Presbyterial- u. Synodalverfassung

Presbyterial- u. Synodalverfassung

Presbyterial- u. Synodalverfassung, diejenige Verfassungsform in der Evangelischen Kirche, wo Repräsentanten der Kirche aus dem Stande der Geistlichen u. Laien an der Kirchenverwaltung Antheil nehmen. Sie bildete sich an Stelle der Consistorialverfassung in den Protestantischen Kirchen Deutschlands u. statt der bischöflichen Verfassung in England, Schweden u. Dänemark, bes. in den Reformirten Kirchen der Schweiz, Hollands u. Schottlands aus, ging aber auch in mehre Lutherische Kirchen über, indem man hier manche zeither den Consistorien od. den Geistlichen zustehenden Geschäfte den Presbyterien u. Synoden überwies. Bei der Organisation der P. nimmt das Presbyterium (Kirchenvorstand) der Localkirche die unterste Stufe ein, von welcher aus man zu der Kreis- od. Provinzialsynode u. von da zu der General- od. Landessynode aufsteigt. Die Zusammensetzung des Presbyteriums denkt man sich gewöhnlich so, daß der Geistliche, Schullehrer u. der Kirchenpatron ständige u. eine Anzahl gewählter Parochianen nicht ständige Mitglieder desselben sind. Über die Wahl selbst aber herrscht noch Meinungsverschiedenheit, indem sie die Einen für Alle, welche ein gewisses Alter erreicht haben, frei gegeben wissen wollen, Andere aber gewisse Bedingungen, z.B. kirchliche Gesinnung, sittliche Unbescholtenheit, Leistung der kirchlichen Abgaben etc., dabei feststellen. Der Geschäftskreis der Presbyterien umfaßt Alles, was in das Bereich der Localkirche gehört, z.B. Verwaltung des Kirchenvermögens, Führung der Rechnungen, Leitung der Baulichkeiten, der Kirchenpolizei außer u. in der Kirche, des Kirchenstuhlwesens, Theilnahme bei der Abänderung der Liturgie, z.B. der Gesangbücher, Agenden etc., ferner Aufsicht über die Kirchhöfe, Sorge für die Sittlichkeit in der Gemeinde u. in den Familien, für die Armenpflege u. alle Anstalten der Inneren Mission überhaupt, für das Schulwesen, die Anstellung der niederen Kirchendiener, die Abgabe des Votums bei der Einführung der Geistlichen u. Schullehrer etc. Der Geschäftsgang ist so, daß der Geistliche den Vorsitz hat u. von ihm od. dem Schullehrer das Protokoll geführt, die Ausführung besonderer Geschäfte einzelnen Mitgliedern übertragen, bei Meinungsverschiedenheiten an die Oberbehörde berichtet od. der Synode die Sache zur Entscheidung vorgelegt wird. Die Kreis-, Diöcesan- od. Provinzialsynode besteht aus Geistlichen u. Laien, meist in gleicher Zahl, von denen die letzteren durch das Presbyterium gewählt werden. Der oberste Geistliche des Kreises od. der Provinz führt den Vorsitz. Die Synode beschäftigt sich mit den religiösen u. kirchlichen Angelegenheiten des Bezirks, nimmt Kenntniß von den Zuständen der einzelnen Kirchgemeinden, bereitet die von den einzelnen Presbyterien od. von der Synode ausgesprochenen Vorschläge zur Abgabe an die Landessynode vor u. begutachtet die Gegenstände, welche ihr von dieser überwiesen werden. Endlich die General- od. Landessynode, aus Geistlichen u. Nichtgeistlichen durch die Wahl der Kreissynoden gebildet u. vertreten durch abgeordnete Theologen der Landesuniversität u. durch Commissarien der Staatsregierung, übt die Controle der kirchlichen Verwaltung in höchster Instanz, beschäftigt sich mit der kirchlichen Gesetzgebung unter Sanction des Staates u. wahrt in jeder Beziehung die kirchlichen Interessen, weshalb sie für die Zeit ihres Nichtbeisammenseins einen permanenten Ausschuß erwählt. Schwierig ist hierbei