Stärkemehl

Stärkemehl

Stärkemehl (Stärke, Amylum, Amidon, Satzmehl, Kraftmehl, Fecula), ein im Pflanzenreiche allgemein verbreiteter Stoff, findet sich in Form kleiner Körnchen in den Zellen abgelagert, bes. in den Kartoffeln, in den Samen der Gräser u. Hülsenfrüchte, in der Yamswurzel, den Bataten, im Mark des Stängels verschiedener Palmenarten u. Cycadeen u. in den Zwiebeln, Wurzeln u. Knollen vieler anderer Pflanzen; in den dem Lichte direct ausgesetzten Pflanzentheilen fehlt es. Die Stärkekörnchen bestehen aus concentrisch übereinander gelagerten Schichten, welche nach Außen zu meist wasserärmer u. dichter als nach Innen zu sind. Ihrer Form u. Größe nach sind sie verschieden, ihr Durchmesser variirt zwischen 1/60 u. 1/600 Linie; sie sind entweder kugelrund od. länglich, od., bes. wenn größere Mengen in einer Zelle beisammen liegen, durch den Druck der einzelnen Körner gegen einander vieleckig; für manche Pflanzenabtheilungen ist die Form u. Größe der Stärkekörnchen charakteristisch, so daß sich oft mit Hülfe des Mikroskops der Ursprung des S-s erkennen läßt. Die Stärkekörnchen der Kartoffeln gehören zu den größten. Das S. ist ein Kohlenhydrat u. besteht aus C12H10O10, d.h. 44,48 Kohlenstoff, 6,15 Wasserstoff u. 49,57 Sauerstoff. Es ist mehlig, nicht krystallisirbar, geruch- u. geschmacklos, in Alkohol u. Äther unlöslich; auch in kaltem Wasser ist es unlöslich, wird es aber sein gerieben, so löst Wasser eine Substanz daraus auf (Granulose), welche mit Alkohol einen Niederschlag gibt u. mit Jod blau gefärbt wird. In heißem Wasser quellen die Stärkekörnchen stark auf u. bilden Kleister, ohne sich vollständig aufzulösen. Nägeli hat zuerst nachgewiesen, daß das S. aus zwei verschiedenen Substanzen bestehe, indem er es mit Speichel bei 40–50° digerirte; dabei löste sich der eine Bestandtheil, die Granulose, auf, während eine unlösliche Substanz, vielleicht eine Art Cellulose, zurückblieb; die letztere löste sich jedoch, verschieden von der gewöhnlichen Cellulose, schnell in Kalilauge, ebenso in Nickeloxydulammoniak, in Salpetersäure u. in Salzsäure auf. Jod färbt das S. intensiv blau, im verdünnten Zustande roth, ohne jedoch mit ihm eine bestimmte chemische Verbindung einzugehen; wahrscheinlich beruht die Färbung nur auf einer Ausscheidung von Jod; beim Stehen an der Luft u. leichter noch beim Erhitzen verschwindet diese Färbung. Brom färbt es pommeranzengelb. Das S. löst sich in concentrirten Mineralsäuren in der Kälte, in verdünnten Mineralsäuren, Essigsäuren u. Alkalien beim Erhitzen. auch schon in Wasser bei längerem Kochen;[698] die Lösungen enthalten Anfangs S. als solches, bei weiter fortgesetzter Einwirkung entstehen Dextrin u. dann Zucker. Der Übergang von S. in Dextrin u. Zucker erfolgt auch im lebenden Pflanzenorganismus u. bei der Keimung, sowie im thierischen Körper bei der Verdauung; das hierbei wirksame Ferment ist wahrscheinlich eine in Zersetzung begriffene Proteïnsubstanz. Concentrirte Salpetersäure gibt Xyloïdin. Beim Erhitzen bis gegen 200° geht das S. über in Dextrin, weiter erhitzt wird es zu Pyrodextrin, einer braunen, dem Caramel ähnlichen Substanz. Von dem gewöhnlichen S. verschieden ist das S. der Flechten, das Lichenin (s.d.) u. das in den Wurzeln vieler Syngenesisten, im