Sophŏkles [1]

Sophŏkles [1]

Sophŏkles, 1) neben Äschylos u. Euripides der bedeutendste attische Tragödiendichter, ein Athener aus dem Gaue Kolonos, der Sohn des Sophillos od. Sophilos, nach And. des Theophilos, dem Besitzer einer Waffenfabrik, geb. um 496 v. Chr. Er wurde sorgfältig in Gymnastik u. Musik erzogen, in letzter von dem damals berühmten Meister Lampros; 480 soll er den Reigen derer geleitet haben, welche das Festlied um die Tropäen von Salamis vortrugen; es soll dies zugleich an jenem Tage gewesen sein, an welchem Euripides geboren wurde u. Äschylos in den Reihen der Kämpfer den Sieg mit erfochten hatte. Wenn von seinem Verhältniß zu Äschylos als seinem Lehrer in der Tragödie berichtet wird, so heißt das nur, daß derselbe sein Vorgänger in dieser Dichtungsart war. Sein erstes Auftreten als tragischer Dichter fällt in sein 28. Lebensjahr (466). Er stritt mit Aschylos um den Preis u. siegte (vermuthbar mit seinem Stücke. Triptolemos). Seitdem herrschte er, nachdem Äschylos sich aus Athen entfernt hatte, als Dichter u. Dramatiker ohne Nebenbuhler in seiner Vaterstadt. Immer bekam er bei Aufführung seiner Tragödien den ersten, selten den zweiten, nie den dritten Preis; u. wie hoch man ihn achtete, geht daraus hervor, daß ihm, als er 442 v. Chr. seine Antigone auf die Bühne gebracht hatte, außer dem ersten Preis eine Feldherrenstelle neben Perikles zur Führung des Samischen Krieges angetragen wurde. Er starb 406, nach Einigen aus Freude übereinen errungenen Sieg, nach Andern beim Vorlesen seiner Antigone, od. erstickt an einer Weinbeere. In Athen wurde ihm unter dem heroischen Namen Dexion, weil er den Gott Asklepios in seinem Hause aufgenommen hatte, ein Heiligthum errichtet u. jährliche Opfer bestimmt. Auf seinem Grabmal stand eine Schwalbe od. eine Sirene, das Symbol des Gesanges; auch sind zwei Epitaphien auf ihn überliefert, u. sein Sohn Jophon soll ihm in Athen ein Denkmal gesetzt haben. Außer diesem hinterließ er noch von der Hetäre Theoris einen Sohn Ariston, dessen Sohn wieder den Namen seines Großvaters trug. Vgl. Lessing, Leben des S., herausgeg. von Eschenburg, 1790; Fr. Schulz, De vita Sophoclis, Berl. 1836; A. Schöll, Soph., Frankf. 1842. Durch S. erfuhr das attische Theaterwesen manche Neuerung u. Fortbildung. Er brachte statt der Pracht dämonischer u. schicksalsvoller Vergangenheit Bilder aus dem Kreis der von menschlicher Leidenschaft bewegten Welt u. nicht mehr wie sonst in der Composition weiter Trilogien, sondern den Mythos bündig gefaßt in einem Drama auf die Bühne. Weiter entfernte er durch Annahme eines dritten Schauspielers u. deren regelrechten Gebrauch die allzugroße Schlichtheit der Action u. ermöglichte dadurch einen geregelten spannenden Dialog u. eine fortlaufende Darstellung der Ereignisse auf u. hinter der Bühne, indem er einführte, daß die Schauspieler, wenn sie in einer andern Rolle auftreten mußten, sich umkleiden u. ihre Maske verändern konnten. Dadurch eben wurde es auch möglich, daß ein Schauspieler mehre Rollen geben konnte. Die Chorlieder beschränkte er u. brachte sie in näheres Verhältniß zum Stück, wodurch der Dialog an Ausdehnung gewann u. nun zur Hauptsache wurde. Endlich hat er die Orchestik u. Ausstattung der Bühne, des Chors u. der Schauspieler zur größten Vollkommenheit, durch die Harmonie des Styls u. das Ebenmaß der Sprachmittel die Tragödie in Athen zur höchsten Blüthe gebracht. Außer Päanen, Elegien u. einer prosaischen Schrift über den Chor soll S. mehr als 100 Tragödien u. etwa 18 Satyrspiele geschrieben haben. Sicher sind von ihm wohl nur gegen 70 Tragödien. Von alle dem sind uns nur sieben vollständige Tragödien u. von andern mehre Bruchstücke erhalten worden. Die erhaltenen Tragödien sind folgende: a) Antigone (Ἀντιγόνη), aufgeführt 442 v. Chr., behandelt den Contrast zwischen göttlichem u. menschlichem Rechte; Antigone, die Tochter des Ödipus, hatte ihren Bruder Polynikes, welcher im Kampfe mit seinem Bruder Eteokles um den Besitz von Theben gefallen war, gegen das Verbot des Königs Kreon heimlich bestattet; deshalb wurde sie zu unterirdischer Hast verurtheilt, wo ihr Verlobter Hämon, Sohn des Kreon, welcher ihr dahin gefolgt war, sich selbst neben ihr tödtete. Ausgaben von F. C. Wex, Lpz. 1829–33, 2 Bde.; von Dindorf, Par. 1836; übersetzt von Opitz, 1646; Fr. Stäger, Halle 1829; K. Wex, Lpz. 1834; Minkwitz, Stuttg. 1835; Victor Strauß, Bielef. 1842; A. Böckh, mit Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Lpz. 1843; Fr. Rempel, Hamm 1843; O. Marbach, Lpz. 1844; Fritze, Berl. 1844; Lobedanz, Lpz. 1855; Monographie[302] darüber von F. W. Ullrich, Hamb. 1853, u. von Ziegler, Stuttg. 1855; b) Elektra (Ἡλέκτρα), zu unbestimmbarer Zeit aufgeführt, behandelt die Heimkehr des todtgeglaubten Orestes zu seiner Schwester Elektra; vgl. Wieck über des S. Elektra, Merseb. 1825; deutsch von Rosenberg, 1842, u. Fritze, 1843; c) König Ödipus (Οἰδίπους τύραννος, Oedipus Rex), die einzige Schicksalstragödie des S., zugleich wohl sein vorzüglichstes Stück; die Aufführung fällt zwischen die Jahre 429 u. 415, vielleicht bald nach 425. Es behandelt, wie Ödipus, König von Theben, welcher seinen Vater Laïos ohne Wissen ermordet u. ebenso seine Mutter Jokaste geheirathet hatte, nachdem er wegen Abwendung einer Pest in Theben an das Orakel zu Delphi geschickt seinen doppelten Frevel entdeckt u. wie aus Verzweiflung darüber Jokaste sich das Leben nimmt u. er selbst sich blendet; herausgeg. von P. Elmsley, Oxf. 1811, 1825, Lpz. 1821; deutsch von Manso, 1785, u. Jacobs, 1805; d) Ödipus auf Kolonos (Οἰδίπους ἐπὶ Κολωνῷ, Oedipus Coloneus), erst nach 401, des Dichters Tode, von dessen gleichnamigem Enkel aufgeführt, stellt dar, wie der blinde Ödipus, welcher nach Enthüllung seines Frevels aus Theben verbannt an der Hand seiner Tochter Antigone bettelnd umherwandert u. zu dem Haine der Eumeniden gekommen, nachdem er der Götter Vergebung erlangt hat, von der Erde hinweggenommen wird; herausgeg. von K. Reisig, Jena 1820–23; von P. Elmsley, Oxf. 1823, Lpz. 1824; von G. Hermann, ebd. 1825, 2. A. 1841; von L. Döderlein, ebd. 1825; deutsch von Stäger, Halle 1836; A. Wagner, Lpz. 1840; Marbach, ebd. 1843; Fritze, Berl. 1843; e) Ajax (Λἴας μαστιγοφόρος), schildert den Ajax Telamonios (s.d. 2), wie er erzürnt, daß die Waffenrüstung des vor Troja gefallenen Achilleus nicht ihm, sondern dem Odysseus zugefallen ist, u. in Raserei darüber verfallen, anstatt an den Achäern Rache zu nehmen, deren Beutevieh niedermetzelt u. erwachend aus seinem Wahn mit dem Zorne der Athene, mit dem Hasse der Achäer u. mit unauslöschlicher Schmach beladen sich in sein Schwert stürzt; herausgeg. von C. A. Lobeck, Lpz. 1809, 2. A. 1835; deutsch von Spangenberg, 1608; I. I. Guttmann, Schweidn 1836; A. Schöll, Berl 1842; Fr. Fritze, ebd. 1845; f) Philoktet (Φιλοκτήτης), auf die Bühne gebracht 409; Philoktetes (s.d.), im Besitz des Bogens u. der nie fehlenden Pfeile des Herakles, war auf der Überfahrt nach Troja auf der Insel Lemnos wegen einer, üblen Geruch verbreitenden Wunde schlafend von seinen Begleitern verlassen worden. Da aber Troja nach einem Orakel nur durch die Geschosse des Herakles fallen sollte, so stellt die Tragödie dar, wie Philoktet nach 10 Jahre langem gräßlichem Leiden von den Griechen dahin abgeholt u. von seinen Schmerzen erlöst wird; herausgeg. von Fr. Gedike, Berl. 1787, n. A. von Ph. Buttmann, ebd. 1822; von G. Hermann, Lpz. 1824, 2. A. 1839; deutsch von Fritze, Berl. 1844, u. von Hamacher, Trier 1844; g) die Trachinierinnen (Τραχίνιαι), das schwächste der uns von S. aufbehaltenen Stücke, genannt nach dem Chor, welcher aus Jungfrauen aus Trachis besteht, wo das Stück spielt. Es stellt dar, wie Deïanira ihren heimkehrenden Gatten Herakles, welchen sie durch ein Zaubermittel von der Liebe zu ihrer Nebenbuhlerin Jole abhalten will, da dies Mittel ohne ihr Wissen vergiftet ist, ums Leben bringt u. aus Verzweiflung über ihre That sich selbst ermordet; vgl. E. Wunder, Emendationes in S. Trachinias, Grimma 1841; deutsch von Fritze, Berl. 1845. Eine Charakteristik dieser Tragödien gibt K. Schwenck, Die sieben Tragödien des S., Frankf. 1846; Fragmentsammlungen von Ahrens, Dindorf, Welcker u. Nauck. Die Scholien, welche neben dem Text auf uns gekommen sind, gehen, wenn auch in anderer Gestalt, auf den alexandrinischen Gelehrten Didymos zurück; vgl. Wunder, De scholiorum in Sophoclem auctoritate, Grimma 1838; G. Wolff, De Soph. scholiorum Laur. variis lectionibus, Lpz. 1843; herausgeg. Hat zuerst die Scholien Janus Lascaris als Commentarii in Soph., Rom 1518; Elmsley, Scholia in Sophoclem e cod. Laur. descripta, Oxf. 1825, Lpz. 1826; W. Dindorf, Oxf. 1852. Die erste Ausgabe des Textes erschien bei Aldus, Vened. 1502; dann folgten zwei Junctinen mit den Scholien, Flor. 1522 u. 1547; ferner die Gesammtausgaben bei Turnebus, Par. 1553; von H. Stephanus, ebd. 1568; von Canter, Antw. 1579; von Johnson, Oxf. 1705, 2 Bde., u. Lond. 1746 u. 1758; von I. Capperonnier, herausgegeben von Vauvilliers, Par. 1781, 2 Bde.; Brunck, Strasb. 1786, 2 Bde., 1788, 3 Bde.; S. Musgrave, Oxf. 1800; Erfurdt, Lpz. 1802–25, 6 Bde.; dieselbe bearbeitet von G. Hermann, Lpz. 1817–48; Bothe, 1806; Schäfer, Lpz. 1810; W. Schneider (mit deutschen Anmerkungen), 1823–30; E. Wunder; Gotha 1831 ff.; L. Neue, Lpz. 1831; G. Dindorf, ebd. 1850; Fr. W. Schneidewin (mit deutschen Anmerkungen), 1849, 3. Aufl. Lpz. 1855; Bergk, ebd. 1858; G. Wolff (mit deutschen Anmerkungen), ebd. 1858 ff. Übersetzungen: lateinisch von Vitus Winshemius, Frankf. 1546; Geo. Rataller, Antw. 1570; deutsch u.a. von Chr. Grafen von Stolberg, Lpz. 1787, 2 Bde.; von F. Ast, ebd. 1804; G. Fähse, ebd. 1804–9, 2 Bde.; Solger, Berl. 1808, 2 Bde., 3. Aufl. ebd. 1837; Thudichum, Darmst. 1827–37, 2 Thle.; Griepenkerl, Berl. 1835, 1. Bd.; von Donner, Heidelb. 1838–42, 2 Bde., 4. Aufl. ebd. 1858; von Brömmel u. Sigismund, Erf. 1843; von Joh. Minkwitz, Stuttg. 1835, n. A. ebd. 1851; von A. Schöll, Berl. 1842 ff.; von W. Jordan, ebd. 1862, 2 Thle.; französisch von Brumoi, Roches. 1788; englisch von Th Franklin, 1758; R. Potter, 1788; italienisch von Belloti, 1813; Angelitti, 1823. Von den Tragödien des S. wurde in neuerer Zeit (seit 1841) bes. die Antigone (zuerst auf dem Schloßtheater im Neuen Palais bei Sanssouci, darauf öffentlich in Berlin u. dann auf mehren andern großen Bühnen) mit der Musikbegleitung von Felix Mendelssohn Bartholdy aufgeführt. Vgl. Böckh, Tölken u. Förster, Über die Antigone des. S. u. ihre Darstellung, Berl. 1842. 2) S., Enkel des Vor., der Sohn des Ariston, führte 401 v. Chr. den Ödipus auf Kolonos seines Großvaters auf. Er war selbst Tragiker u. gewann mit 40 Tragödien verhältnißmäßig viel Siege. Der ältere S. überließ seinem Enkel. welchem er mehr als seinem Sohne, dem wenig geschätzten Dichter Jophon, geneigt war, manche seiner Tragödien u. wies, als dieser von Jophon um seiner privatrechtlichen Ansprüchewillen vor das Gericht der Phratores gezogen wurde, die Anklage zurück. 3) S., ein Commentator des Apollonios von Rhodos neben Lukillos u. Theon, aus ungewisser Zeit. Ihre Commentare sind in einem Auszuge, dem Kern der jetzt noch erhaltenen Scholien, übrig.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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