Wandergesellschaften

Wandergesellschaften

Wandergesellschaften (Wanderversammlungen), wissenschaftliche od. Kunstvereine, welche für einen gewissen Zweig des Wissens od. der Kunst in bestimmten Zeiträumen, meist jährlich, an einem anderen Orte auf vier bis sechs Tage zusammenkommen, um sich über ihr Fach zu besprechen. Die W. theilen sich meist in mehre Sectionen, welche ihre besonderen Zwecke in eigenen Sessionen verfolgen, u. werden meist mit einer Generalsitzung eröffnet u. geschlossen. Die Kosten werden durch Beiträge der Mitglieder der Versammlung aufgebracht, wozu gewöhnlich ein Zuschuß der Stadt u. des Staates, in welchem gerade die Gesellschaft sich versammelt, kommt. Die älteste dieser W. war die Versammlung des norddeutschen Apothekervereins 1821 zu Minden in Westfalen, vom Hofrath Brandes in Salzuffeln gestiftet; ihr folgte die Versammlung Schweizerischer Naturforscher, von welcher Oken Veranlassung nahm 1822 in der Isis zu einer ähnlichen Versammlung der deutschen Naturforscher u. Ärzte aufzufordern, demgemäß am 18. Sept. 1822 die erste dergl. Versammlung in Leipzig stattfand; über die Zwecke derselben u. die ferneren Versammlungen s.u. Naturforscher. Ähnlich dieser ist die Versammlung der deutschen Land- u. Forstwirthe seit 1845, s.u. Landwirthschaftliche Gesellschaften, u. der deutschen Ornithologen seit 1845, s.u. Ornithologie. Eine Versammlung deutscher Wein- u. Obstproducenten fand 1839 in Heidelberg, 1840 in Mainz, 1842 in Würzburg, 1843 in Stuttgart u. 1845 zu Freiburg im Breisgau statt, schloß sich aber 1846 an die Versammlung deutscher Land- u. Forstwirthe an. Ferner verbanden sich 1837 bei Gelegenheit des Jubiläums der Universität Göttingen die Philologen zu einer Versammlung der deutschen Philologen u. Schulmänner, s.u. Philologie S. 68. Dieser zur Seite stand die Versammlung der norddeutschen Schulmänner, welche 1834 zuerst in Schwerin statt fand, u. seit 1845 eine Versammlung der deutschen Realschulmänner, 1846 in Mainz, 1847 in Gotha, 1852 in Kösen, 1853 in Braunschweig, 1854 in Eisenach, 1855 in Hannover, 1856 in Altenburg, 1857 in Meißen. Die allgemeine deutsche Lehrerversammlung war 1848 in Dresden, 1849 in Nürnberg, 1861 in Cöthen, 1862 in Gera, 1863 in Manheim. Auch die Turnlehrer Deutschlands halten jetzt solche Versammlungen, s.u. Turnen S. 72. Solche Versammlungen hielten die Germanisten (s. d), welche jetzt eine Section der deutschen Philologen u. Schulmänner bilden; u. halten die Deutschen Geschichts- u. Alterthumsforscher, zuerst 1852 in Dresden, 1853 in Nürnberg, 1854 in Münster. 1855 in Ulm, 1856 in Hildesheim, 1857 in Augsburg, 1858 in Berlin (1859 fiel aus), 1860 in München, 1861 in Altenburg, 1862 in Reutlingen, 1863 in Braunschweig, 1864 in Constanz; die Deutschen Balneologen u. Hydrologen (zuerst 1855 in Berlin). Mehr Schwierigkeiten fand die Versammlung der deutschen Schriftsteller u. Journalisten, welche schon seit 1839 beabsichtigt, erst 1845 zur Ostermesse in Leipzig statt fand. Sie sollte sich 1846 in Stuttgart wiederholen, kam aber dort nicht zu Stande. Dagegen fand eine Versammlung der deutschen Belletristen u. Journalisten im Octbr. 1846 in Weimar statt u. 1864 versammelte sich der deutsche Journalistentag zuerst in Eisenach. Eine Versammlung der Advocaten war 1845 im Herbst zu Mainz projectirt, aber kurz vor ihrer Eröffnung, nachdem bereits Preußen seinen Rechtsgelehrten deren Besuch untersagt hatte, von der Darmstädter Regierung verboten; ähnliches Schicksal hatte eine 1846 nach Kiel berufene, jedoch wurde dieselbe in Hamburg gehalten. Daraus entstand später der Deutsche Juristentag, welcher 1860[840] in Berlin, 1861 in Dresden, 1862 in Wien u. 1863 in Mainz zusammentrat u. 1864 in Braunschweig stattfinden wird. Noch sind die großen Musikfeste (s. Musikvereine u. Liedertafeln), welche, immer wandernd, an verschiedenen Orten Deutschlands u. jetzt auch Frankreichs, der Niederlande u. Englands gegeben werden, hier zu erwähnen. Auch die deutschen Tonkünstler versammelten sich 1847 in Leipzig u. in demselben Jahre die deutschen Philosophen in Gotha; eben so die Vereine der Architekten (s. d.) u. Baumeister; Verein für historische Kunst (dritte Versammlung 1857 in Nürnberg), Verein für christliche Kunst (1857 in Regensburg); der Gustav-Adolfsverein (s. d.), der Deutsche evangelische Kirchentag (zuerst 1848 in Wittenberg, s.u. Kirchentag).