die Frage über die Stellung des landesherrlichen Episkopats u. der damit in enger Verbindung stehenden Consistorialverfassung. Von vielen Seiten erstrebt man die Erhaltung des Episkopats für die protestantischen Landesfürsten, obschon unter wesentlichen Beschränkungen, od. man gibt wenigstens dem Landesherrn als Membrum praecipuum der Evangelischen Kirche gewisse Ehrenrechte; während man von anderen Seiten nur das Oberaufsichtsrecht desselben, wie über jede andere Corporation, das Schirmrecht u. das Recht die Beschlüsse der Synode, sofern sie dem Staatswohle gefahrdrohend sind, inhibiren zu können, beibehalten will, so daß demgemäß aus der Landessynode eine Behörde gebildet würde, welche nur dieser verantwortlich ist u. in deren Namen regiert. Doch bezeichnen viele Kirchenrechtslehrer u. Theologen die Verbindung der monarchisch-consistoriaten Verfassung der Evangelischen Kirche mit dem presbyterialen od. repräsentativen Element in organischer Weise als möglich u. wünschenswerth. Verschiedener Ansicht ist man auch über die Stellung der Kirchenpatrone bei einer P.- u. S. u. über die Mitwirkung der Gemeinden bei Besetzung geistlicher Stellen. Nachdem die Einführung der P.- u. S. theils als ein Mittel gegen Übergriffe der Kirchengewalt, theils wegen der günstigen Erscheinungen in der Reformirten Kirche (s.d.), theils gegenüber dem kunstvollen Organismus der katholischen Hierarchie sehr empfohlen worden war, schien das Reformationsjubiläum 1817 den nächsten Anstoß dazu zu geben; allein die damaligen Versuche hatten keinen nachhaltigen Erfolg. In Preußen, wo seit 1816 Presbyterien u. Kreissynoden bestanden, hatte die Regierung bei den Streitigkeiten über Union u. Agende keine Neigung für diese kirchlichen Institutionen, so daß dieselben fast nur in den westfälischen Landestheilen u. in der Rheinprovinz in Kraft blieben. In Baiern fanden nur die Synoden, nicht aber die Presbyterien Beifall, weil man in ihnen die Organe für eine strenge Kirchenzucht zu erblicken glaubte. In Nassau wurde 1817 mit der Union u. in Baden 1821 eine P.- u. S. eingeführt, während in Württemberg die Kirchenconvente seit 1824 u. die aus dem Consistorialpräsidenten u. den sechs Prälaten bestehende Synode das Erwartete nicht leisteten. Eine neue Anregung zur Einführung einer P.- u. S. gaben die Bewegungen des Jahres 1830. Wie damals in mehrern Constitutionen,[479] z.B. in der Hannöverschen von 1833, Presbyterien verheißen, od. wie in dem Altenburgischen Grundgesetz von 1831 General- u. Specialsynoden organisirt wurden, so suchte man auch anderwärts, z.B. in Kurhessen, Braunschweig u. Sachsen, dafür zu wirken, jedoch ohne Erfolg. In den Bewegungen 1848 schien die Einführung einer P.- u. S. ihrer Lösung näher zu rücken, da die in den Grundrechten ausgesprochene Trennung der Kirche von dem Staate gewissermaßen dazu drängte. Allein auch diesmal verschwand das kirchliche Interesse vor dem politischen, u. da, wo die Presbyterien u. Synoden eingerichtet wurden, wie in Oldenburg, vernahm man bald Klagen über diese Art von kirchlicher Neuerung. Auch die Berathung auf der Conferenz in Eisenach 1852, wie sich das landesherrliche Episkopat mit der P.- u. S. verbinden lasse, blieb ohne weiteren Erfolg. Die der sächsischen Ständeversammlung 1860 vorgelegte Kirchenverfassung mit presbyterialen u. synodalen Elementen wurde 1861 von der Staatsregierung zurückgezogen.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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