Krieg [1]

Krieg [1]

Krieg ist der Kampf mit Armeen. Jeder K. entspringt aus den politischen Entwickelungen staatlicher Interessen u. ist als das letzte, das gewaltsamste Mittel zu betrachten, dessen sich die Staaten zur Durchsetzung ihrer politischen Absichten bedienen. Man hat daher den K. als eine Fortsetzung der Politik auf dem Wege der Gewalt bezeichnet. Der K. ist seiner Natur nach so alt wie die Welt u. wird erst mit ihr untergehen; denn keine Subjectivität erhält sich neben anderen ohne Reibung, u. wo dabei gefälliges Ausweichen fehlt, erfolgt gewaltsames Verdrängen. Diesem Gesetz ist auch der Mensch mit allen seinen psychischen u. physischen Bedürfnissen, mit seinen Leidenschaften u. seiner Thatkraft, mit seiner Intelligenz u. seinem Vervollkommnungstriebe unterworfen. Der Zweck eines jeden Krieges kann nur der Sieg sein, u. in mittelbarer Folge von diesem der Friede, denn im Leben civilisirter Völker muß der Friedenszustand als die Regel, der Kriegszustand nur als die Ausnahme betrachtet werden. Je mehr daher die Cultur u. Civilisation der Völker fortgeschritten ist, desto seltener sind auch die Kriege geworden, haben aber dafür einen um so entschiedeneren Charakter angenommen, weshalb sie in der Gegenwart von kürzerer Dauer sind u. sein werden, als in verflossenen Jahrhunderten. Mit Recht ist der K. ein Übel genannt worden; Millionen von Menschen reißt er auf tausend verschiedene Weisen in seinen Wirbel u. schlägt den Staaten Wunden, die nur in langen Jahren wieder heilen. Daher hat man zu allen Zeiten daran gedacht, ob es nicht möglich sei, durch einen ewigen Frieden den K. in aller Zukunft zu vermeiden. Schon in den ersten Zeiten des Christenthums, namentlich von Kirchenvätern (Tertullian, Cyprian, Chrysostomus) wurde der Grundsatz, daß es Pflicht sei, den Kriegsdienst zu vermeiden, als Religionslehre aufgestellt; in späterer Zeit verboten es einzelne Secten (Raskolniken, Quäker, Mennoniten) ihren Anhängern auf das Bestimmteste, Soldaten zu werden; man hat auch wohl den Versuch gemacht (wie Heinrich IV. von Frankreich) durch staatliche Übereinkunft[813] einen Areopag zu Stande zu bringen, welcher zur Vermeidung des Krieges die Entscheidung der politischen Differenzen übernehmen sollte, u. erst in der Gegenwart haben fast in allen Ländern sogenannte Friedensfreunde von Neuem Anstrengungen gemacht (vor Allen Elihu Burrit u. Cobden, s. beide u. vgl. Friedensgesellschaft, unter Friede 1), den K. durch einen ewigen Frieden unmöglich zu machen, indem sie über die Übel u. die Zwecklosigkeit des Krieges, über die Reichthümer, welche er verschlingt, über die Werke, welche ohne ihn mittelst dieser Reichthümer herzustellen wären, Aufklärung zu verbreiten u. auf dem Wege der Presse ihrem Ziele näher zu kommen suchten. Andersdenkende haben diese Ansicht bekämpft u. darauf hingewiesen, daß die Kriege nur eine Ruthe in der Hand der göttlichen Vorsehung seien; alle Elemente der Natur seien in beständigem Kampfe gegeneinander, um aus Altem u. Faulem das Neue u. Schöne entstehen zu lassen, es könnten mithin auch für die Menschen, als Theil dieser Natur, keine anderen Gesetze bestehen. Zudem sei es auch in der That der K. gewesen, welcher seit dem frühesten Alterthume die Handelsstraßen öffnete u. bereitete, welcher die Völker miteinander in Berührung brachte u. die einen der Vorzüge der anderen theilhaftig machte, welcher von den Mittelpunkten der erwachsenen Cultur aus sie an den äußersten Umfang trug, wohin ihre Strahlen ohne den K. niemals gedrungen wären. Wahrhaft unermeßlich sei das Gebiet seiner Schöpfungen. So sucht man zugleich die Hoffnungen auf das Aufhören des Krieges u. die Gründe für die Zwecklosigkeit desselben zu entkräften. Nur auf Einem Wege glaubt man das Ziel als erreichbar bezeichnen zu können, nämlich auf dem Wege einer Universalmonarchie, so zwar, daß dieselbe die ganze Erde umfasse. Wenn aber ein solcher Staat auch hergestellt zu werden vermöchte, so könnte er darum noch keinen Bestand haben, es sei denn, daß man die National- u. Raceverschiedenheit der Völker aufheben, Meer u. Berge gleichmäßig über das Erdenrund vertheilen könnte etc.

