Nordische Mythologie

Nordische Mythologie

Nordische Mythologie, im weiteren Sinne die Geschichte der Religion der germanischen, finnischen u. slawischen Volksstämme im europäischen Norden vor Einführung des Christenthums; im engeren Sinne die Religion der nordgermanischen od. skandinavischen Völker. In letzterem Sinne beschränkt sie sich jedoch für uns nur auf diejenige Gestalt, welche der heidnische Glaube der alten Skandinavier in Norwegen u. seinen Colonien angenommen hat u. wie er in der altnorwegischen u. isländischen poetischen, historischen u. Sagenliteratur, bes. den beiden Edda's (s.d.), vorliegt. Für die Formen, welche die altnordische Mythologie in Schweden u. Dänemark hatte, fehlen uns genauere u. zusammenhängende Überlieferungen, doch ist es gewiß, daß sie im Wesentlichen zusammenstimmten, wie sich denn überhaupt noch deutlich genug der Zusammenhang der N-n M. mit der Glaubenslehre zunächst aller übrigen Germanischen Stämme, dann weiter auch aller übrigen Arischen Völker erkennen läßt. Die N. M. erscheint uns zwar als Polytheismus, ist jedoch aus monotheistischer Anschauung nur erst allmälig entstanden; noch in spätester Zeit war Odin, mit dem Beinamen Alfadur, der älteste u. bedeutsamste der Asen (s. unt.); er hatte alles geschaffen, erhielt u. regierte Alles. I. Kosmogonie, Theogonie u. Anthropogonie. In der Mitte des Weltalls lag die Erde, eine Scheibe, umflossen vom Ocean; so weit sie von Menschen bewohnt wurde, hieß sie Mannheimar, u. deren mittelster Theil Midgard; innerhalb der dicken Erdscheibe, in Svartalfaheim, wohnten Zwerge od. Schwarzelfen. An der Nordseite des Oceans, an dessen Boden die erdumspannende Midgardschlange lag, wohnten Riesen in dem kahlen u. öden Jotunheim, an dessen Grenzen Helheim (Niflhel) war, umflossen von dem Höllenstrom Gjöll, über welchen die von dem bluttriefenden Hunde Garmr bewachte Brücke führte. Hier war der Aufenthaltsort der Unseligen. Über Helheim draußen war Niflheim, voll Eis u. Finsterniß, von Hrlmr beherrscht. Getrennt war Niflheim von Helheim durch Helgrind, einen hohen Zaun. In der Mitte von Niflheim war der Brunnen Hvergelmir, unter einer der Wurzeln der Esche Yggdrasill, voll Schlaugen, unter ihnen der Schlangenkönig Nidhöggr, der immer an der Wurzel nagte. Der Brunnen erhielt sein Wasser von den Hörnern des Hirsches Eikthyrnir (s. unten), u. aus ihm strömten alle Flüsse. Im untersten Niflheim war Nastrond (Leichenstrand), wohin alle Bösen aus Niflhel (Helheim) wandern mußten, wenn sie durch einen zweiten Tod gestorben waren, u. wo sie in Giftströmen herumwateten. Am Südtheile der Erde war Muspelheim (s. unten), wo Surtur mit dem Schwerte herrschte. Über die Erdscheibe verbreitete sich Vanaheim, die Dunstluft, die Wohnung der Vanen, u. über den Wolken der Göttersitz Godheim, wo Asgard (s. unten) war; von hier ging bis zu der Erde die schwankende Brücke Bifröst. Über Asgard lag der höchste Himmel Gimli, heller als die Sonne, der Sitz des Urgottes Alfadur. Als die Stütze des ganzen Weltalls galt der Weltbaum Yggdrasill. Er war eine Esche, erwachsen aus dem Leichnam Ymirs, u. hatte drei Wurzeln, deren eine nach Asgard, die zweite nach Jotunheim, die dritte nach Niflheim ging. An jeder war ein Brunnen, der an[92] der Asgardwurzel hieß Urdarbrunnen, an dessen Ufer die Nornen wohnten u. mit dessen Wasser sie täglich den Baum besprengen, daß er nicht verwelke; der