Straferkenntniß

Straferkenntniß

Straferkenntniß (Criminalerkenntniß, bei erkannter Todesstrafe Bluturtheil), jede Entscheidung eines Strafgerichtes auf eine vorausgegangene Untersuchung. Nur auf die äußere Form des S-es beziehen sich die verschiedenen Bezeichnungen als Strafurtheil, wenn es durch ein Richtercollegium gefällt worden ist; Strafbescheid, wenn es von einem. Einzelrichter od. von einem Collegium in minder solenner Weise ertheilt wurde; Strafdecisum in minder wichtigen Sachen u. ohne Beobachtung der sonst gebräuchlichen Formalitäten, namentlich ohne den sonst gewöhnlichen Eingang u. Überschrift; Strafdecret, wenn die Entscheidung nur die Leitung des Proceßganges betrifft; Strafrescript, wenn die Entscheidung von einem höheren Richter ergangen ist u. zur Publication an einen unteren Richter geht. In Betreff des Inhaltes aber hat man zu unterscheiden: a) Haupt- od. Endurtheile (Sententiae definitivae), d.h. solche, welche auf ein vollständig erledigtes Strafverfahren ergehen; u. b) Neben- od. Zwischenurtheile (Sententiae interlocutoriae), d.h. solche, welche blos einen selbständigen Abschnitt eines solchen Strafverfahrens abschließen. Die Zwischenurtheile theilten sich für den älteren, gemeinrechtlichen Inquisitionsproceß (s.u. Criminalproceß) in: aa) reine Interlocute (S. instructoriae s. mere interlocutoriae), welche nur bezwecken über Fortsetzung u. Ergänzung einer begonnenen u. noch nicht für beendigt zu achtenden Untersuchung das Nöthige anzuordnen; bb) Erkenntnisse auf Entbindung von der Instanz (Absolutiones ab instantia), durch welche die einstweilige Sistirung einer für spruchreif zu achtenden Untersuchung u. die Lossprechung des Angeschuldigten bis auf Erlangung neuer Verdachtsgründe angeordnet wurde. Das neuere Anklageverfahren kennt als solche Zwischenurtheile namentlich die Erkennung auf Specialuntersuchung od. auf Versetzung in den Anschuldigungsstand, wo eine solche, wie z.B. in Württemberg, vorgeschrieben ist. Nach den meisten Gesetzen bildet aber der Übergang von der General in die Specialuntersuchung keinen besonderen Abschnitt weshalb auch eine darauf gerichtete besondere Entscheidung wegfällt; die Einstellung der Untersuchung, wenn der Untersuchungsrichter od. die dazu niedergesetzte besondere Gerichtsdeputation (Rathskammer) erkennt, daß kein Grund zur Fortsetzung der Untersuchung vorliege. In der Regel genügt dazu ein einfacher Beschluß ohne die Form eines Urtheils; das Verweisungserkenntniß der Anklagekammer, durch welches nach beendigter Voruntersuchung darüber entschieden wird, ob ein Angeklagter in den Anklagestand zu versetzen u. in der Sache nunmehr eine Hauptverhandlung abzuhalten sei od. nicht. Die Enderkenntnisse sind entweder verurtheilende od. lossprechende, ferner solche, welche nach vorgängiger wirklicher Verhandlung mit dem Angeschuldigten gefällt werden, od. Contumacialurtheile, d.h. solche, welche gegen einen ungehorsam ausgebliebenen Angeschuldigten ausgesprochen[894] werden. Bei letzteren wird angenommen, daß der Ausgebliebene stillschweigend anerkannt habe, er habe zu seiner Vertheidigung Nichts vorzubringen. Zuweilen kommen auch nur bedingte S-e vor, d.h. solche, welche die Verurtheilung od. Freisprechung des Angeschuldigten noch von dem Eintritt eines künftigen Ereignisses abhängig machen Solche bedingte S-e ergingen z.B. nach dem alten Inquisitionsverfahren, wenn auf einen Reinigungseid (s.u. Eid) erkannt wurde; im neueren Verfahren sind dahin die sogenannten Strafmandate zu rechnen, mittelst welcher der Richter bei geringeren Vergehen, deren Anzeige auf der Aussage einer verpflichteten Person od. einer sonst glaubhaften Nachricht beruht, dem Angeschuldigten statt der Ladung zur Verhandlung sofort ein Enderkenntniß zusendet, worin der Letztere wegen des