Wie dem nun auch sei, die Thatsache ist, daß die Bemühungen für einen ewigen Frieden nicht haben verwirklicht werden können. Immer ist bis jetzt der K. das äußerste Mittel der Staaten geblieben, u. Reihen von Kriegen haben die Jahrhunderte der Weltgeschichte durchlaufen u. die Weltgeschichte selbst gestaltet. Der Staatsmann fragt nicht nach der Stelle, welche der K. in der Ökonomie der Weltordnung einnimmt, er hält an der Thatsache fest, daß der K. eines der Mittel sei, politische Zwecke zu erreichen, u. greift im bestimmten Falle zu demselben, wenn durch ihn, wie es scheint, der vorgesetzte Zweck erreicht werden kann od. wenn ihm keine Wahl bleibt. Aus den Händen des Staatsmannes geht der beschlossene K. sodann in die Hände des Feldherrn über. Die militärischen Ausgaben, welche dieser zu lösen hat, ergeben sich direct aus der politischen Zwecke, zu dessen Erfüllung der K. unternommen wird, u. im Allgemeinen auch die Aufeinanderfolge u. Verbindung dieser Aufgaben. So mannichfaltig auch die politischen Zwecke sein können, so beschränkt ist die Zahl der militärischen Aufgaben, denn der letzteren sind überhaupt nur drei möglich: Landeroberung, Landbehauptung u. Scheinkrieg, od. Angriff, Vertheidigung u. Demonstration. Zur Lösung der militärischen Aufgaben sind Kriegsmittel (Armeen, Festungen, Kriegsschiffe) nothwendig. Von dem Vorstanden sein der Beschaffenheit dieser Mittel hängt es ab, ob eine aus dem politischen Zwecke hergeleitete militärische Aufgabe überhaupt gelöst werden kann. Doch nicht allein hiermit hat sich die Kriegstheorie (s.d.) zu beschäftigen, sondern auch mit der Gestaltung der zu verwendenden Mittel, sowie mit der Bestimmung des Weges, auf welchem die verfügbaren Kräfte im Raume nebeneinander u. in der Zeit nacheinander am zweckentsprechendsten zur Wirkung kommen sollen. So würde denn ein Lehrgebäude der Kriegskunst (s.d.) in drei Haupttheile zerfallen: a) eine Philosophie od. Metaphysik des Krieges, d.h. eine Lehre von den politischen Aufgaben der Staaten u. den zu ihrer Lösung dienlichen Mitteln, sie schafft die aus der Kriegsführung aller Zeiten gewonnenen moralischen Grundlagen u. muß daher die ganze Lehre geistig durchdringen; b) eine Lehre von dem Kriegsorganismus od. den zur Kriegsführung erforderlichen Mitteln, physischer u. geistiger Natur; c) eine Lehre von der Kriegsführung selbst. Freilich kann dieses Lehrgebäude keine von ewigen Gesetzen geregelte Wissenschaft sein. Es behalten zwar die kriegerischen Aufgaben, die Kriegsmittel, der Raum u. die Zeit, stets dieselben allgemeinen Eigenschaften, aber sie treten in beständig wechselnden Formen zu Tage dazu können die Combinationen des Feldherrn nur auf Wahrscheinlichkeitsberechnungen beruhen u.a. m. Für den bei der Kriegsführung einzuschlagenden Weg wird ein Kriegsplan entworfen od. Kriegsentwurf gemacht; der Raum, auf welchem der K. geführt werden soll, Kriegsschauplatz, wird schon durch den politischen Zweck mehr od. minder fest bestimmt sein, doch die kriegerischen Handlungen brauchen zu ihrer Durchführung auch Zeit; nur