an der Jotunheimwurzel war der Weisheitsbrunnen, über ihm lag Mimir u. trank täglich mittelst des Giallarhornes daraus, daher der Brunnen auch Mimirsbrunnen hieß; der an der Niflheimwurzel war Hvergelmir (s. oben). Er hatte auch drei Äste, diese verbreiteten sich über die ganze Erde. Auf den Zweigen saß ein Adler, der Vieles wußte; zwischen ihm u. der Schlange Nidhöggr trug das Eichhorn Ratotösker Lästerworte hin u. her, um Unfrieden zu stiften; vier Hirsche liefen außerdem in den Zweigen umher u. fraßen die täglich neu wachsenden Blättersprossen. Die Kosmogonie der N-n M. nach der kleinen Edda lautet also: im Anfange war Ginungagap, ein Chaos, durch Alfadurs Macht spaltete sich die gähnende Tiefe u. zwei Welten trennten sich daraus, nach Norden die Nebelwelt Niflheim, nach Süden die Feuerwelt Muspelheim. Aus Muspelheim flogen Funken an die Eismassen von Niflheim; diese Eismassen entstanden aus dem Gifte, welches den Urfluthen Niflheims, Elivagar, entströmte u. in seiner Entfernung dann zu Eis erstarrte. Aus dem Schmelzen der Eismassen durch die Feuerfunken entstand eine Menschengestalt Ymir, der Vater aller Riesen, von seinen Sprößlingen Aurgelmir (Örgelmir, d.i. der Uralte) genannt; er war bös, wie sein ganzes Geschlecht. Nach ihm entstand aus den Eistropfen die Kuh Audhumbla, aus welcher vier Milchströme gingen, welche Ymir nährten. Dieser zeugte aus dem Schweiß unter seinem Arme einen Mann u. eine Frau u. durch die Berührung seiner Füße mit einander einen Sohn, der sechs Köpfe hatte, welcher der Stammvater der Hrimthursen od. Reifriesen wurde. Die Kuh leckte an den bereisten Salzsteinen, u. aus denselben ragten am ersten Tage Menschenhaare, am zweiten ein Kopf u. am dritten ein ganzer Mann hervor, Bur genannt, schön von Gestalt, groß, stark u. kräftig; er wurde der Götter u. Menschen Stammvater. Dessen Sohn Bör zeugte mit Beilsta, der Tochter des Riesen Bergthorir, drei Söhne, Odin, Vili u. Ve, welche gegen den alten Ymir kämpften u. ihn erschlugen. In dessen Blute ertranken alle Hrimthursen bis auf Bergelmir (den Bergalten), Thrudgelmirs Sohn, der sich mit seiner Familie in einem Schiffe rettete u. von welchem die neuen Riesengeschlechter stammten. Ymirs Leichnam schleppten die drei Brüder in die Mitte u. schufen daraus die Erde; aus seinem Blut wurden Meer u. Flüsse, aus den Knochen Berge, aus den Zähnen die Steine, aus dem Schädel die Wölbung des Himmels, aus dem Haar die Bäume u. aus dem in der Luft geworfenen Gehirn die Wolken. Darauf nahmen Odin, Vili u. Ve Strahlen u. Funken von Muspelheim u. setzten dieselben an den Himmel, damit sie leuchteten (Sterne). Aus dem Fleische wuchsen die Zwerge. Nun befestigten sie ihre Wohnung im Himmel, wo sie Asgard (s.d.) bauten, dann stiegen sie zur Erde herab u. schufen Menschen aus zwei Bäumen, welche sie am Strand des Meeres fanden u. aufnahmen; Odin gab ihnen Seele u. Leben, Vili (Hänir) Verstand, Ve (Lodur) Blut, Sprache u. blühende Gesichtsfarbe; den Mann nannten sie Askr (Esche), die Frau Embla (Erle). Von ihnen stammte das Menschengeschlecht, welchem Midgard als Wohnort angewiesen wurde, u. um diese vor den Riesen zu schützen, bauten sie aus Ymirs Augenbrauen einen hohen Wall; an den Nordpol stellten sie den adlerschwingigen Riesen Hräsvelg, welcher den Winter beherrschte u. die Stürme erregte; an dem entgegengesetzten Pole wohnte Svasudur, der Vater Sumars (des Sommers).