Topinambur, im Colchicum etc. vorkommende S., das sogenannte Inulin (s.d.). Auch im Thierreich finden sich stärkemehlartige Substanzen (Zooamylin, s.d.), u. zwar das Paraamylum (s.d.) in der Euglena viridis u. das Glycogen (s.u. Zooamylin) in der Leber des Menschen u. vieler höheren Thiere, sowie in vielen Geweben des Fötus. Das gewöhnliche S. des Handels wird bes. aus Kartoffeln u. aus Getreidearten, bes. Weizen, auch aus Reisgewonnen; das Arrowroot ist das S. verschiedener west- u. ostindischer Maranthaarten; das S. der Palmen kommt im gekörnten Zustande als Sago (s.d.) in den Handel. Zuweilen hängen dem S. fremde Substanzen an, so enthält das Maniok (Kassava, Tapioka), das S. aus der Wurzel von Iatropha manihot einen giftigen Stoff, welcher durch Erhitzen entfernt werden kann; das S. der Kastanien enthält einen bittern Stoff; Tous-les-mois ist S. aus Canna coccinea, welche wegen ihres alle Monate erfolgenden Blühens den Namen Tous les mois hat.

Die Darstellung des S-s geschieht gewöhnlich in besonderen Fabriken (Stärkefabriken). Die aus Kartoffeln ist am einfachsten, weil in diesen das S. in Zellen eingeschlossen ist, welche nur wenige u. leicht zu entfernende andere Stoffe enthalten, während bei der Gewinnung aus Getreidemehl das S. aus einer großen Menge Kleber abzuscheiden ist. 100 Theile Kartoffeln enthalten im Mittel 74 Theile Wasser, 20 Theile S. u. 6 Theile Zellgewebe, Fette, harzige Substanzen, Zucker, Eiweiß, Salze etc. Der Stärkegehalt ist bei verschiedenen Kartoffelsorten verschieden, außerdem aber ist er von der Beschaffenheit, der Düngung u. Trockenheit des Bodens abhängig. Unmittelbar nach der Ernte sind die Kartoffeln am reichsten an S., fangen sie aber an zu keimen, so nimmt der Stärkegehalt ab. Um annähernd den Gehalt einer Kartoffelforte an S. zu bestimmen, schneidet man mehre Knollen in Stücken, trocknet sie u. zieht von dem erhaltenen Gewichte 6 Procent der angewendeten Substanz ab, der Rest gibt die Quantität des trockenen S. an. Auch aus dem specifischen Gewicht einer Kartoffelvarietät läßt sich ein Schluß auf den Gehalt an S. ziehen. Darstellung von Kartoffelstärke. Die Kartoffeln werden erst 6–12 Stunden lang in Wasser eingeweicht, dann in einer aus Eisenstäben od. Latten zusammengesetzten Trommel abgewaschen u. gelangen dann zur Reibmaschine; dieselbe besteht aus einem hölzernen Cylinder, welcher auf seiner Oberfläche in der Richtung der Achse mit Sägeblättern versehen ist, so daß nur die Zähne über der Cylinderfläche hervorstehen. Der Cylinder erhält eine große Umdrehungsgeschwindigkeit u. zerreißt die Kartoffeln zu einem seinen Brei; während des Reibens fließt Wasser auf den Cylinder. Die zerriebenen Kartoffeln werden dann auf seine Haarsiebe gebracht, auf welche ununterbrochen Wasser läuft; dabei werden die Stärkekörnchen durch die Maschen der Siebe gespült, während die Fasern u. die Schalenstücke zurückbleiben. Aus dem durchfließenden Wasser setzt sich die Stärke bald ab; sie wird durch Abwaschen mit Wasser gereinigt, dann mit Wasser zu einem Brei angerührt u. in hölzerne, mit Leinwand ausgeschlagene durchlöcherte Kästen gebracht; ist das meiste Wasser abgetropft, so werden die Formen auf Gypsplatten ausgeschlagen, welche das anhängende Wasser schnell absorbiren. Das