selten od. nie wird in einem einzigen entscheidenden Schlage der K. entschieden, in der Regel besteht die kriegerische Action vielmehr in einem langsamen Abmessen der Kräfte, in einem steten Schwanken zwischen Gleichgewicht u. Übergewicht auf diesem od. jenem Theile des Kriegsschauplatzes. Und während dieser Zeit des kriegerischen Handelns tritt die Politik keineswegs gänzlich vom Schauplatze ab, vielmehr bleibt sie in unausgesetzter Thätigkeit, um nach Umständen an einzelne kriegerische Acte anzuknüpfen. Daraus folgt, daß der Feldherr in der freien Anwendung der Kriegskunst beschränkt ist, daß er während der Kriegshandlung zeitweise selbst als Staatsmann auftreten od. dem Staatsmann die diplomatische Anknüpfung an ein kriegerisches Ereigniß überlassen muß, um dann an ein diplomatisches Ereigniß seinerseits wieder die kriegerische Handlung anzureihen. Daher kann im Verlaufe eines Krieges der politische Zweck desselben u. hiermit das Ziel des Krieges selbst sich verändern.

Der Verlauf beider Entstehung u. Führung eines Krieges ist nun, wenigstens bei civilisirten Staaten, folgender: Sobald sich aus dem diplomatischen Notenwechsel der in Conflict gerathenen Staaten ersehen laßt, daß eine friedliche Ausgleichung der politischen Differenzen unwahrscheinlich sei, bereitet man sich zum Beginn des Krieges vor (Kriegsbereitschaft): die Grenzfestungen werden in Vertheidigungsstand gesetzt, die Munitionsvorräthe ergänzt, Lebensmittel, Bekleidungs- u. Ausrüstungsgegenstände u. sonstige Kriegsgeräthschaften in erforderlicher Menge angeschafft. Man organisirt das Heerfuhrwesen, macht die Regimenter durch Einziehung der Beurlaubten vollzählig u. formirt die [814] Reserven. Die marschfertigen Truppen werden an der bedrohten Grenze in enge Cantonirungen gelegt; zur einstweiligen Bewachung der Grenze werden kleine Abtheilungen aufgestellt, die eine genaue Beaufsichtigung des Verkehrs ausüben. Die Ausfuhr von Lebensmitteln, Pferden u. allen Gegenständen, welche zur Kriegsrüstung gehören, wird verboten u. verhindert. Geheime Kundschafter suchen im feindlichen Lande über die dort stattfindenden Truppenbewegungen u. sonstigen Vorbereitungen zum Kriege Erkundigungen einzuziehen, die Absichten der Machthaber, die Stimmung des Volkes u. Anderes zu erforschen. Reisen die beiderseitigen Gesandten ab, od. erfolgt die förmliche Kriegserklärung (s.d.) dann wird jeder Verkehr abgebrochen; die Truppen setzen sich nun, in selbständige Corps aus allen Waffengattungen formirt, in Bewegung, entweder um zur Vertheidigung der eigenen Landesgrenze eine angemessene Aufstellung zu nehmen, od. um selbst in das Gebiet des Feindes zu rücken, je nachdem der Kriegsplan das Verhalten vorschreibt. Es werden ausgedehnte Sicherheitsmaßregeln ergriffen u. Parteien von verhältnißmäßiger Stärke werden ausgesendet, um die Absichten des Feindes in ihrer ersten Entwickelungsperiode kennen zu lernen. Trifft man endlich mit der feindlichen Hauptmacht zusammen, so entspinnen sich zuerst kleine Vorpostengefechte, man recognoscirt die Stellung des