II. Götter- u. Geisterlehre. Ein zweites Göttergeschlecht sind nach der Edda die 13 Asen, welche aus dem östlichen Asaheim eingewandert sein sollten. Als König stand an der Spitze der männlichen Asen (Äsir) Odin, darnach Thor der Donnergott, Baldur der Gott der Schönheit, Njord der Gott der Gewässer, Freyr der Gott der Fruchtbarkeit, Tyr der Gott des Krieges, Bragi Gott der Dichtkunst, Heimdall der Wächter der Brücke in Asgard, Vidar der schweigende Gott, Vale der Gott der Bogenkunst, Ullr der Gott des Schlittschuhlaufes, Forsete war der Schlichter der Streitigkeiten, der blinde Hödur der Gott der Nacht; die weiblichen Gottheiten od. Asinnen (Asiniur) waren: Frigga, Odins Gemahlin u. Vorsteherin der Ehen, Freia die Göttin der Liebe, Iduna Bragas Gemahlin u. Göttin der Unsterblichkeit, Eiradie Göttin der Heilkunst, Saga Odins Freundin, Gefion Göttin der Jungfräulichkeit, Sygn Göttin der Gerechtigkeit, Nanna Baldurs Gemahlin; dann Löfn Göttin der ehelichen Eintracht, Siöfn Göttin der Zärtlichkeit, Var Göttin der Treue, Gna die Botin u. Hlyn u. Fylla Dienerinnen der Frigga. Zwölf von ihnen bildeten den Götterrath. Die Asen, Bragi u. Thor ausgenommen, hatten in Asgard ihre Paläste; es gab deren zwölf, die man durch die Zeichen des Thierkreises erklärt, dort wohnten sie gewöhnlich, stiegen jedoch auch zuweilen auf die Erde herab, in guter od. böser Absicht, wozu sie sich ihrer Rosse bedienten, das schönste derselben war das Odins Sleipnir. Übrigens waren sie Weltregenten u. Lenker der menschlichen Schicksale, abernicht unsterblich (s. unten). Nicht zu den Asen gehörte Loki, der Götterfeind, der Meergott Ägir u. seine Gemahlin Ran, Hänir, die Geißel der Asen bei den Vanen, Hel, die Beherrscherin des Schattenreiches Niflheim. Zwischen den Asen, Vanen, Menschen u. Riesen fanden Verwandtschaften theils durch Vermählungen, theils durch Aufnahme in den Himmel statt. Zu den Asen gehörten auch nicht, obgleich von hoher Bedeutung als Schicksalsgöttinnen u. als solche sogar über den Asen stehend, die Nornen (s.d.); Fylgien waren die Schutzgeister der Menschen u. die Valkyrien (s.d.) die Wählerinnen der Helden im Kampfe, welche sterben sollten. Die außergöttlichen Bewohner der Himmels- u. überirdischen Räume hießen Alsen (s.d.), der Gewässer Wellenmädchen (s. Ägir), des Pflanzenlebens Ividien. Der Götter Feinde waren die Riesen, ihr Gegensatz auf der Erde die Zwerge (s.b.). Gegen die Asen wirkten theils innerhalb des Asenkreises Loki u. Fenrisulfr; von außen die Midgardschlange, Hel, die in ihre Elemente aufgelösten Hrimthursen u. die Joten. Der gegenseitige Kampf, theils über geistige, theils über physische Vorzüge, war ununterbrochen; wenn die beiderseitigen Kräfte aufgerieben sind, kommt der letzte Kampf, wobei Alles untergeht u. die Welt mit durch Surturs (des Feuers) Heer.