vollständige Trocknen geschieht in Trockenkammern erst bei freiem Luftzutritt, dann bei geringer Wärme. Nach einem Verfahren von Pluchart wäscht man zuerst die Kartoffeln, dann werden sie auf einer Schneidemaschine in seine Schnitte verwandelt. Die Schnitte fallen in einen großen Trog mit gesättigtem Kalkwasser, welches die gelbliche Substanz aus der Oberfläche der Kartoffelschnitte beseitigt. Wenn sie lange genug in dem Kalkwasser gelegen haben, zieht man dasselbe ab u. ersetzt es durch frisches Wasser, um die Schnitte zu waschen, was mehre Mal wiederholt wird. Die Schnitte werden dann gepreßt u. in einer geheizten Trockenstube getrocknet. Um der Kartoffelstärke ihren eigenthümlichen unangenehmen Geruch u. Geschmack zu nehmen, wird sie mehre Mal mit einer schwachen Lösung von Soda behandelt. Vgl. Kartoffelmehl. Die Darstellung des S-s aus Weizen ist mit besonderen Schwierigkeiten verbunden, weil das S. im Weizen, wie überhaupt in den Cerealien, mit dem Kleber so innig gemengt ist, daß eine Trennung durch bloßes Verwaschen nicht möglich ist. Der Weizen enthält 58–75 Procent S. u. 20–40 Procent Kleber. Nach der früheren Methode wurde Weizenmehl in Wasser aufgeweicht u. durch Zusatz von etwas Sauerwasser von einer vorhergehenden Operation, in saure Gährung versetzt, welche je nach der Temperatur 2–4 Wochen dauert; dadurch löst sich der Kleber zum größten Theil auf, das S. setzt sich zu Boden u. wird durch mehrmaliges Waschen mit Wasser u. Sieben gereinigt. Bei diesem Verfahren geht der Kleber des Weizens vollständig verloren; gleichzeitig auch ein Theil des S-s, da auch dieses durch die Zersetzung des Klebers theilweis zerstört wird; überdies gehen die Rückstände zum Theil in Fäulniß über, so daß sie nur zur Mast der Schweine benutzt werden können, u. machen die Fabrikation beschwerlich. Das neuere von C. Martin vorgeschlagene Verfahren besteht darin, die Stärke zu gewinnen, ohne den Kleber zu verändern. Zu diesem Zwecke macht man aus 100 Theilen Mehl u. 40–50 Theilen Wasser entweder mit Hülfe der Hände od. vermittelst Knetmaschinen einen Teig, welcher, um sich vollständig zu wässern, 20–25 Minuten im Sommer, eine Stunde lang im Winter stehen muß. Darauf bringt man den Teig auf ein Drahtsieb, welches auf einem Bottich steht u. läßt Wasser darüber strömen, während eine nudelholzförmige Maschine den Teig rollt u. ihm eine fortwährend erneuerte Oberfläche gibt, bis das ablaufende Wasser nicht mehr milchig aussieht. Man läßt das S. aus der Flüssigkeit absetzen, zieht das darüberstehende Wasser, welches Dextrin, etwas Zucker u. andere aus dem Weizenmehl gelöste Stoffe enthält, ab, rührt die am Boden des Gefäßes befindliche Stärke mit etwas Wasser an u. läßt die Flüssigkeit an einem warmen Orte ziehen, um die der Stärke anhängenden[699] Klebertheilchen zu entfernen. Die Reinigung u. Trocknung geschieht ganz auf dieselbe Weise wie nach dem alten Verfahren. Nach Martins Methode erhält man aus 100 Theilen Weizenmehl ungefähr 25 Procent Kleber mit 38 Procent Wasser. Eine von St. Etienne verbesserte Fabrikation der Weizenstärke besteht darin, daß ganze Weizenkörner 3–7 Tage in Wasser erweicht u. dann in der Stärkemühle (s.d. 1) durch Walzen zerquetscht werden. Zum Einweichen des Weizens wird ein mit