Untheilbarkeit der Landgüter

Untheilbarkeit der Landgüter

Untheilbarkeit der Landgüter, die Eigenschaft, vermöge deren gewisse Landgüter überhaupt nicht od. wenigstens nicht ohne besondere obrigkeitliche Genehmigung in kleinere Parcellen zerstückelt werden dürfen, sondern immer in ihrem ganzen Complex od. wenigstens in gleicher Größe, wie bisher, erhalten werden müssen. Der Grundsatz der U. ist dem Römischen Rechte durchaus fremd;, bei der Anwendung desselben steht der Zerstückelung der Landgüter auch in die kleinsten Parcellen kein Hinderniß im Wege. Dagegen hat von jeher sowohl deutsche Sitte, als auch deutsches Recht, mehrfach die U. bei Landgütern gewisser Klassen angestrebt u. wirklich auch eingeführt. In der früheren Zeit war dabei bes. die Rücksicht darauf maßgebend, daß das Gut einen solchen Bestand behalten müsse, daß der Bewirthschafter desselben die auf demselben ruhenden Lasten an Lehendienst, Lehngeld, Frohndiensten, Erbzinsen, Zehnten, Opfergeld, Hirtenschutt, Spanndienste in Kriegsfällen etc. zu leisten im Stande sei. Auch die Steuerverfassung gab öfters Anlaß der Theilbarkeit der Landgüter Beschränkungen aufzuerlegen, indem die Steuerlast unter die vorhandenen Güter nach Hufen vertheilt wurde u. nur mit Genehmigung der Steueraufsichtsbehörde solche Hufen getheilt werden durften. Grundstücke, welche nicht in die Hufenregister aufgenommen waren u. auf welche deshalb der Grundsatz der U. nicht angewendet wurde, hießen Walzende Grundstücke. Nach dem Longobardischen Lehnrechte wurden Herzogthümer, Fürstenthümer, Markgrafschaften u. Grafschaften, nach der Goldenen Bulle die deutschen Kurfürstenthümer für untheilbar erklärt. Späterhin bewirkte namentlich die Rücksicht den Glanz u. das Ansehen einer Familie zu erhalten, daß in vielen Familien des Adels durch Einführung von besonderen statutarischen Familiensatzungen, wie durch Erbverträge, Testamente, Primogenitur-, Majorat-, Seniorat- u. Minoratordnungen die U. des alten Stammbesitzes zum Princip erhoben wurde. Eine indirecte Unterstützung erhielt das Streben nach Zusammenhalten der Güter durch das Gespilderecht (s. d), durch welches den Besitzern eines Hauptgutes ermöglicht wurde bei späterer Veräußerung von Stücken, welche im Laufe der Zeit vom Hauptgute abgekommen waren, durch Zahlung des von Anderen gebotenen Kaufpreises in den Kauf einzutreten u. das Trennstück dadurch wiederum zum Hauptgute zurückzubringen. In neuerer Zeit hat man, nachdem die Rücksichten wegen Leistungen der Frohndienste etc. durch die Ablösungen hinweggefallen sind, mehr die ökonomische Seite der Frage in den Vordergrund gestellt. Dabei ist einerseits ebenso sehr gegen zu große Zertheilung des Grundbesitzes geeifert, als andererseits die Freiheit der Theilung ebenso warm vertheidigt u. für das absolut Zweckmäßige erklärt worden. Unzweifelhaft gibt es Landgüter, welche für den rationellen Betrieb der Landwirthschaft zu groß sind u. bei denen daher eine Theilbarkeit wünschenswerth ist. Man erkennt dies bes. da, wo die abgelegeneren Theile eines Gutes einer weniger intensiven Cultur unterzogen werden, als die näheren, u. zugleich als im Allgemeinen landesüblich ist. Auf der anderen Seite wirkt zu große Zertheilung der Landgüter ebenso nachtheilig, wenn die. Parcellen zu[267] klein werden, um eine Durchschnittsfamilie zu ernähren, geschweige sie vollständig zu beschäftigen. Nur wo etwa durch Tagelohn, Miethfuhren od. häuslichen Gewerbfleiß noch Nebenverdienste möglich sind, läßt sich eine ausgedehntere Parcellenwirthschaft ohne allgemeine