III. Dieses Weltende (Ragnarokr, d.i. Götterbrand, Götterdämmerung), kündigt sich an durch drei grimmig kalte Winter (Fimbulvetir), welche[93] durch keinen Sommer unterbrochen werden, u. nachdem vorher drei Jahre lang die ganze Welt mit Krieg u. Blutvergießen erfüllt worden ist. Die Midgardsschlange u. der Wolf Fenrir haben sich frei gemacht, die Erde bebt, alle Bäume werden ausgerissen, das Meer tritt auf das Land, der Himmel spaltet sich; haufenweis ziehen die Menschen auf den Pfaden des Todes. Da ruft Heimdall mit dem Giallarhorn alle Asen zum Streit. Muspells Söhne segeln auf dem großen Schiff Naglfari, welches aus den Nägeln der verstorbenen Menschen gemacht ist u. welches von Loki od. von Hrlmr geführt wird, übers Meer, reiten unter Surturs Anführung, nachdem unter ihnen die Brücke Bifröst gebrochen ist, auf die Ebene Vigrid, vereinigen sich hier mit dem Wolfe Fenrir, der Midgardsschlange, Loki u. Hrlmr u. allen Hrimthursen. Hierher kommen auch die Asen u. Einheriar u. der Kampf beginnt; Odin kämpft gegen Fenrir, Thor gegen die Midgardsschlange, Freyr gegen Surtur, Tyr gegen den Hund Garmr, Heimdall gegen Loki; alle diese kommen um, nur Surtur bleibt; der schleudert Feuer (Sutalogi) umher, u. es verbrennt die ganze Welt, die Sonne wird schwarz, die Sterne fallen vom Himmel, die Erde sinkt in das Meer, Rauch wallt auf. Übrig bleiben Wohnungen für Gute u. Böse (s. unten). Aber die Welt wird wieder geboren. Aus dem Meere hebt sich eine schöne grüne Erde, worauf, nachdem die Gewässer sich zurückgezogen haben, Korn wächst, ohne daß es gesäet werden darf. Die Sonne, ehe sie vom Wolfe verschlungen worden, hat eine Tochter geboren, welche nun an ihrer Statt die Erde erleuchtet Ein Mann u. eine Frau, Lif u. Lifthrasir (Leben u. Lebenswärme) haben sich aus Surturs Flammen gerettet nach Hoddmimirs Walde, u. von ihnen stammt die neue Bevölkerung der Erde. Die Asen, außer Odin u. Thor, werden wieder geboren u. versammeln sich auf Idavöllr, wo die goldenen Tafeln wiedergefunden werden, welche die Götter beim Zeitenanfang verloren hatten. So wohnen Götter u. Menschen zusammen durch alle Alter, gebannt ist aus der Welt das Übel u. gebrochen die Macht des Bösen.

IV. Über den Zustand nach dem Tode kann man eine ältere u. eine neuere Ansicht in der N-n M. unterscheiden. Schon die ältesten Skandinavier erwarteten nach dem Leben eine Vergeltung. Einige ließen die Seelen der Verstorbenen bis zum Vergeltungszustände in die Kreise der Alsen od. Vältir treten u. einstweilen in Bergen u. Hügeln wohnen; Andere glaubten an eine Seelenwanderung in andere Menschenkörper, doch auch diese war nach einem bestimmten Cyclus vollendet, weil von allen Geistern geglaubt wurde, daß sie nach Gläsisvöll u. Udainsakur kämen. Diese Ansichten aber wichen den späteren von Valhöll (Walhalla) u. Helheim. Valhöll in Gladsheim war der Aufenthaltsort der gefallenen