Kosacken

Kosacken

Kosacken (Kosaken, Kasacken, Kaisaken), Volksstamm in Rußland. Der Stammfitz der K. war ursprünglich Kleinrußland (Ukraine), u. sie sind in Abstammung, Sprache, Religion u. Sitten als wahre, echte Russen zu betrachten, nur daß besondere Ereignisse sie im Laufe der Zeiten zu einem eigenthümlichen Volke umgestempelt haben. Als ihre Vorfahren von den Lithauern u. Polen vielfachen Bedrückungen ausgesetzt waren, verließen sie nach u. nach ihre alten Wohnsitze u. siedelten sich in benachbarten Steppen u. anderen,[736] durch die beständigen Kriege der Tataren, Polen, Lithauer u. Russen verödeten Gegenden an. Nominell blieben sie zwar der Krone Polen unterthan, leisteten dieser sogar erhebliche Dienste, indem sie oftmals die immer mit neuen Einfällen drohenden Tataren u. Türken von den Grenzen siegreich abwehrten. Sie nahmen aber auch Überläufer aus allen Völkern bei sich auf, spielten bald eine bedeutende Rolle u. wurden bei Kriegen der russischen Groß- u. Theilfürsten häufig in Sold genommen. Wegen ihrer umherschweifenden Lebensweise war ihnen von den Tataren inzwischen der Name Kasak (di. Krieger, Räuber) beigelegt worden, wovon sie den späteren Namen K. behielten. Sie wählten sich ihre eigenen Anführer, Ataman od. Hetman genannt, u. gaben sich eine militärische Verfassung. Da die polnischen Könige diese antasteten, unterwarfen sich die K. durch einen zu Pereaslawl 1654 förmlich abgeschlossenen Vertrag, in welchem ihre Verfassung gewährleistet wurde, den Großrussen, denen sie seitdem die wichtigsten Dienste geleistet haben, theils als Grenzwächter nach Süden u. Südosten, theils durch Eroberungen (Sibirien), theils in der Armee, u. auch gegenwärtig sind es hauptsächlich die K., mit deren Hülfe Rußland nicht nur seins Grenzen in Asien mehr u. mehr nach Süden ausdehnt, sondern auch die Eroberungen zu colonisiren vermag. In dieser Weise sind die K. über den ganzen Raum des Russischen Reichs zerstreut. Die K. sind von scharfen Sinnen, geborene Soldaten, kühne Reiter, gute Schützen; dabei besitzen sie viel Frohsinn, lieben Spiel, Musik, Gesang u. Tanz, meistens auch den Branntwein; zu ihren häuslichen Tugenden gehören Gastfreundschaft, Treue u. Anhänglichkeit, dagegen verleitet der Hang zum Trinken bisweilen auch zu Grausamkeiten. Ihre Verfassung ist ganz militärisch; sie sind sämmtlich freie Menschen, ohne Verschiedenheit der Stände, zahlen keine Abgaben u. sind den Rekrutirungen nicht unterworfen, sondern leisten nur im Kriege Dienste, zumeist zu Pferde, dabei treten sie theilweise als reguläre, theilweise als irreguläre Reiterei auf, doch leisten sie zum Theil auch Infanteriedienste, bilden eine eigene Artillerie u. bemannen auch an den Ostküsten des Schwarzen Meeres eine kleine Ruderflotille. Obgleich die Russen ihnen in den meisten Dingen ihre eigenthümlichen Einrichtungen, namentlich auch im Gemeinwesen, gelassen haben, so sind dennoch seit der Reorganisation der russischen Armee unter Kaiser Nikolaus (seit 1828) auch die K. in militärischer Beziehung etwas ganz anderes geworden, als sie ehemals waren, indem sie in ihrer Formation, Ausbildung etc. den Linientruppen mehr u. mehr genähert worden sind u. so den vorwiegenden Charakter von irregulären Truppen zum größten Theile verloren haben. Nach den Erfahrungen des letzten Russisch-türkischen Krieges will man freilich behaupten, daß hierdurch an Gefechtsbrauchbarkeit weniger gewonnen, als an Fähigkeit für den Sicherheits- u. Allarmirungsdienst verloren worden sei. Im Übrigen sind seit lange die K. auch seßhaft u. beschäftigen sich mit Landbau u. Viehzucht, namentlich ausgedehnt in den fruchtbaren Ländereien am Don; Gewerbe dagegen treiben sie nur so viel, als für die eigenen Bedürfnisse unumgänglich nöthig ist.

