Korngesetze

Korngesetze

Korngesetze, 1) im Allgemeinen sämmtliche den Getreidehandel betreffende Gesetze; besonders 2) (Corn-Bill) die ehemals in Großbritannien gültigen gesetzlichen Bestimmungen über die Einfuhr fremden Getreides. Seit der Eroberung durch die Normannen war in England die Getreideeinfuhr, die man als einen Vortheil erachtete, völlig frei, die Ausfuhr war verboten, weil man den Boden als Gemeingut zur Ernährung des Volkes betrachtete. 1436 gab Heinrich VI. die Ausfuhr frei, wenn der Preis des Weizens unter 12 Schilling für den Quarter sei; 1463 wurde die Einfuhr gestattet, wenn der Preis des Weizens für den Quarter über 12 Schilling im Lande stiege. Doch wurden diese beiden Gesetze wenig beachtet, aber der Getreidehandel im Binnenlande, sogar zwischen den einzelnen Grafschaften, als Verbrechen gestraft u., obgleich später geduldet, noch 1890 eine Anklage auf unerlaubten Aufkauf gegründet. Seit 1571 führte man aber Abgaben für die Ausfuhr ein, u. zwar 2 Schill. für den Quarter auf Weizen, 1 Schill. auf andres Getreide, wenn der Preis des Weizens im Lande unter 20 Schill. war, sonst fand gar keine Ausfuhr statt. 1670 erlaubte man die Einfuhr erst, wenn der Preis 53 Schill. für den Q. Weizen stand, bei dem Stande des Preises zwischen 58 u. 80 Schill. wurde überdies noch ein Zoll von 8 Schill. für den Q. bezahlt. König Wilhelm III. wollte den Ackerbau heben, die Ausfuhrzölle fielen weg, u. so lange der Preis des Weizens unter 488 Schill. stand, wurden Prämien von 5 Schill. für den Q. der Ausfuhr gezahlt Ueber die Einfuhr blieb das Gesetz von 1670. Die seit 1765 mit der Vermehrung der Fabriken u. Manufacturen steigende Bevölkerung machte neue K. zum Bedürfniß. England hatte bis 1770 immer noch mehr Korn ausgeführt, als eingeführt, von nun an hatte es fremdes Korn nöthig, u. 1773 erschien das Gesetz, welches durch den Wegfall der Ausfuhrprämien u. die geringe Einfuhrabgabe dem Handel mit Getreide außerordentliche Freiheit gab. Obgleich nun bis 1791 viel fremdes Getreide eingeführt wurde u. die Ackerwirthschaft im Lande blühender war, so hielt die Consumtion dennoch Schritt damit u. nur das Übergewicht der großen Grundherrn erwirkte das Gesetz von 1791, welches die Einfuhr durch einen Tarif beschränkte: wenn nämlich der Preis des Weizens im Lande über 54 Schill. für den Q. stieg, so betrug der (nominale) Zoll 1/2 Schill., stand der Preis zwischen 50 u. 54 Schill. 2 1/2 Schill., beim Stand der Preise unter 50 Schill. 24 Schill., was einem Verbote gleich kam. Durch diese Begünstigung gab man der Speculation eine Richtung auf die Agricultur, die, von einigen andern Umständen unterstützt, bald zu weit ging; man cultivirte Wüsteneien u. erfand kostspielige Agriculturmaschinen etc.; endlich reichten auch die Preise nicht aus, u. die Grundeigenthümer erlangten 1804, daß, so lange im Lande der Preis: des Weizens unter 63 Schill. der Q. sei, 24 Schill. Zoll auf den Q. gelegt wurden, was einem Verbote gleich kam, beim Stand der Preise zwischen 63 u. 66 Schill. wurden 21/2 Schill., über 66 Schill. 1/2 Schill. (pro forma) Zoll gezahlt. Ausfuhrprämien gab man, wenn die Preise zwischen 50 u. 54 Schill. der Q. standen. Von 1805–13 stiegen die Preise durch Krieg u. Mißernten unerhört, durchschnittlich standen sie zwischen 80–110 Schill.; 1813 sogar 120 Schill. Seit 1814 wichen aber die Preise, u. da nun die Baarzahlungen wiederhergestellt wurden, woran die Agriculturisten 25 Proc. verloren, da bisher alles im Cours der Banknoten gezahlt wurde, so brachte Robinson 1815 eine Kornbill ein, nach der die Einfuhr des Getreides in britischen Häfen zwar ohne Abgabe gestattet wurde, jedoch nur Behufs der Lagerung unter Verschluß der Regierung (unter Königs Schloß) u. des Eigenthümers; der Verkauf war nur gestattet für fremdes Getreide, wenn der Weizen über 80 Schill., Roggen, Erbsen u. Bohnen über 53 Schill., Gerste 46 Sch. u. Hafer 26 Schill. der Q. stiegen; für die britischen Colonien in Amerika, wenn