Helden (Einheriar) u. deren Reisigen, welche in ihrer Herren Gefolge umkamen, u. deren es 1000 × 1000 fassen konnte; es hatte 540 Thore, war ganz von Gold erbaut, das Dach mit goldenen Schildern bedeckt, die Wände mit Speeren behängt, die Bänke mit Panzerhemden bekleidet; das westliche Thor, durch welches die Todten einzogen, war mit einem Gitter, Valgrind, versehen, welches sich jeden Abend schloß; davor lag ein Wolf u. oben darauf stand ein Adler. Auf den hohen Zinnen Valhölls stand die Ziege Heidrun, welche das Laub des über die Halle der Todten aufgrünenden Baumes Lerad fraß u. aus deren Eutern der Meth für Götter u. Einheriar träufelte. Geführt wurden die gefallenen Helden nach Valhöll von den Valkyrien, Odin empfing sie u. Bragi u. Hermodr begrüßten sie mit dem Gruße: Aller Einheriar Gruß sollst du haben, trinke du mit den Asen Meth! Wie sie bestattet waren, kamen sie hierher, daher es Sitte in Skandinavien war, dem Gefallenen außer seiner Rüstung auch noch Kostbarkeiten aller Art mit in den Scheiterhaufen zu werfen, damit sein Einzug in Valhöll desto glänzender u. sein Leben dort desto geehrter u. herrlicher war. Nun nahmen sie Theil an dem valhöllischen Leben. Früh weckte Salgofnir, der goldkämmige Hahn, die Helden, sie ziehen zum Kampf auf Idavöllr u. erschlagen sich gegenseitig, werden aber zur Zeit der Rückkehr wieder alle lebendig u. ziehen zum Mahl nach Hause. Das Fleisch des Ebers Sährimner, vom Koch Andhrimner in dem Kessel Eldhrimner gekocht (welcher Eber aber stets nach der Mahlzeit wieder ganz wird, um am anderen Tage wieder geschlachtet werden zu können), ist ihre Speise, Meth od. Bier ist ihr Getränk, kredenzt von den Valkyrien. Auch nach Folkvangr zu Freya kam ein Theil der rühmlich Verstorbenen, man glaubt Weiber. Wer sich durch unthätiges, selbstsüchtiges Leben der Aufnahme in Valhöll unwürdig gemacht hatte, wie Verbrecher, Mörder, Meineidige od. die auf dem Krankenbette od. unblutig gestorben waren, kamen nach Helheim (s. oben). Hier wurden die Todten hinter dem unverwüstlichen Zaun Helgrind gefangen gehalten; hier war alles öde, kalt, schaurig, lebens- u. freudlos. Sowohl Valhöll u. Folkvgngr, als auch Helheim waren aber nur die Aufenthaltsorte der Todten bis zu Ragnarokr; wenn darauf Alfadur gerichtet haben wird, wird sich auch ein neuer Himmel u. ein neuer Strafort eröffnen, dann aber auf ewig; in Nastrond in Niflheim werden die Meuchelmörder, Meineidigen u. Verführer auf ewig schmachten; in Gimle werden Götter mit den in Treue erprobten Menschen immer wohnen u. sich in den goldenen Sälen Brimir u. Sindri freuen. Diese letzte Glaubensansicht von der Ewigkeit der Strafen u. der Himmelsfreuden scheint unter dem Einfluß christlicher Lehre entstanden zu sein, wenigstens sprechen die älteren Religionsurkunden des Nordens nicht von den ferneren Schicksalen der bei Ragnarokr umgekommenen Einheriar.