Die K. werden militärisch in Pulks (Regimenter) formirt, jedes zu 6 Sotnien (Schwadronen). Der Führer eines Regimentes heißt Pokolnik, einer Schwadron Sotnik. Alle Kosackenheere Rußlands zusammen stehen unter einem Generalhetman, welcher nach dem Herkommen der russische Thronfolger ist. Die Offiziere sind zugleich Vorsteher des Gemeinwesens. Die Eintheilung u. Benennung der K. geschieht nach den verschiedenen Wohnplätzen, welche sie einnehmen. Die Gesammtzahl der K. rechnet man auf 600,000 waffenfähige Männer, von denen mit Einschluß der ihnen gleichgestellten u. zugetheilten anderen Völker (Baschkiren, Kalmücken etc.) etwa 140,000 Mann mit 220 Geschützen beständig bei der Armee sind. Zu Ende 1857 bestanden folgende Kosackencorps: A) Das Donische Corps (so genannt, weil es sein Gebiet am Don hat), besteht aus dem Leibgardekosacken- u. Leibatamanregiment des russischen Thronfolgers, jedes zu 6 Schwadronen, 54 Feldregimentern zu 6 Sotnien, jede zu 150 Mann, 1 Lehr- u. 1 Arbeitsregiment (zu 1640 Mann) u. 1 Sotnie Handwerker von 221 Mann. An Artillerie hat das Corps im Kriege 1 Gardebatterie mit Reservedivision, 9 active u. 4 Reservebatterien, jede zu 8 Geschützen. Diese Truppen werden aus den 20–42 Jahre alten Bewohnern des Landes aufgestellt. Im Frieden wird nach Bedarf eine bestimmte Anzahl Regimenter u. Batterien zum Dienst nach verschiedenen Theilen des Reiches commandirt, die übrigen befinden sich in ihrer Heimath am Don; die Ablösung erfolge alle zwei od. drei Jahre. Im Kriege können die Regimenter nach Bedarf in unbeschränkter Zahl aufgeboten werden; wenn der oben angegebene Etat erschöpft ist, werden alle Waffenfähigen zum Dienst einberufen. So gab es im letzten Kriege 84 Regimenter. B) Die K. des abgesonderten Kaukasischen Corps bestehen: a) aus den Tschernomorischen K. (K. des Schwarzen Meeres), an der Ostküste des Schwarzen Meeres im Norden des Kuban, haben die Bestimmung, das russische Gebiet am Kaukasus vor den Einfällen der transkubanischen Räubervölker zu schützen. Sie stammen von den Saporogen (K. jenseits der Wasserfälle des Dniepr), welche an der Empörung Pugatschew's (1774) Theil nahmen u. in Folge dessen aus ihren Wohnsitzen vertrieben wurden, sich zum Theil an die Tataren anschlossen, zum Theil über die Donau gingen u. erst 1794 die Erlaubniß zur Rückkehr erhielten, worauf ihnen am Kuban das Land zum Wohnsitz angewiesen wurde. Die über die Donau gegangenen Glieder vereinigten sich erst 1828 wieder mit den Russen. Das Corps besteht aus einer Gardedivision, 12 Reiterregimentern zu 6 Sotnien (zu 150 Mann), 9 Fußbataillonen (zu 1060 Mann), 3 reitenden Batterien u. 1 Garnisonartilleriecompagnie; b) aus dem Kaukasischen Linien-Kosackencorps, 19 Reiterregimenter (zu 880 Mann), 3 Fußbataillone (zu 1063 Mann), 3 active reitende Batterien u. 1 Reservebatterie, sowie 2 Reservebataillone; außerdem ist 1 Division zu dem combinirten irregulären kaukasischen Reiterregiment u. 1 Schwadron zum persönlichen Convoi des Kaisers commandirt. Auch hat das Corps eine Handwerkercompagnie. Die Regimenter führen die Namen: 1. u. 2. Kaukasisches, 1. u. 2. Labanisches, 1. u. 2. Kubanisches, 1. u. 2. Stavropolsches, 1. u. 2 Chopersches, 1. u. 2. Wolga-, Gorisches, Wladikawkassches, Mosdoksches, 1. u. 2. Sunsha-, Grebensches u. Kisljarsches Kosackenregiment. C) Kosackencorps unter dem Generalgouverneur von Neurußland u. Bessarabien: a) das Neu russische Kosackencorps, 2 Regimenter zu 5 Sotnien, ist[737] in Neurußland u. Bessarabien angesiedelt; b) das Asowsche Kosackencorps, ist in der Umgegend von Asow in der Stärke von 10 Sotnien angesiedelt u. stellt 21 Commandos zu zwei Barken zum Kreuzen längs des Ostufers des Schwarzen Meeres. Im Jahre 1854 war aus diesen Commandos ein