Seelenvermögen

Seelenvermögen

Seelenvermögen (Seelenfähigkeiten, Seelenkräfte, Facultates animae), sind die Vermögen, von denen man annimmt, daß sie der Seele (s.d.) ihrer Natur nach inwohnen u. die wahren Realgründe der psychischen Ereignisse u. Veränderungen enthalten. Die Entstehung dieser Annahme ist ganz analog der Art, wie überhaupt auch in der äußeren Natur Dinge, von welchen gewisse Veränderungen anderer Dinge auszugehen scheinen, als Inhaber u. Träger bestimmter Kräfte angesehen werden, u. diese Kräfte werden als Vermögen gedacht, wenn ihre Wirksamkeit selbst wieder an mancherlei veränderliche Bedingungen gebunden ist. Bei der überaus großen Verschiedenheit u. Veränderlichkeit des geistigen Lebens hat die Psychologie, um zu bestimmen, welche S. allen Menschen zukommen, sich begnügen müssen die allgemeinsten Klassen der psychischen Ereignisse zu unterscheiden u. nach diesen Abstractionen die Vermögen der Seele zu bezeichnen. Nach solchen logischen Klassificationen hat sich daher die Unterscheidung der S. durchaus gerichtet; seit Kant ist dafür vorherrschend die Unterscheidung des Vorstellungs- od. Erkenntniß-, des Gefühls- u. des Begehrungsvermögens (s.d. a) maßgebend geworden. Diese Annahme von specifisch verschiedenen Kräften u. Vermögen jedoch, deren Wesen u. Wirkungsart lediglich durch den allgemeinen Begriff des Vorstellens, Fühlens u. Begehrens bezeichnet sein soll, gibt über die individuelle Bestimmtheit dessen, was in uns geschieht, keinen Aufschluß; u. diese Lücke wird auch dadurch nicht ausgefüllt, daß man die Unterscheidung von Haupt- u. Neben-, höheren u. niederen Vermögen zu Hülfe nimmt, von allgemeineren Begriffen zu specielleren herabsteigt u. von Sinnlichkeit, Gedächtniß, Phantasie, Verstand, Vernunft, Urtheilskraft etc. als besonderen S. spricht. Überhaupt bezeichnet der Begriff des Vermögens immer nur eine leere Möglichkeit, welche an sich nichts erklärt, u. obwohl die Lehre von den S. ein brauchbares Hülfsmittel gewesen ist die psychischen Thatsachen zu klassificiren, so ist sie doch als Grundlage einer psychologischen Theorie u. als Erklärungsgrund der psychischen Phänomene ganz unbrauchbar. Das Verdienst dies nachgewiesen zu haben gebührt Herbert (s.d.); früher hatte namentlich Locke vor dem unvorsichtigen Gebrauch dieses Begriffes gewarnt.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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