der Weizen 67 Schill. der Q., Roggen, Erbsen, Bohnen 44 Schill., Gerste 33 Schill., Hafer 22 Schill. kostete. Man hoffte, daß sich nun die Preise ziemlich regelmäßig auf 80 Schill. der Q. (Weizen) halten würden. doch, wie überall, sanken seit 1818 auch in England die Preise sehr, u. der gedrückte Zustand der ackerbauenden Klasse erforderte ein neues Gesetz, welches 1822 zu Stande kam; dieses setzte die Normalpreise, von wo an die Einfuhr erlaubt war, herab (fremdes Getreide: Weizen 70 Schill., Roggen Erbsen u. Bohnen 46 Schill., Gerste 35 Schill., Hafer 25 Schill.; Getreide aus Britisch Nordamerika: Weizen 59 Schill., Roggen, Erbsen, Bohnen 39 Schill., Gerste 30 Schill., Hafer 20 Schill.), doch verminderte es die Prohibitivzölle nur stufenweise (bei einem Preise zwischen 70–80 Schill. auf 12 Schill., für die 3 ersten Monate nach Eröffnung der Häfen 17 Schill.; über 85 Schill. auf 1 Schill. [pro forma]). Diese Preise kamen nie in Anwendung, weil die Preise (Gerste ausgenommen) nie so hoch stiegen; für die Consumenten waren sie lästig. Die Landwirthe sahen nun um 1825 theilweise ein, daß K. ihnen keinen Vortheil brächten, u. es setzte sich die Überzeugung auch fest, der Einfuhr fremden Getreides müsse Vorschub geleistet werben. 1827 brachte Canning eine Bill in diesem Sinne vor das Haus, die im Unterhause durchging, aber im Oberhause paralysirte Herzog Wellington den ganzen Einfluß dieses Gesetzes durch eine Clausel, u. Canniug ließ die Bill fallen. Nach langen Debatten brachte Sir Charles Grant 1828 eine Bill durch beide Häuser, welche von der Manufacturpartei die Quelle des britischen Ruins genannt wurde; sie bestimmte den Normalpreis zur Eröffnung der Häfen auf 73 Schill. p. Q., wobei ein Zoll von 1 Schill. gezahlt wurde, der Zoll stieg aber in viel größerm Verhältniß; bei einem Preise von 72 Schill. zahlte man 2 Schill. 8 P. Zoll, bei 72 Schill. schon 6 Schill. 8 P, bei 70 Schill. 10 Schill., so daß z.B. bei einem Preise von 60 Schill. p. Q der Zoll 20 Schill 8 P. betrug Doch hielt sich dieses Gesetz, so lange die Ernten nicht ganz ungünstig ausfielen; die schlechte Ernte des Jahres 1838 indeß brachte große Aufregung[730] hervor, u. die Manufacturpartei verlangte im Parlament Aufhebung der K. Doch fiel ihr Antrag durch, weil sie von den Hochtories u. selbst von den Chartisten nicht unterstützt wurde, die den Nothstand des Volkes für ihre Zwecke benutzen wollten. Auch später machten die Umtriebe der Tories es dem Whigministerium unmöglich, durch eine Bill die, er Noth zweckmäßig abzuhelfen, u. die Ankündigung eines die Aufhebung der K, bezweckenden Gesetzes stürzte das Whigministerium Melbourne. Aber auch das statt dessen eintretende Toryministerium begriff, daß die K. geändert werden müßten, u. der wachsende Unwille der Nation bewog Robert Peel, 1842 im Febr. eine Kornbill einzubringen, die im Juni nach langen Debatten mit 229 Stimmen gegen 90 durchging. Peel leitete das Elend der untern Volksklassen mehr aus dem schwankenden Zustande des Fabrikwesens, als aus dem Bestehen der K. her r. behauptete, ein fixer Zollsatz würde niemals zu befriedigenden Resultaten führen. In Peels K. war nun das Princip der gleitenden Scala u. der Durchschnittsberechnung der Marktpreise aufgestellt u. diese letztern nach einer Angabe der Marktpreise von 150 Märkten des Königreichs bestimmt, wogegen die Colonien bedeutende Begünstigungen hatten. Die Aufregung eines großen Theils der Bevölkerung über dieses K. war außerordentlich; es bildeten sich sofort einerseits Vereine dagegen (Anti-Cornlaw-League), wahrend auch andrerseits die Tories R. Peel wegen dieser Bill angriffen. Die Anti-Cornlaw-League entwickelte indeß eine sie umfassende Thätigkeit, daß die K. sich nicht länger halten ließen, bereits 1846 im Parlament verworfen u. darauf gänzlich abgeschafft wurden. Vgl. Großbritannien (Gesch. V. B).


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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