Marinekosackenbataillon für die Asowsche Ruderflotille gebildet. D) Das Astrachansche Kosackencorps steht unter dem Militärgouverneur von Astrachan u. stellt 3 Reiterregimenter zu 6 Sotnien u. 1 reitende Batterie. E) Das Kosackencorps unter dem Commandeur des abgesonderten Orenburgischen Corps: a) das Orenburgische Kosackencorps, mit 12 Reiterregimentern, 6 Fußbataillonen u. 3 reitenden Batterien u. 1 Sotnie Handwerker, hat die Orenburgische u. Sir Darinsche Linie, sowie die zum Gouvernement Orenburg gehörenden Theile der Kirgisensteppe zu bewachen. Im Kriege hat das Corps so viel Regimenter etc. zu stellen, als für nöthig erachtet wird; b) das Uralische Kosackencorps besteht aus einer Gardedivision u. 12 Reiterregimentern zu 5 Sotnien; es hat dieselben Verpflichtungen, wie das Orenburgische Corps. F) Kosackencorps unter dem Commandeur des abgesonderten Sibirischen Corps: a) das Sibirische Linienkosackencorps, es besteht aus 10 Reiterregimentern u. 3 Batterien, doch werden diese letzteren durch 12 Offiziere der Feldartillerie befehligt u. nicht durch K, sondern durch Rekruten bemannt. Zu diesem Corps gehört auch 1 Sotnie Handwerker. Wenn die K. dieses Corps ihre 20jährige Dienstzeit vollendet haben, werden sie noch auf fernere 10 Jahre zu Reservecommandos vereinigt, um den inneren Dienst wahrzunehmen; b) das Tobolische Kosackenregiment zu Pferde u. das Tobolische Fußbataillon werden durch K. des früheren Sibirischen, Tatarischen u. Tobolischen Stadtregiments formirt; sie haben Polizeidienst zu versehen u. Transporte zu geleiten. G) Kosackencorps unter dem Generalgouverneur von Ostsibirien: a) Transbaikalisches Corps; es besteht aus 4 Russischen u. 2 Burjätischen Reiterregimentern u. 12 Fußbataillonen, unterhält den Cordon an der chinesischen Grenze u. gibt die Wachen in den Städten u. bei den Bergwerken; b) Jakutskisches u. Enisseiskisches Kosackenregiment, jedes zu 6 Sotnien, versehen den Polizei- u. Etappendienst in den Städten u. auf den Wegrouten in Ostsibirien.

Die Ausrüstung der K. hat jedes Corps auf eigene Rechnung zu beschaffen. Nur das Sibirische Linienkosackencorps erhält die Summe für die Ausrüstung vom Ärar Die Reiterregimenter der Donischen, Donau-, Astrachan-, Orenburg-, Ural- u. Sibirischen K. sind mit Piken, Schaschken (leicht gekrümmten Säbeln) u. Pistolen bewaffnet; die Bekleidung besteht aus kurzen Jacken (Tschekmen), weiten Beinkleidern, Scharawaren u. Mänteln, sonst wie bei der regulären russischen Armee. Die Schaschka wird an ledernem Gehänge, die Pistolen an einer Schnur in einer besonderen Tasche getragen, welche am Gürtel befestigt ist. Die Tschernomorischen u. Kaukasischen K. sind mit Schaschken, Pistolen, Flinten u. Dolchen (Knichal), die Ersteren außerdem noch mit Piken bewaffnet. Bei jedem tschernomorischen Regiment sind 96 Reiter mit Stutzen versehen. Die Fußbataillone des Tschernomorischen u. Kaukasischen Corps sind uniformirt wie die Reiterregimenter, bewaffnet mit Dolchen u. Bayonnetflinten; die übrigen Bataillone sind ohne Dolche. Die Asowschen K. führen Flinte u. Dolch. Die Artillerie hat dieselbe Bekleidung wie die Reiterei u. ist bewaffnet mit Schaschka u. Pistolen, beim Tschernomorischen u. Kaukasischen Corps außerdem mit Dolch. Den K. nachgeahmt waren die blos aus Freiwilligen (größtentheils schlesischem u. preußischem Adel) bestehenden preußischen Gardekosacken, von 1813–14. In dem Kriege 1812 bis 1814 hatten die Russen auch gewöhnliche russische Bauern ausgehoben u. in ihrer Landestracht mit einer Lanze bewaffnet auf das Pferd gesetzt (Bauerkosacken); bei geringer Tapferkeit waren sie desto geneigter zu Plünderungen u. ohne Disciplin.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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