Vergiftung

Vergiftung

Vergiftung (Intoxicatio), die Einführung[466] eines Giftes in ein lebendiges Individuum u. die dadurch in demselben hervorgebrachte krankhafte Störung. Die ärztliche Behandlung der V. u. ihrer Zufälle hat zunächst die Aufgabe das Gift zu entfernen, od., wo dies nicht möglich ist od. nicht rasch u. vollständig erreicht werden kann, dasselbe möglichst unschädlich zu machen, durch chemische Zersetzung od. Verbindung desselben mit einem andern Stoff, wodurch ein weniger schädliches od. unschädliches Product entsteht, od. dasselbe durch Einhüllung od. Verdünnung zu schwächen, endlich auch die Krankheitszufälle zu mildern od. zu beseitigen. Bei durch äußere Wunden od. Geschwüre einwirkenden Giften muß die Aufnahme derselben u. Weiterleitung im Körper durch Auswaschen, Anwendung von trockenen Schröpfköpfen od. die Unterbindung des Theils oberhalb der betroffenen Stelle verhütet, ihre Zerstörung durch Ätzmittel od. das Glüheisen bewirkt werden. Bei V. durch scharfe u. ätzende Gifte muß, wenn schon Erbrechen Statt findet, dieses durch Kitzeln des Schlundes mit dem Finger od. einer Feder befördert werden. Zugleich ist mildes lauwarmes Getränk, laues Wasser, Milch, Aufguß von Thee, Wasser mit Eiweiß, Zucker od. Honig in Menge zu genießen. Erfolgt kein od. nicht ausreichendes Erbrechen, so ist Ipecacuanha in schnell auf einander folgenden Gaben anzuwenden, od., wenn Brechmittel nicht anwendbar sein sollten, die Einspritzung einer Brechweinsteinlösung in eine Vene od. die Magenpumpe (s.d.) zu gebrauchen. Ist zu vermuthen, daß das Gift schon in den Darmkanal gelangt ist, so sind Brech- u. Abführungsmittel zugleich od. letztere, bes. ölige u. salzige, mit Seife verbundene, nebst Klystieren in Gebrauch zu setzen. Bei V. durch betäubende Gifte ist Erbrechen od. Purgiren auf dieselbe Weise wie im vorigen Fall zu befördern u. zu unterhalten. Als Brechmittel dient hier bes. das schwefelsaure Zink. Bei betäubend scharfen Giften ist die Behandlung eine aus denen der betäubenden u. scharfen gemischte. Durch scharfe u. ätzende Gifte entstandene entzündliche u. andere Zufälle sind zu beseitigen, die durch betäubende hervorgerufene Asphyxie durch Unterhalten eines künstlichen Athmens, die Betäubung durch Übergießungen od. Bespritzen mit kaltem Wasser, Umschläge davon auf den Kopf, Essigumschlag auf denselben, Genuß von schwarzem Kaffee u., wenn man voraussetzen darf, daß das Gift bereits aus dem Körper entfernt, od. schon in die Säfte übergegangen ist, durch verdünnte Säuren, bes. Essig, innerlich zu behandeln. Congestionen des Blutes nach dem Kopfe erheischen Aderlaß, Schröpfköpfe, ableitende Hautreize, Erschöpfung belebende Mittel, als Ammonium, Campher, Terpentinöl etc. Als durch chemische Zersetzung u. Erzeugung neuer unschädlicher od. wenig schädlicher Verbindungen wirkende Gegengifte dienen gegen Alkalien verdünnte Säuren, bes. Essig- u. Citronensäure, gegen Arsenik das Eisenoxydhydrat u. die Auflösung des essigsauren Eisens, gegen Baryt u. Blei Glauber- od. Bittersalz, gegen Brechweinstein Gerbesäuren, gegen ungelöschten Kalk verdünnter Essig u. Citronensaft, gegen Kupfergifte phosphorsaures Natron, Cyaneisenkalium, gegen Mineralsäuren Magnesia, Kreide, kohlensaures Kali od. Natron, gegen Phosphor gebrannte Magnesia, gegen Sauerkleesalz u. Sauerkleesäure Kalkwasser, Kreide, Magnesia, gegen Hölkenstein Kochsalz, gegen Quecksilbersublimat Eiweiß in Wasser aufgelöst, Zucker-, Honig-, Seifenwasser, gegen Blausäure Chlor u. Ammonium. Bei V. durch Gasarten, bes. Kohlendampf, ist zunächst die verunreinigte Luft zu entfernen u. durch reine zu ersetzen. Über die Behandlung einzelner Vergiftungsarten, s. unter Schlangen, Hundswuth, Arsenik, Blei etc. Vgl. Orfila, Rettungsverfahren für vergiftete u. asphyktische Personen, aus dem Französischen von Jahn, Berl. 1831; Phöbus, Anleitung zur ersten Hülfsleistung bei V-en, 3. Ausg. Stollb. 1840.