Bleiblech ausgelegtes Faß angewendet, dieses zu 3/4 mit Weizen angefüllt u. so viel Wasser dazu gegeben, daß der Weizen nur davon bedeckt wird. Das Faß wird dann mit einem Deckel fest verschlossen u. durch eine Compressionspumpe so viel Luft hineingepreßt, daß der Inhalt bei einer Temperatur von höchstens 50° C. sich unter einem Druck von 15–20 Atmosphären befindet. Nach 4–5 Stunden füllt der Weizen den ganzen Raum des Fasses aus u. ist so mit Flüssigkeit durchzogen, daß er sich beim Passiren durch ein paar Holzwalzen leicht zu einem gleichförmigen Brei zusammenpressen läßt, welchen man, nachdem er einige Stunden gestanden hat, in den Knetapparat bringt u. mit Wasser auswäscht. Man erhält bei diesem Verfahren um 1/10 Teigmasse mehr. Man wendete zuerst den bei der Stärkemehlfabrikation gewonnenen Kleber zur Fabrikation von Maccaroninudeln etc. an, indem man denselben mit gewöhnlichem Mehl u. Wasser zu einem Teig knetete. Da der frische Kleber aber leicht fault, so ist in der neuen Zeit vorgeschlagen worden ihn zu granuliren, zu trocknen. u. im getrockneten Zustande zu versenden. Der gekörnte Kleber ist ein Nahrungsmittel, welches weit mehr nährende Substanzen enthält als eine gleiche Menge Mehl od. Schiffszwieback. Nach Veron wird der ausgewaschene Kleber zu Platten ausgewalzt u. in längliche Körner zerschnitten, welche dann mit ihrer doppelten Gewichtsmenge Weizenmehl zusammen gemahlen werden, wodurch sein Gehalt an Kleber um 11/2 Mal vergrößert wird. In England bereitet man W. aus Reis, indem man denselben mit Natron macerirt. Roßkastanien enthalten 28 Procent S. u. können ebenfalls, wo sie in großer Menge zu haben sind, zur Stärkemehlfabrikation verwendet werden; der unangenehme bittere Geschmack der Roßkastanienstärke kann durch Behandeln mit Sodawasser entfernt werden. Das S. wird in Substanz angewendet zum Leimen des Papiers, statt des thierischen Leims, zum Appretiren der Gewebe, zur Darstellung des Dextrins u. Stärkesyrups, zur Fabrikation von Nudeln u. künstlichem Sago; als Hauptbestandtheil des Getreidemehls, der Kartoffeln u. anderer Nahrungsmittel ist es von großer Wichtigkeit für die Ernährung; endlich bildet es diejenigen Körper, aus welchen sich durch Einwirkung gewisser Agentien Zucker u. Alkohol erzeugen; es ist also das Rohmaterial zur Gewinnung von Alkohol u. Bier. In der Hauswirthschaft wird das S. zum Stärken (s.d. 1) der Wäsche angewendet; dazu gießt man heißes Wasser auf das S., quirlt es zu gleicher Zeit mit einem großen Quirl u. thut etwas Blaues S. hinzu, um der Wäsche ein bläuliches Ansehen zu geben. In England wurde der Gebrauch die Wäsche zu stärken, durch eine Niederländerin 1564 eingeführt u. vorzüglich bei den sehr hohen Halskrausen angewendet, aber man gebrauchte nicht blos weißes, sondern auch blaues, rothes, purpurfarbenes u. vorzüglich gelbes S. Nach Plinius sollte das S. (gr. Amylon) auf Chios erfunden sein, wo man den besten Weizen in hölzernen Gefäßen fünfmal des Tages u. fünfmal des Nachts weichte, durch Tücher od. Körbe seihte, auf mit Hefen bestrichene Ziegelsteine goß u. so trocknete. Nach dem chiischen S. wurde das ägyptische u. kretensische gepriesen.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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