angeschuldigten Vergehens in die gesetzliche Strafe unter der Voraussetzung verurtheilt wird, daß er nicht binnen festgesetzter Frist Einsprache gegen das zugesendete Erkenntniß erheben werde. Erfolgt ein solcher Einspruch, so ist eine besondere Verhandlung nach dem gewöhnlichen Verfahren nothwendig; anderenfalls gewährt das Mandatsverfahren dem Angeschuldigten die Möglichkeit die Weiterungen eines förmlichen Strafverfahrens zu umgehen. Jedes S. setzt die Angabe des vollständigen Namens, Standes u. Wohnortes des Angeklagten, die gesetzliche Bezeichnung des Verbrechens, wegen dessen der Angeklagte freigesprochen od. verurtheilt wird, die Entscheidung in der Hauptsache u. daher bei einer Verurtheilung die genaue Angabe der Art u. Größe der erkannten Strafe, die Angabe des Datums u. die Unterschrift des Gerichtsvorsitzenden, nach manchen Gesetzen sogar aller Mitglieder des Gerichtes, welche bei dem Urtheil mitgewirkt haben, voraus; mehr zufällige Punkte desselben sind die Entscheidung über die Proceßkosten u. etwa von dem Verletzten erhobene Entschädigungsansprüche. In der Regel werden auch für jedes S. Entscheidungsgründe verlangt, welche das Erkenntniß in seinen factischen, wie rechtlichen Unterlagen zu rechtfertigen haben. Ergeht aber das Urtheil auf den Wahrspruch eines Geschwornengerichtes (s.d.), so beschränken sich diese Entscheidungsgründe nur auf die rechtliche Beurtheilung der durch den Wahrspruch der Geschwornen festgestellten u. weiteren Kritik nicht zu unterziehenden Thatsachen. Haben die Geschwornen ein Nichtschuldig ausgesprochen, so ist die Freisprechung durch den Assisenpräsidenten (französisch Acquittement) nur ein formloser Entlassungsact des Angeklagten. Die Entscheidungsgründe werden entweder dem decisiven Theile des Urtheiles in einer besonderen Abhandlung beigefügt, od. können auch dem Decisivtheile unmittelbar inserirt werden, wofür jetzt die Formel: in Erwägung, daß etc. nach dem Muster des französischen en. considérant que etc. bes. gebräuchlich ist. Bei den Urtheilen, welche durch ein Richtercollegium erlassen werden, geht der Festsetzung derselben eine Berathung u. Abstimmung der Mitglieder des Gerichtes voraus. Ergibt sich hierbei Stimmeneinhelligkeit, so bietet die Feststellung des Erkenntnisses keine Schwierigkeit; wohl aber treten solche bei S-en dann hervor, wenn sich ein Widerstreit der Meinungen kund gibt. Die Gesetze enthalten über die Lösung dieser Schwierigkeiten verschiedene Bestimmungen. In der Regel wird für jeden Punkt des Erkenntnisses absolute Stimmenmehrheit (s.u. Abstimmung) verlangt. Ist zunächst nur eine relative Mehrheit vorhanden, wie z.B. wenn von fünf Richtern zwei den Angeklagten für den Haupturheber, zwei nur für einen Gehülfen, einer blos für einen Begünstiger erachten, od. wenn zwei für Zuchthaus, zwei für Arbeitshaus, einer für Gefängniß stimmen, so ist auf die Gewinnung einer absoluten Majorität dadurch hinzuwirken, daß der einen Art der Stimmen eine Präponderanz eingeräumt wird. Dies geschieht mittelst der sogenannten Combinationsmethode in der Weise, daß die dem Angeschuldigten nachtheiligsten Stimmen nach dem Satze in dubio pro reo zu den nächstfolgenden gelinderen so lange hinzugerechnet werden, bis sich hinsichtlich der Gesammtzahl der Votanten eine absolute Mehrzahl für eine Meinung ergibt. Einen anderen Ausweg bietet die Bestimmung, daß alsdann der Stimme des Vorsitzenden der Ausschlag eingeräumt ist. Einzig ist die Bestimmung der Braunschweigischen Strafproceßordnung, welche über die Thatfrage Einhelligkeit der Richter erfordert, so daß, wenn die Richter sich über gewisse Thatsachen nicht einigen können, dieselben nicht für bewiesen gelten.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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