, od. sich nach oben erweitern od. verengern. Der Druck gegen die Seitenwände ist in verschiedenen Punkten verschieden, immer entsprechend der darüber befindlichen Druckhöhe, so daß, wenn man das Gefäß in verschiedenen Höhen anbohrt, die Flüssigkeit mit verschiedenen Geschwindigkeiten ausfließt (beim Weinabziehen fließt der Wein allmälig langsamer). Ist das Gefäß überall geschlossen, so hebt sich der Seitendruck allseitig auf; fließt aber die Flüssigkeit durch eine Seitenöffnung aus, so bleibt der Druck gegen das diametral gegenüberliegende Wandstück unaufgehoben, das Gefäß sucht sich also nach dieser Seite hin zu bewegen; hierauf beruht das Segnersche Wasserrad u. die schottischen Reactionsturbinen. Taucht man einen festen Körper in die Flüssigkeit ein, so bildet er einen Theil ihrer Wand u. erfährt somit ihren Druck. Die seitlichen Druckkräfte heben sich alle unter einander auf, nicht so der vertical von unten nach oben wirkende Druck gegen die untere Fläche. Daher verliert ein eingetauchter Körper an seinem Gewicht so viel, als das Gewicht der aus der Stelle verdrängten Flüssigkeit beträgt. Ist sein specifisches Gewicht gleich dem der T-n F., so wird er an jeder Stelle in derselben in Ruhe bleiben (Cartesianische Taucher, Bauers Taucherapparat); ist er specifisch leichter, so wird er schwimmen, ohne ganz unterzutauchen, ist er specifisch schwerer, so wird er untersinken, jedoch mit vermindertem Gewicht (Sinken u. Steigen der Fische durch Verkleinerung u. Vergrößerung der Schwimmblase). Aus der Größe des eingetauchten Theils eines Körpers u. aus dem bekannten specifischen Gewichte der Flüssigkeit kann man deshalb das Eigengewicht des schwimmenden Körpers, u. aus der Größe des Gewichtsverlusts eines eingetauchten Körpers sein Volumen berechnen. Fällt der Schwerpunkt desselben nicht mit dem der verdrängten Flüssigkeit zusammen, so muß eine Drehung stattfinden. da der Druck auf der einen Seite stärker ist, als auf der andern (Ballast im Schiffe). Auf dem Gewichtsverlust eingetauchter Körper beruhen mehre Methoden der specifischen Gewichtsbestimmungen. Für feste Körper bedient man sich hierzuoft der Hydrostatischen Wage, deren eine Schale an kürzeren Schnuren hängt u. unten einen Haken zum Anhängen der zu bestimmenden in Wasser getauchten Körper hat, od. auch der Nicholsonschen Senkwage (s. Aräometer). Für flüssige Körper sind, wenn nicht allzugroße Genauigkeit verlangt wird, die Scalenaräometer von großer Bequemlichkeit (s. Aräometer), deren Princip ist, daß eine senkrecht schwimmende Glasröhre um so tiefer eintaucht, je specifisch leichter die Flüssigkeit ist.

Bei der Bewegung der T-n F. kommt viel darauf an, zu wissen, wie schnell dieselbe vor sich geht, u. wie viel in derselben Zeit aus einer bestimmten Öffnung ausfließt. Als Zeiteinheit nimmt man gewöhnlich 1 Secunde an. Ist die Geschwindigkeit des fließenden Wassers bekannt, so findet man die Menge des in 1 Secunde durch eine gegebene Öffnung fließenden Wassers, indem man die Geschwindigkeit mit dem Flächeninhalte des Querschnitts multiplicirt. Die Geschwindigkeit des aus dem Boden od. einer seitlichen Öffnung eines Gefäßes strömenden Wassers hängt von der Tiefe der Öffnung unter der Oberfläche ab, so daß, wenn man nur das Verhältniß der Geschwindigkeiten berüchsichtigt, die Geschwindigkeiten der in verschiedenen Tiefen ausfließenden Wassermengen sich wie die Quadratwurzeln der Druckhöhen verhalten (Toricelli's Gesetz). Wasser, welches durch einen schwimmenden Heber aus einem Gefäße abfließt, hat stets gleiche Geschwindigkeit, weil die äußere Röhrenmündung immer gleich tief unter der Oberfläche der Flüssigkeit bleibt, so daß man darauf eine Wasseruhr gegründet hat. Bei Seitenöffnungen nimmt man, weil mit der bei verschiedener Höhe verschiedenen Kraft auch die Geschwindigkeit differirt, gewöhnlich eine mittlere Geschwindigkeit an, bei welcher aus derselben Öffnung dieselbe Wassermenge ausfließen würde. Weil aber am Rande der Öffnung die Wassertheilchen ihre Adhäsion überwinden müssen, u. das Wasser von allen Seiten her sich nach der Öffnung drängt u. so die gerade herausfallenden Theilchen ablenkt, so entsteht die Zusammenziehung des Strahls, welche in einer gewissen Entfernung von der Öffnung am größten zu sein pflegt u. dann etwa 0,64 des (kreisförmigen) Durchmessers beträgt. Bei quadratischen Öffnungen drehen sich die Ecken des anfänglichen Strahls schraubenförmig. Wegen dieser Zusammenziehung muß sich aber die Ausflußmenge des Wassers in ziemlich entsprechendem Verhältnisse vermindern. Dagegen läßt sich diese Menge vermehren durch konische Ansatzröhren, welche schon die Gestalt eines zusammengezogenen Wasserstrahls besitzen, bes. wenn man an diese noch eine andere ansetzt, welche sich wieder nach außen erweitert. Bei ausgedehnter Adhäsion, z.B. wenn Wasser durch lange Röhrenleitungen fließt, vermindert sich auch die Ausflußmenge, von kaltem Wasser mehr, als von warmem. Aus diesen Ursachen kommt auch die Springhöhe der Fontänen der Druckhöhe niemals gleich. Der Stoß, welchen T. F. auf ruhende Körper ausüben, steht mit der Geschwindigkeit u. der Größe der getroffenen Fläche in gesetzlichem Zusammenhang. Er wird z.B. bei zwei-, drei-, vierfacher Geschwindigkeit des Wassers 4,9,16 Mal größer. Man kann den Stoß durch schiefe Lage des zu treffenden Körpers zerlegen, man kann ihn durch Vergrößerung der Fläche über den Querschnitt des Wassers, sowie durch gleichzeitige Benutzung des [868] Gewichts des Wassers, bedeutend vergrößern. Außer den Wassermühlen gehört auch Montgolfiers Stoßheber od. hydraulischer Widder hierher. Vgl. Hydraulik u. die dort angeführte Literatur.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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