Der Erfolg, welchen bes. die Versammlungen der Naturforscher in Deutschland hatten, veranlaßte auch das Ausland sie nachzuahmen. Zunächst stifteten in England mehre Naturforscher, von denen einige bereits an deutschen Versammlungen Theil genommen hatten, die British Association für England, die Naturforscher versammelten sich 1831 in York. 1832 in Oxford, 1833 m Cambridge, 1837 in Liverpool, 1838 in Newcastle, 1839 in Birmingham. 1840 in Glasgow, 1841 in Plymouth, 1842 in Manchester, 1843 in Cork, 1844 in York, 1845 in Cambridge, 1846 in Southampton etc. Auch diese Versammlungen theilten sich nach dem Muster der deutschen in Sectionen für Mathematik u. Physik, für Chemie u. Mineralogie, für Geologie u. Geographie, für Medicin u. für Mechanik. In Liverpool erschienen 1800, in Glasgow 1350 Theilnehmer. Dieser Verein, von der Regierung mit bedeutenden Summen unterstützt, führte großartige wissenschaftliche Unternehmungen aus, gab so die Observationen der Sternwarte in Greenwich seit 1754 heraus, stellte Untersuchungen über Ebbe u. Fluth an der Britischen u. Irischen Küste an, errichtete meteorologische u. magnetische Observatorien in verschiedenen Gegenden der Erde, veranlaßte eine Expedition gegen den Südpol, um die Erkenntniß der dortigen Verhältnisse hinsichtlich der Naturwissenschaften u. bes. des Erdmagnetismus zu erkunden, eine neue Nordpolexpedition unter Capitän Roß. Auch in Frankreich wurde ein Versuch mit solchen W. gemacht, u. es versammelten sich z.B. 1846 in Lyon Wein- u. Obstbaufreunde u. Archäologen. In Dänemark, Schweden u. Norwegen bildete sich, ebenfalls nach deutschem Vorbilde, der Skandinavische Naturforscherverein, welcher sich 1839 in Gothenburg u. 1840 in Kopenhagen versammelte; dort wurde bestimmt, daß der Verein alle zwei Jahre in einer der Hauptstädte der drei Reiche zusammenkommen sollte, so 1842 in Stockholm, 1844 in Christiania u. 1846 wieder in Kopenhagen etc. Für jedes Reich wurde ein Comité zur Wahrung der Interessen der Gesellschaft errichtet. In Italien bildete sich der Congreß der italienischen u. fremden Naturforscher. Pisa war 1839 der erste Ort ihrer Zusammenkunft, aber die päpstliche, neapolitanische u. modenesische Regierung verboten ihren Unterthanen den Verein zu besuchen; 1840 war die Versammlung in Turin, 1841 in Florenz, 1842 in Pavia auf österreichischem Gebiete. 1843 in Lucca, 1844 in Mailand, 1845 in Neapel u. 1846 in Genua etc. Es gibt auch in Italien Versammlungen der Philologen. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika besteht die Assocation for the Advancement of Science, welche vorzugsweise von Naturforschern besucht, jedes Jahr ein Mal tagt. Ferner sind auch hierher zu rechnen die von Elihu Burritt (s. d.) angeregten Friedenscongresse (s.u. Friede S.716). So haben sich diese W. in neuester Zeit nach den verschiedensten Richtungen hin u. auf fast alle Gebiete des menschlichen Wissens (internationale u. gewerbliche Congresse, Statistik, Nautik, Meteorologie, Geographie etc.) hin verbreitet u. immer weiter ausgedehnt.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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