Verarmung aufrecht erhalten, wo dies aber nicht der Fall ist, sieht der Wirth eines zu kleinen Landgutes einen Theil seiner Arbeitskräfte geradezu zum Müssiggang verdammt; an einen ordentlichen Landwirthschaftsplan ist dann nicht mehr zu denken, die Wirtschaft sinkt zur sogenannten Zwergwirthschaft herab, welche für höhere Bedürfnisse, wie zur Aufrechterhaltung des Staates durch Abgaben, keine Mittel schaffen kann u. welche durch den kleinsten Unfall auf das Tiefste erschüttert wird. Das rationell u. wirthschaftlich heilsamste Verhältniß ist es jedenfalls, wenn in einem Lande eine Mischung von großen, mittleren u. kleineren Gütern besteht, wobei die mittleren vorherrschen. Ohne alle großen Güter hält es schwer für längere Zeit die Zwergwirthschaft fern zu halten, indem eine zahlreiche Menschenklasse, wenn sie keine Beschäftigung als Tagelöhner u. Wirthschaftsgehülfen auf größeren Gütern findet, fast gezwungen ist kleine Bodenparcellen käuflich od. pachtweise an sich zu bringen; auch sind größere Güter am besten geeignet dem Landbau die Hülfe der Wissenschaft zuzuführen, bessere Maschinen, rationellen Wirthschaftsplänen etc. Eingang zu verschaffen. Auf den mittleren Gütern beruht der eigentliche Bauernstand, die Stütze eines freien Gemeindelebens u. die eigentliche Wurzel gesunder Volkskraft. Das Vorhandensein kleinerer Güter ist bes. dadurch möglich, daß auf solche Art die Lücke zwischen Tagelöhner u. Großbauer ausgefüllt u. für Anfänger u. weniger Vermögende eine Aussicht auf Beförderung u. künftige Selbständigkeit eröffnet wird. Daneben empfiehlt sich aber auch das Bestehen einer mäßigen Anzahl völlig freier Parcellen als Gelegenheit zum Erwerb für Tagelöhner, wie zur Ausgleichung für den unvermeidlichen Wechsel in den Vermögensverhältnissen der verschiedenen Gutsbesitzer. Die Erhaltung resp. Herbeiführung eines solchen Zustandes haben die neueren Gesetzgebungen vielfach angestrebt. Im Interesse der Erhaltung größerer Güter sind Gesetze erlassen worden, welche die Bildung von Familienfideicommissen u. von einer Vererbung der Immobilien in Einer Hand befördern sollen; andererseits ist man bestrebt gewesen den Mangel an mittleren u. kleineren Gütern durch Zerschlagung von Domänen etc. zu Hülfe zu kommen. Noch andere Gesetze haben bestimmte Maße eingeführt, unter welche bei Zertheilungen der Umfang eines Gutes, resp. einer Parcelle, nicht herabsinken darf. Nach einem Sachsen-Altenburgischen Gesetz vom 9. April 1859 kann die Landesregierung alle Zerschlagungen von Gütern u. sonstigen geschlossenen Grundstückscomplexen, so wie Abtrennungen von solchen versagen, wenn das Gut eine wesentliche Veränderung in seiner Bewirthschaftung erfahren würde. Ebenso ist hier die Zerlegung von Grundstücken in Parcellen unter 1/2 Acker Flächengehalt untersagt. Abgesehen von solchen gesetzlichen Anordnungen wurzelt die U. der Güter bei einem gesunden Volke von selbst in dem Familiensinn der Landbewohner; in dessen Hebung, in Verbindung mit Beförderung der Freizügigkeit u. Erwerbsfreiheit für die überschüssige Landbevölkerung, liegt daher noch ein anderer Weg vor, die U. solcher Grundbesitzungen, bei denen dieselbe nützlich ist, zu erhalten. Eine wesentliche Unterstützung für diese Erhaltung bieten auch die Zusammenlegungen u. Verkoppelungen der Grundstücksparcellen in einer Gemeindemarkung, da erfahrungsmäßig jedes Gut um so zäher erhalten wird, je weniger es in Parcellen zerstückelt ist.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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