Gegners, dessen Stärke, die Vortheile, welche hier od. dort die Terrainbeschaffenheit bietet u. entwirft hierauf den Angriffs- od. Vertheidigungsplan. Derselbe bestimmt zugleich, in welcher Richtung der geschlagene Feind verfolgt od. im Unglücksfalle der eigene Rückzug angetreten werden soll Aber ein K. wird nicht allein durch solche große Kämpfe (Schlachten) entschieden, welche nur als die großen Brennpunkte der kriegerischen Thätigkeit erscheinen; es gibt Festungen zu beobachten, zu blockiren, zu belagern, zu erstürmen, man muß Flüsse überschreiten, zerstörte Brücken wieder herstellen, Furthen wieder gangbar machen, durch Moraste waten, Wälder durchstreifen, über Gebirge klettern u.a. m. Das Gebiet der kriegerischen Thätigkeit ist mithin reich an Wechselfällen der verschiedensten Art. Dabei müssen alle einzelnen Thätigkeiten zweckmäßig in einander greifen, alle Anstrengungen müssen ein gemeinsames Ziel haben; unvorherzusehende Ereignisse verrücken dieses Ziel aber oft, es müssen mithin neue Wege aufgesucht werden. Der Feldherr kann weder Alles wissen, noch überall gegenwärtig sein, er bedarf mithin vieler Gehülfen, welche in seinem Sinne sehen, hören, denken, urtheilen, beschließen u. auch handeln müssen. Und endlich hat der Gegner bei allen diesen Dingen eine entscheidende Stimme, er sucht die feindlichen Pläne zu errathen u. zu durchkreuzen, wendet Gewalt, List u. allerlei Täuschungen zum Vereiteln der feindlichen Absichten an. Auch dem Zufall fällt ein bedeutender Antheil an der Lösung so vielfältig verschlungener Fäden zu. Jeder K. trägt in der Art u. Weise seiner Führung einen besonderen Charakter.

Es gibt verschiedene Arten des K-s nach seinen Ursachen u. nach denen, welche ihn führen, auch nach den Ursachen, aus denen ein K. hervorgegangen: Sklavenraub-, Eroberungs-, Entwickelungs-, Bürger-, Handels-, Ehren-, Erbfolge-, Gleichgewichts-, Interventions-, Religions-, Revolutions-, Freiheitskriege. Nach der Art der Kriegsführung unterscheidet man: Angriffs- u. Vertheidigungskrieg, großen K., in welchem bedeutende Massen auftreten, u. kleinen K. od. Detachementskrieg, welcher durch Operationen mit geringen Streitmitteln den großen K. sichern u. unterstützen soll, man rechnet dahin den Sicherheitsdienst im weitesten Umfange, den Parteigängerdienst etc. Der Partisankrieg ist ein Zweig des kleinen Krieges, oft aber auch gleichbedeutend mit Guerillas- od. Volkskrieg; Positionskrieg, wo die Thätigkeit sich hauptsächlich um Behauptung der Wegnahme von Stellungen dreht; Manöverkrieg, in welchem die Resultate durch Bewegungen, ohne Einschaltung von entscheidenden Gefechten, erreicht werden. Nach dem Orte, wo der K. geführt wird, spricht man von Land-, See-, Gebirgs-, Festungs-, Küstenkrieg. Auch unterscheidet man Fürsten- od. Cabinetskrieg, wo es sich hauptsächlich, um das Interesse des Staatsoberhauptes, u. Volkskrieg, wo es sich um die Interessen der gesammten Bevölkerung eines Staates handelt.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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