Bei Ausmittelung des Thatbestandes der V. muß der Gerichtsarzt nur den sichersten Kennzeichen vertrauen. Kennzeichen der V. sind: die Zufälle nach genossenem Gifte an Lebenden bis zum Tode, die Veränderungen; welche man in der Leiche findet, die chemische Prüfung der im Magen u. Darmkanal befindlichen Substanzen. Beide ersten geben aber keinen völlig entscheidenden Beweis der V. überhaupt, noch insbes. der Art derselben, denn beide können auch durch heftige u. schnell tödtende Krankheiten hervorgebracht werden. Selbst das Geständniß des Beschuldigten kann die Sache nicht über alle Zweifel erheben. Es bleibt also als entscheidend nur die chemische Untersuchung des im Magen u. den Gedärmen Vorgefundenen übrig, denn nur die Auffindung der giftigen Substanz im Körper gibt den unumstößlichen Beweis der geschehenen V. aus physischen Merkmalen. Doch kann das Nichtauffinden des Gifts in der Leiche nicht als gleich sicherer u. untrüglicher Beweis nicht geschehener V. gelten; denn es gibt manche (bes. Pflanzen-) Gifte, welche durch die bekannten Probemittel nicht auszumitteln sind, u. dann können die Giftstoffe vor dem Tode durch Erbrechen etc. wieder ausgeleert werden, od. in Leichen, welche erst lange Zeit nach dem Tode untersucht werden, vermittelst der Verwesung durch chemischen Proceß zersetzt u. verflüchtigt sein. In dieser Beziehung kommt noch in Betracht, daß der Thatbestand der V. noch auf andere Weise, namentlich durch Geständniß des Giftmischers, Zeugenbeweise, Untersuchung der vergifteten Speisen, Arzneien etc., von denen der Verstorbene erweislich genossen hatte, außer Zweifel gesetzt werden kann. Unsicher ist die Methode das im Magen u. Darmkanal einer muthmaßlich vergifteten Leiche Vorgefunde Thieren beizubringen u. aus der Wirkung desselben auf Giftgehalt od. Abwesenheit des Gifts zu schließen. Es ist nämlich Erfahrungssatz, daß Substanzen, welche für eine Thiergattung Gift sind, bei einer andern keine giftige Wirkung zeigen, u. dann kann dadurch selbst im günstigen Falle die Natur des Gifts nicht genau erforscht werden. Zu einer vollständigen chemischen Untersuchung muß Alles, was im Schlunde, Magen u. den Gedärmen der Leiche sich befindet, in ein reines Gefäß ausgeschüttet u. auch das an den Häuten Hängende abgeschabt u. aufbewahrt werden. Gleiches muß beim durch Erbrechen od. Stuhlgang Ausgeleerten Statt finden. Die Untersuchung muß sich selbst bisweilen auf die Theile, namentlich den Magen u. Darmkanal, od. auch selbst auf thierische Flüssigkeiten, z.B. den Harn, das Blut, in denen Spuren des Giftes sich finden können, erstrecken. Die chemische Untersuchung geschieht vom Gerichtsarzt od. dem damit beauftragten Apotheker. Sie gibt aber nur bei mineralischen Giften genügenden Aufschluß. Bei V-en durch [467] Pflanzengifte kann das Urtheil bes. nur auf die Krankheitsgeschichte u. den Obductionsbefund gegründet werden. Sind die giftigen Pflanzenstoffe (Blätter, Beeren, Wurzeln, Samen, Schwämme etc.) durch die Verdauungskraft nicht schon in Brei verwandelt, so lassen sie sich an den naturhistorischen Kennzeichen erkennen. Im entgegengesetzten Falle läßt sich ihre Natur so wenig ergründen, als wenn flüssige Giftsubstanzen angewandt wurden. Der Zustand des Magens u. der Gedärme kann dann wohl den Verdacht der V, bestärken, nie aber Gewißheit geben. Über chemische Prüfungsmittel u. die Erscheinungen der V-en durch einzelne Gifte s. die einzelnen Gifte, bes. Arsenik. Vgl. Giftmord.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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