Äthiopische Sprache u. Literatur

Äthiopische Sprache u. Literatur

Äthiopische Sprache u. Literatur. I. Die äthiopische Sprache gehört dem semitischen Sprachstamme an u. ist zunächst verwandt mit dem himjaritischen Zweige des Arabischen. Sie wird in verschiedenen, bisher jedoch nur wenig bekannten Dialekten gesprochen. Über letzteren jedoch steht als Sprache der Kirche u. Literatur, die Lesana Geez od. das eigentlich sogenannte Äthiopische, welches früher die Landessprache des Reiches von Axum war, aber allmählig gegen das Amharische an Gebiet verlor, bis letzteres im 14. Jahrh. durch den König Ikon Amlak zur Hofsprache erhoben ward. Unter den Mundarten ist außer dem Amharischen noch die von Tigre zu nennen. Die Schrift der Äthiopier war ursprünglich der himjaritischen sehr ähnlich, bestand blos aus Consonanten u. wurde von der Rechten zur Linken geschrieben. Erst später, nach Einführung des Christenthums (in der ersten Hälfte des 4. Jahrh. n. Chr.) ward ihre Richtung nach dem Vorbilde der griechischen Schrift geändert u. Vocalzeichen eingeführt. Letztere wurden mit der Schrift innig verbunden, so daß die neuere äthiopische Schrift die Gestalt einer Sylbenschrift angenommen hat. Das Alphabet besteht aus 26 Consonantenn. 7 Vocalen, ă, ŭ, i, a, e, ĕ, o, welche mit den Consonanten in einer der Ä. S. unter den semitischen Sprachen allein eigenthümlichen Sylbenschrift von der Linken zur Rechten so verbunden werden, daß die Gestalt des Consonanten je nach dem hinzutretenden Vocale eine gewisse regelmäßige Veränderung erleidet.

Äthiopische Sprache u. Literatur

[888] Diakritische Zeichen besitzt die Ä. Schrift nicht, die einzelnen Wörter werden durch Doppelpunkte getrennt; die Lehre vom Accent unterliegt vielen Schwierigkeiten. Für das Verbum bestehen 10 Modificationen, wovon die 5. u. 6. dem Ä. eigenthümlich sind. Für den Conjunctiv besteht eine besondere Form, der doppelte Infinitiv wird sehr häufig als Nomen gebraucht u. erscheint daher auch der Form nach immer entweder als absolut od. construirt. Das Participium u. der Dual fehlt. Das Geschlecht (Masculinum u. Femininum) wird in der 2. u. 3. Person durchgehends geschieden. Die Bezeichnung des Geschlechtes am Nomen ist dieselbe wie im Hebräischen u. Aramäischen; für den Collectivplural existiren 10 Formen; das Genitivverhältniß wird entweder durch den Status constructus (wobei mancherlei Vocalveränderungen vorgehen), od. durch Vermittelung des Relativpronomens ausgedrückt; der Dativ durch Präpositionen. Der Comparativ u. Superlativ werden durch Partikeln umschrieben. Inder Anordnung des Satzes folgt das Äthiopische der semitischen Gewohnheit. Der Anfang des Vaterunsers lautet:

Äthiopische Sprache u. Literatur

lies von der Linken nach der Rechten: abuna. zabasamajat. jetkadas. semka. d. h. Vater - unser, der - in - Himmeln, geheiligt - werde, Name - dein. Grammatiken von Ludolf (1702) u. Dillmann (Lpz. 1857); Wörterbuch von Ludolf, 1699; Hupfeld, Exercitiones aethiopicae, Lpz. 1825.

