Stereoskop

Stereoskop

Stereoskop (v. gr. d.i. Körperseher), eine optische Vorrichtung, durch welche Bilder u. Zeichnungen dem Auge plastisch (körperlich) erscheinen. Das stereoskopische Sehen unterscheidet sich von dem gewöhnlichen freien Sehen mit beiden Augen dem Wesen nach nur sehr wenig. Betrachtet man beim freien Sehen einen Körper aus nicht zu großer Ferne, so erhält man in jedes Auge ein verschiedenes Bild, in das linke ein solches, wie man den Gegenstand mit dem linken, u. in das rechte ein solches, wie man denselben mit dem rechten Auge allein sehen würde. Man sieht also Doppelbilder, welche man geistig gezwungen ist an einen u. denselben Ort im Raume zu versetzen, so daß sich die beiden Doppelbilder theilweise in der Art decken, daß man einen Theil einfach, den anderen doppelt sieht, u. daß der Eindruck des Körperlichen entsteht, indem man mit dem linken Auge links, mit dem rechten rechts gewissermaßen ein Stückchen um den Gegenstand herum sieht. Beim stereoskopischen Sehen werden den Augen zwei perspectivische Bilder von einem Gegenstand (stereoskopische Bilder od. Stereoskopen) vorgelegt, nämlich diejenigen Bilder, wie sie jedes Auge für sich von einem bestimmten nicht zu fernen Standpunkte empfängt. Vereinigt man beide Bilder zu einem, bringt man sie zur Deckung, d.h. bewirkt man, daß diese perspectivischen Zeichnungen sich auf denjenigen Theilen der Netzhaut abbilden, wo sich der Gegenstand selbst abgebildet haben würde, wenn beide Augen einen seiner Punkte fixirt hätten, so glaubt der Mensch den Gegenstand in voller Körperlichkeit vor sich zu sehen. Ein stereoskopisches Sehen ohne S. erreicht man, wenn man über das Kreuz sehend, d.h. stark nach innen schielend, mit beiden Augen die perspectivischen Zeichnungen betrachtet. Die Deckung der Bilder zu einem einzigen scheinbar körperlichen erreicht der Ungeübte leichter, wenn er eine Nadel in die Mitte vor die Bilder hält u. deren Spitze scharf fixirt. Sehen zwei Personen mit aufeinander gelegten Stirnen einander in die Augen, so fallen zuletzt für eine jede die Augen der anderen in ein großes Auge in der Mitte der Stirn zusammen. Demnach muß der stereoskopische Eindruck als ein psychischer bezeichnet werden; um ihn hervorzubringen, kommt es nur darauf an die Strahlen, welche von den beiden Bildern ausgehen, so von ihrer Richtung abzulenken, daß sie von derselben Stelle des Raumes auszugehen scheinen. Dies kann auf verschiedene Weise erreicht werden, nämlich durch Spiegelung von zwei ebenen Spiegeln, od. durch Brechung in Prismen von kleinem Winkel, endlich durch Brechung u. Spiegelung in einem gleichschenkligen rechtwinkligen Prisma, dem Spiegelprisma. a) Das Spiegelstereoskop, von Wheatstone 1838 erfunden, besteht aus zwei rechtwinklig zu einander u. unter je 45° gegen die Seitenwände des S-s gestellten Planspiegeln, denen gegenüber zwei verschiebbare Klappen mit den perspectivischen Zeichnungen sich befinden. Sind nun die Augen an den beiden Öffnungen der Vorderwand den Spiegeln so nahe als möglich gebracht u. die Zeichnungen richtig eingestellt, so fallen die Bilder übereinander zu dem eingebildelten Vereinigungsbild. b) Das Linsen- od. Prismenstereoskop, von David Brewster 1850 erfunden, liefert keine Spiegel-, sondern Brechungsbilder. In der vorderen Wand eines durch eine Scheidewand getheilten Kastens sind zwei Halblinsen (Oculare) von prismatischer Gestalt, od. Gläser in Form von Kugelabschnitten[785] angebracht, welche ihre scharfen Kanten einander zukehren. Sie wirken als Prismen von kleinem Winkel u. bringen daher die Bilder, welche ihnen gegenüber auf der Rückwand liegen, bei richtiger Stellung zur Deckung u. vergrößern zugleich, da sie convex sind. Die Entfernung der beiden Gläser von einander ist die der Augen im Kopfe; sie müssen verschiebbar sein, um für jedes Sehvermögen eingestellt werden zu können. Es ist nöthig, daß die Entfernung zweier beliebiger, aber übereinstimmender Punkte der beiden Bilder doppelt so groß ist, als die Ablenkung, welche die Linsen hervorbringen; die Linsen müssen deshalb auf ihre Ablenkung untersucht worden sein. Dieses S. ist jetzt durch seine Verbindung mit der Photographie zu einem unterhaltenden Lieblingsinstrumente geworden. Schon 1843 gab Moser in Königsberg ein Verfahren an, wie photographische Stereoskopenbilder zu erhalten seien; dieselben können Daguerreotypen, Glasbilder