Gradmessung

Gradmessung

Gradmessung, 1) die Bestimmung der Größe eines Kreistheiles od. Winkels nach Graden u. Gradtheilen; 2) die Messung der Entfernung von zwei Orten, welche unter einem Meridian gelegen, u. nur ein od. mehrere Breitengrade von einander entfernt sind. Wenn die Erde eine vollständige Kugel wäre, so müßte die Entfernung von zwei unter einem Meridiane liegenden Punkten, von denen der eine genau einen Grad nördlicher liegt als der andere, an allen Theilen des Meridians dieselbe sein. Messungen, welche in dieser Absicht zu verschiedenen Malen u. an verschiedenen Orten auf der Erde vorgenommen wurden, haben aber gezeigt, daß die Länge der Breitengrade mit der Entfernung vom Äquator zunehmen, wie folgende Tabelle angibt: Name des Landes: Mittl. Br.: Länge eines Breitengrades in Toisen:

Peru1°31'56736,8
Indien12°32'56762,3
Frankreich46°8'57024,6
England52°2'57066,1
Lappland66°20'57196,2

Die Meridiane sind sonach in der Nähe des Äquators stärker gekrümmt als an den Polen, u. der Äquatorialdurchmesser größer als der Polardurchmesser, mit anderen Worten, die Erde ist an den Polen abgeplattet. Die ersten geschichtlich überlieferten Versuche einer G. wurden von dem Griechen Eratosthenes angestellt. Er maß um 250 v. Chr die Entfernung zwischen Alexandria u. Syene in Ägypten, deren Breitenunterschied er durch die Messung der Schattenlänge zur Zeit des Sonnensolstitiums bestimmte, u. fand daraus den Umfang der Erde = 252,000 Stadien. Anfang des 9. Jahrh. wurde auf Befehl des Khalifen Mamun in Bagdad auf der Ebene von Sennaar am Rothen Meere eine G. vorgenommen. Doch das Ergebniß dieser, in den damals gebräuchlichen arabischen Meilen ausgedrückt, ist so wenig als das des Eratosthenes, wegen Unkenntniß der Maßeinheiten, mit den neueren Messungen vergleichbar. Eine dritte G. stammt von dem französischen Arzt u. Mathematiker Fernel, welcher 1528 in möglichst gerader [528] Linie von Paris nach Amiens fuhr u. diese lineare Entfernung durch die Zahl der Umdrehungen des Wagenrades zu bestimmen suchte; nicht vollkommener war die Methode zur astronomischen Bestimmung des Breitenunterschiedes; doch compensirten sich seine Fehler so, daß er nicht sehr von der Wahrheit abweichend die Länge eines Meridiangrades = 57,070 Toisen fand. Die erste wissenschaftlich begründete G. wurde 1617 von dem holländischen Astronomen Snell in der Gegend von Leyden vorgenommen, darauf 1635 von dem Engländer Norwood zwischen London u. York; der Erstere fand einen Meridiangrad = 55,021 Toisen, der Letztere = 57,424 Toisen. Die praktische Wichtigkeit der G. für Geographie u. Schifffahrt veranlaßte die französische Akademie 1669, den Mathematiker Picard mit einer neuen Messung zwischen Paris u. Amiens zu beauftragen; er fand die Länge eines Grades = 57,060 Toisen; diese Messung wurde ferner von La Hire nördlich bis Dünkirchen, von Cassini südlich bis Perpignan fortgesetzt u. erlangte so 1718 eine Ausdehnung von 81/2 Grad. Hierzu hatte die Beobachtung Richers veranlaßt, daß das Secundenpendet zu Cayenne 11/2 Linie kürzer sei, als zu Paris, was auf eine Abplattung der Erde nach den Polen deutete, welche schon Newton u. Huyghens aus theoretischen Gründen vermuthet hatten. Es traten also jetzt die G-en in ein neues Stadium, da es nun nicht mehr allein galt, die Größe der bisher als Kugel vorausgesetzten Erde zu ermitteln, sondern auch über die Gestalt derselben zu entscheiden, ob nämlich, wie Newton a priori behauptete, die Grade nach den Polen hin größer würden. Die genannten Messungen de la Hires u. Cassinis ergaben das Gegentheil. Da aber trotzdem jene Mathematiker auf ihrer Ansicht beharrten u. namentlich den Einwurf machten, daß die Vergleichung von einander so nahe liegenden Graden, wie sie die Ausdehnung Frankreichs darbiete, zu einer Entscheidung nicht führen könne, so sandte die Pariser Akademie 1735 eine Expedition unter la Condamine u. Bouguer nach Peru, eine andere unter Maupertuis u. Clairaut nach Lappland. Man fand unter dem Polarkreise einen Meridiangrad = 57,405 Toisen, unter dem Äquator, – 56,753 Toisen, also, wie Newton vorausgesetzt hatte, eine Abplattung nach den Polen. Mit Übergehung einer Reihe kleiner G-en von la Caille am Vorgebirg der guten Hoffnung 1750, von la Maire u. Boscowich in Italien 1751–53, von Liesganig in Österreich u. Ungarn 1759–68, von Mason u. Dixon in Pennsylvanien 1764, von Brecaria bei Turin 1768, von Burrow in Bengalen 1790, wurde die umfassende G. auf Anordnung der Pariser Akademie behufs der Aufsuchung eines natürlichen Maßes, des Meters, als des zehnmillionsten Theiles des Erdquadranten, 1792 von Delambre u. Mechain begonnen u. 1808 von Biot u. Arago vollendet; sie umfaßte von Dünkirchen bis Formentera 12°22'. Seitdem ist die als ungenau verdächtige Maupertuis'sche Messung von Svanberg wiederholt, ferner in Ostindien eine G. vorgenommen, welche sich über 20°21' erstreckte, von. Schuhmacher in Dänemark eine G. von 11°, von Gauß in Hannover eine solche von 2°, von Bessel in Preußen eine G. von 11/2°. Die drei letztgenannten sind insbesondere darum wichtig, weil durch sie die Methode der Beobachtung u. der Berechnung auf den höchsten Grad der Vollendung gebracht wurde. Indem Bessel außer der seinigen alle früheren G-en mit verarbeitete, fand er den Durchmesser des Äquators = 6544154,28 Toisen, den zwischen den Polen 6522278,66 Toisen, folglich die Abplattung = 1_: 299,153; ferner die Länge des Erdquadranten 5131179, 81 Toisen od. 10000855,76 Meter, die Länge einer Geographischen Meile, d.i. des 15. Theiles eines Äquatorgrades, = 3807,235 Toisen, die Länge eines Meridiangrades, dessen mittlere Polhöhe ρ ist, = 57013,109 + 286,377 cos 2 ρ + 0,611 cos 4 ρ + 0,001 cos 6 ρ Toisen, die Oberfläche der Erde 9261238, 314 geographische QM., den Cubikinhalt der Erde = 2650184445,1 geographische Cubikmeilen. Endlich ist 1853 die große, 1817 begonnene, von Struve u. Tenner geleitete, russisch-scandinavische G. vollendet worden, welche ihrer Ausdehnung u. Genauigkeit wegen den ersten Rang einnimmt. Sie umfaßt zwischen Donau u. Nordcap 25° 20' 8'', 2 = 1447786,76 Toisen.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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