V. Cultus. Die Priester (Godir) hatten unter einander verschiedenen Rang, Oberpriester hatten hauptsächlich die Opfer zu besorgen u. besaßen vielleicht auch eine gerichtliche Gewalt, so wie sie an besonderen heiligen Orten wohnten. Von ihnen abgesondert wohnten die Priesterinnen (Gydiur) auch an heiligen Orten, welche Orte Zufluchtsstätten, bes. für verfolgte Jungfrauen waren. Die Priesterinnen dienten den Göttinnen, aber auch Baldurs Dienst verrichteten sie. Zu ihren Hauptgeschäften gehörte die Weissage. Da die Weissage theils gut, theils böse war, so war sie auch getheilt unter die Asen u. Riesen, von Letzteren sind zu nennen die Wolen, Gygiur, Trollquinor etc. ihnen gehörte auch die Kunst der Zauberei, die zur Zauberei gesungenen Lieder hießen Galldrar. Die Plätze des Cultus waren theils frei u. unüberbaut, nur gefriedigt durch einen Zaun u. heilig durch die Meinung, theils waren es kapellenartige Gebäude. Auf der erhöhten Mitte stand darin ein Altar, worauf[94] der Ring lag, welchen der Priester beim Opfer trug u. auf welchen der heiligste Eid geschworen wurde. Die Opfer bestanden gewöhnlich in Thieren, bes. Eber wurden geopfert. Die Opferfitte in Hlade war folgende: Die Bauern kamen in dem Hofe zusammen, jeder brachte für sich Speise u. Trank auf die Dauer des Opfers mit. Allerlei Thiere, worunter auch Pferde, wurden geschlachtet, in das Blut, aufgefangen in dem Kessel, wurden Weihwedel getaucht u. damit die Fußgestelle der Götzenbilder, die Tempelwände innen u. außen bestrichen. Das Fleisch wurde zum Opferschmause gekocht. Mitten im Hofe wurde in, über Feuer gehängten Kesseln der Trank gekocht. Der Priester segnete die Becher u. den Schmaus; der erste volle Becher galt dem Odin (Odins Fall) für des Königs Sieg u. des Landes Heil; darauf wurde dem Njord u. dem Freyr getrunken. Viele tranken noch Bragis Becher, zum Andenken liederberühmter Helden; auch wurde ein Gedenkbecher für berühmte todte Verwandte geleert. Das jährliche Haupt fest war das Julfest (s.d.) im Winter, 21. December, u. das Sumarblot (s.d.) od. Hvitsunna zum Anfang des Sommers, 22. Mai; in der Mitte des Sommers, nach dem 21. Juni, als Gegensatz zum Julfest, das Medsommarsest, zu Ehren Baldurs gefeiert; das größte war das alle neun Jahre nach dem Julfeste im Januar gefeierte. Andere Opfer waren genannt nach dem Götterwesen, denen sie gebracht wurden, z.B. Alfarblot; andere nach dem, woraus sie bestanden, wie Sonarblot, das große Heerdopfer.

Die Ansicht über die Entstehung u. den innern Werth der N-n M. waren bis auf neuere Zeit herab höchst verschieden. Manche fanden in den nordischen Mythen nichts als Ausgeburten müßiger Mönche, welche die Edden fingirt hätten; Andere, wie Adelung, Delius, Rühs, Münter, Spinnstuben- u. Ammenmährchen; Andere erklärten sie als rohe u. gemeine Erfindung. Dagegen rettete die Ehre der N-n M. Gräter in seinen Briefen über den Geist der nordischen Dichtkunst u. Mythologie (im Bragur), u. in: Ideen über die Brauchbarkeit der N-n M. Auch Herder erhob in der Iduna seine Stimme für sie; Öhlenschläger, I. Möller u. L. S. Platon beantworteten eine von der Universität zu Kopenhagen aufgeworfene Preis-Page in der Minerva 1801 zu Gunsten der N-n M. I. Grimm urtheilt über die N. M., daß sie echt u. mit der germanischen nrsprünglich dieselbe ist, nur daß die N. M. vor der Germanischen manches Eigenthümliche hat, was bes. der Ausbildung der Hoffkalden in Skandinavien zugeschrieben werden müsse u. also nicht wesentlich sei. Vgl. Nierup, Wörterbuch der Skandinavischen Mythologie, übersetzt von Sander, Kopenhagen 1816; Mone, Geschichte des nordischen Heidenthums, 1. Bd. S. 216 ff.; G. Th. Legis, Alruna, ebd. 1831; Finn Magnusen, Priscae veterum boreal. mythologiae lexicon, Kopenhagen 1828 (im 3. Bd. der Kopenhagner Ausgabe der größern Edda); Ders., Eddalaeren og dens Oprindelse, Kopenh. 1824–26, 4 Bde.; Köppen, Literarische Einleitung in die N. M., Berl. 1837; Munch, Nordmaendenes Gudelaere i Hedenold, Christ. 1847; Keyser, Nordmaendenes Religions-Forfatning i Hedendommen, Christ. 1847; Wiborg, Die Mythologie des Nordens, dentsch von A; v. Etzel, Berl. 1847; Petersen, Nordisk Mythologi, Kopenh. 1849.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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