II. Das Amharische entwickelte, seit dem Absterben des Geez, auch eine Literatur, die jedoch wenig umfangreich ist u. nichts Eigenthümliches besitzt. Aus der Zeit vor Constantin d. Gr. sind nur einige Bruchstücke von Inschriften übrig. Eine Literatur scheint bis dahin nicht vorhanden gewesen zu sein. Dieselbe beginnt erst mit Einführung des Christenthums u. trägt daher einen durchaus christlichen u. zwar monophysitischen Charakter. In den ersten Jahrhunderten des Mittelalters war die literarische Thätigkeit ziemlich lebhaft, das Meiste jedoch, was erhalten ist, gehört dem 14. u. 15. Jahrh. an. Vieles darunter ist der christlichen Literatur der Griechen, Araber, Syrer u. Kopten entlehnt, wie sich denn auch Einzelnes nur noch in der äthiopischen Bearbeitung erhalten hat. Man kennt jetzt etwa 200 äthiopische Bücher, doch ist mit dieser Zahl die Literatur keinesweges erschöpft, da einestheils vieles in Verwüstungen, welche im 16. u. 17. Jahrh. Abessinien durch die Gallas u. Moslems zu ertragen hatte, untergegangen, anderentheils Manches noch in den entlegenen Klöstern, bes. in den südlicheren christlichen Königreichen (nach der Sage namentlich in Gurague) verborgen liegen mag. Seit dem 16. Jahrh. ist wenig mehr producirt worden. Die ganze Bibel, das Alte Testament nach der Septuaginta, wurde von unbekannten Verfassern bereits im 4. Jahrh. übersetzt. Die äthiopische Bibelübersetzung ist für die Kritik des Bibeltextes nicht ohne Werth, aber nur erst theilweise gedruckt (das Neue Testament, Rom 1548, 2 Bde. u. in der Londoner Polyglotte; der Octateuch, herausgeg. von Dillmann, Lpz. 1854–56; Die Psalmen, äthiopisch u. lateinisch von Ludolf, Frkf. 1701; äthiopisch, Lond. 1855). Vgl. Platt, Catalogue of Ethiopical Biblical Manuscripts, ebd. 1834. Besonders reich ist die Äthiopische Literatur an Apokryphen, deren griechische Originale verloren gegangen sind; doch mögen auch mehrere Apokryphen im Schoße der Äthiopischen Kirche selbst entstanden sein. Von hohem Werth ist das bekannte Buch Henoch (s.d.); andere Bücher derart sind die Ascensio Esaiae vatis (herausgeg. von Lawrence, Lond. 1819, deutsch von Jobowitz, Lpz. 1854); das christliche Adambuch des Morgenlandes, deutsch von Dillmann, Gött. 1853; das Buch Kufâlae; Taâmra, Jasûs (die Wunder Jesu); Taâmra Marjam (die Wunder Mariä); das Buch Tomâr (ein Brief Christi, wahrscheinlich aus Rom stammend); das Gespräch Christi mit Sinodâ etc. Sonst sind von kirchlichen Werken noch bekannt: die Didascalia (herausgeg. von Platt, Lond. 1834) od. die Apostolischen Constitutionen, wie sie sich bei den Monophysiten erhalten haben; die Pseudo-Clementinischen Constitutionen; das Werk Haimânôta Abau (d.i. Glaubenslehren der Väter), ausführliche Belege aus den Kirchenvätern für die monophystische Dogmatik; Tagsâssa baeta Christijan (Gesetze der christlichen Kirche); Faus manfasâvi; Seratâ Kehenat (Gesetze der Kirche u. ihrer Würden); Fragen der Väter u. ihre Erklärung etc. Viele Handschriften enthalten Homilien (Drsân) von Basilios, Ephraem, Athenäos, Kyrillos; sowie Schriften von Palladios, Evagrios etc. Die Fragen über die Geschichte der Ägyptischen Vatermönche, nicht unwichtig für die Geschichte des Einsiedlerwesens, wird einem Philexios (vielleicht Philoxenos) zugeschrieben. Dogmatisch ist Amâda Mistir. (die fünf Säulen des Mysteriums); das Masschafa Gnzat (Leichenbuch) behandelt das Begräbnißritual. Eine Sammlung von heiligen Legenden umfaßt das Buch Snksâr (aus dem griechischen Συναξάριον); den St. Georg behandelt das Gadla Georgis, den Erzengel Michael die Drsâna Michael. Die Poesie zeigt eine rohe, unausgebildete rhythmische Form u. besteht fast nur aus Hymnen. Dahin gehören die Bücher Egziabchaer nagsa (d.i. Gott herrsche!); Flsata Marjam (Hingang Marias); Organona Marjâm (Orgel zum Lobe der Maria) etc. Die Marâsĕĕt (d.i. Antiphonien) sind mit musikalischen Zeichen versehen. Worterklärende Werke sind die Savâsev (d.i. Leitern) u. Fekârae. Von Wichtigkeit sind die historischen Schriften, unter denen namentlich das Keber zu Negeste, die traditionelle mit vielen Sagen vermischte Geschichte des riesigen Reiches von Axum enthaltend, die Fetcha Negest (Bruchstück, herausgeg. von Arnold, Halle 1841) u. Târikha abau (Chronik der Väter) hervorzuheben. Ihre eigene Sprache haben die Äthiopier nicht bearbeitet. Im Abendlande schrieb früher Ludolf eine Grammatik u. Wörterbuch der Ä. S. (s. oben I.). Seitdem ist bis auf die neueste Zeit herab verhältnißmäßig wenig für das Äthiopische geschehen, von den Engländern sind nur Lawrence u. Platt, von den Deutschen Dorn, Hupfeld, Hoffmann, Rödiger, bes. aber Ewald, Tuch u. Dillmann, sowie die Missionäre Isenberg, Blumberg u. Krapf zu nennen. Die meisten äthiopischen Handschriften befinden sich zu Paris, Oxford, Petersburg, Rom, Frankfurt (durch Rüppell) u. namentlich. Tübingen (durch Krapf). Vgl. Ewald, Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes, Bd. 5 (1843); Derselbe, Zeitschrift der Deutschen morgenländischen Gesellschaft, Bd. 1 (1846).


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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