od. auch Papierbilder sein. Nach I. Duboscq nimmt man jetzt mit einer Camera obscura in gleicher Entfernung u. unter demselben Winkel zwei Ansichten eines Gegenstandes auf, die eine einige Schritte rechts, die andere ebensoweit links; die Entfernung richtet sich nach der Größe der herzustellenden Bilder. Solche photographisch hergestellte Bilder für das S., wie Statuen, Familienscenen, Genrebilder, Landschaften, Naturansichten, sowie auch Zeichnungen für das S., welche nach den Regeln der gewöhnlichen Perspective entworfen sind, werden bes. in Paris in größter Menge u. Mannigfaltigkeit hergestellt. Da verschiedene Materialien das Licht verschieden zurückwerfen, so kann man an Statuen sogar erkennen, ob sie aus Bronce od. Marmor bestehen. Versieht man ein stereoskopisches Bilderpaar mit verschiedenen Farben, so entsteht bei sehr scharfen Anschauen durch das S. ein körperliches Bild mit neuen, eigenthümlich glänzenden Farben, wodurch dasselbe glasartig durchscheinend wird. Der eigenthümliche Glanz tritt bes. im Anfange des Beschauens auf, so lange noch der sogenannte Wettstreit der Sehfelder (s. Sehen) stattfindet, d.h. so lange noch auf dem farbigen Grunde bald die eine, bald die andere Farbe flechtenartig hervorleuchtet. Ein ganz eigenthümlicher Glanz des stereoskopischen Bildes zeigt sich, wenn die eine Zeichnung schwarz auf weißem Grunde, die andere weiß auf schwarzem Grunde ist. Hierbei laufen auch stets die schwarzen u. weißen Linien neben einander her, ohne zu verschmelzen. cc) Das Spiegelprismenstereoskop (Pseudoskop) wurde von H. W. Dove 1851 bekannt gemacht. Zwei gleichschenklige rechtwinklige Prismen mit lothrecht stehenden u. einander zugekehrten Hypotenusenflächen sind so gefaßt, daß man sie vor die Augen bringen u. durch sie Zeichnungen oder auch Körper betrachten kann. Jedes der Prismen bewirkt auf der Netzhaut ein umgekehrtes Bild, welches zwar mit dem anderen zusammenfällt, aber so, daß die näheren Punkte entfernter, die entfernteren näher erscheinen, wodurch eine Umkehrung aller Verhältnisse bewirkt wird. So erscheint hierdurch eine Büste als Hohlmaske, eine Vase mit erhabener Blumenarbeit als durchschnitten u. im Innern mit eingravirten Blumen verziert. Dove hat gezeigt, daß man das S. verwenden kann, um falsches Papiergeld von echtem sicher zu unterscheiden; ist das falsche Papiergeld noch so genau nachgemacht, so kommen doch immer kleine unvermeidliche Verschiedenheiten im Abstand der Zeilen, Wörter, Buchstaben, Zeichen vor; legt man nun eine echte u. eine falsche Banknote unter die beiden Gläser des S-s so erkennt man diese Unterschiede sofort. Die einzelnen Lettern, Wörter, Zeichen, Punkte u. Striche des falschen Papiers decken sich dann nämlich nicht mit den Lettern etc. des echten, daher erscheinen sie nicht in einer Ebene, sondern einzelne Wörter, Reihen etc. stehen höher, andere tiefer, also in verschiedenen Ebenen. Legt man aber zwei echte od. zwei falsche Papiere derselben Art unter das S., so erscheinen alle Wörter in einer Höhe. Auf dieselbe Weise läßt sich leicht ein falscher Maßstab von einem richtigen, jede Copie von dem Original unterscheiden. Vgl. H. W. Dove, Anwendung des S-s, um falsches von echtem Papiergeld zu unterscheiden, Berl. 1859. Zu den S–en gehört auch noch das Stereomikroskop von Nachet, d.h. ein nach stereoskopischen Grundsätzen erbautes zweiröhriges Mikroskop, durch welches man sehr deutlich die Erhabenheiten, Vertiefungen, das Volumen etc. der Objecte erkennen kann; ferner das Stereoteleskop von Helmholtz, welches eigentlich dazu dient, um die Distanz der beiden Augen künstlich zu vergrößern u. dadurch auch stereoskopische Zeichnungen von weit entfernten Gegenständen recht körperlich erscheinen zu lassen. Das Anaglyptoskop von J. J. Oppel dient, um vertiefte Formen erhaben zu sehen, u. auch Dove hat für verschiedene Zwecke noch mehre Abänderungen des S-s construirt. Die Grundprincipien des S-s waren schon dem Euklides bekannt, Galenos beschrieb dieselben ebenfalls; der Maler Battista Porta malte 1599 vollständige S–en, ebenso versuchte sich der florentinische Maler Jacopo Chimenti von Empoli (gest. 1640) in binocularen Zeichnungen, wovon in Lille noch Proben aufbewahrt werden. Vgl. C. G. Th. Ruete, Das S., Lpz. 1860.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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