Wittwe [1]

Wittwe [1]

Wittwe (Vidua), eine ihres zeitherigen Ehemannes durch den Tod beraubte Ehefrau. Die W. behält in der Regel auch nach dem Tode des Ehemannes den Gerichtsstand, Rang u. das Heimathsrecht ihres verstorbenen Gatten bei, so lange sie sich nicht anderweit verheirathet od. freiwillig das Aufgeben dieser Rechte erklärt. Sie hat einen Anspruch darauf, daß auch die von ihr nach dem Tode des Gatten innerhalb der nächsten zehn Monate (Landesgesetze bestimmen diese Frist gewöhnlich noch genauer) geborenen Kinder als ehelich geborene betrachtet werden, insofern nicht die Unmöglichkeit, daß der verstorbene Ehemann dieselben in der naturgemäßen Zeit erzeugen konnte, durch directen Gegenbeweis dargethan zu werden vermag. Dagegen liegt ihr auch die Verpflichtung ob die gesetzliche Trauerzeit (s.d.) auszuhalten u. sich vor Ablauf derselben nicht wieder zu verheirathen. Doch wird die Verletzung dieser Pflicht jetzt meist nur mit willkürlicher Strafe, nicht mit Ungültigkeit der neuen Ehe bestraft, auch kann davon Dispensation nachgesucht werden. Die Erbrechte der W. gegenüber dem verstorbenen Ehemann bestehen nach Gemeinem Rechte nur darin, daß dieselbe, wenn überhaupt keine Blutsverwandten des Mannes vorhanden sind, einen Anspruch auf die sogenannte Bonorum possessio unde vir et uxor in gleicher Weise hat, wie dasselbe auch dem Ehemann bei völligem Abgang von Blutsverwandten seiner verstorbenen Ehefrau zusteht. Außerdem ist durch Kaiser Justinian noch der armen W. an dem Vermögen des wohlhabenden Ehemannes, wenn drei od. mehr Kinder ihn beerben, der Anspruch auf eine Virilportion, sonst auf den vierten Theil der Erbschaft eingeräumt worden; sind aber die miterbenden Kinder von ihr selbst geboren, so erstreckt sich ihr diesfallsiges Successionsrecht nur auf den Nießbrauch, nicht auch auf das Eigenthum an dieser Portion. Vielgestaltiger sind die Erbansprüche, welche die deutschen Particulargesetze der W. an die Verlassenschaft des verstorbenen Ehemannes eingeräumt haben. Die Verschiedenheit dieser Erbansprüche richtet sich namentlich darnach, je nachdem in Betreff des ehelichen Güterverhältnisses das System der ehelichen Gütergemeinschaft in seinen verschiedenen Abstufungen gilt, od. das römische Dotalsystem herrscht, od. eine Verbindung beider stattgefunden hat; vgl. Dos, Ehe, Gütergemeinschaft, Statutarische Portion. Besondere Rechte der W-n nach deutschen Rechten haben sich namentlich bei dem deutschen Adel ausgebildet. Hierher gehören der Anspruch der adeligen W. auf ein adeliges Leibgeding (s.d.), die adelige Morgengabe (s.d.), in den Ostseeprovinzen das Mußtheil, d.h. der Anspruch auf die Hälfte aller Victualien, welche zur Zeit des Todes des Ehemannes od. am 30. Tage nach demselben auf dem Hofe vorräthig sind; das Eingeschneitel (Supervita), d.h. ein der W. bis zur Wiederverheirathung jährlich zu reichender Auszug; die in Holstein übliche Haubenbandsgerechtigkeit, als das Recht einjährigen Nießbrauches an den unbeweglichen Gütern des verstorbenen Ehemannes u. eines Theiles auf die hinterlassene Fahrniß, so wie das gleichbedeutende, im Bremischen Ritterrecht[306] u. in Pommern sich vorfindende Gnadenjahr. Ähnliche Rechte finden sich mehrfach in den Hausgesetzen der regierenden deutschen Fürstenhäuser. Die W. eines Souveräns führt gewöhnlich, wenn nach ihrem verstorbenen Gemahl die Krone auf einen Sohn von ihr übergeht, das Prädicat Kaiserin-, Königin-, Herzogin-Mutter, erhält ihren eigenen Hofstaat, meist einen besonderen Wittwensitz (s.d.) u. ein besonderes Witthum, welches entweder schon bei dem Abschluß der Ehe od. auch hausgesetzlich näher festgesetzt ist. Im Range steht sie nur der Gemahlin des regierenden Fürsten nach. Über die Rechte der W-n von Staats- u. Kirchendienern s.u. Wittwenkasse. Meist erhalten solche W-n auch noch auf eine bestimmte Zeit (den nächsten Monat, das nächste Quartal) den Gehalt des verstorbenen Ehemannes voll ausgezahlt. Bei den Hebräern genossen die W-n nach dem Mosaischen Gesetz mancherlei Begünstigungen, so sollten namentlich ihre Rechtssachen nach Recht u. Billigkeit behandelt, sie bei den mit Darbringung von Opfern u. Zehnten verbundenen Festmahlzeiten als Gäste geladen, ihnen die Nachlese auf Äckern, in Weinbergen, an Ölbäumen gelassen werden. Eine zweite Ehe einzugehen war keiner W. verboten, nur war sie, wenn sie ihrem Manne keine Kinder geboren hatte, verpflichtet den Bruder ihres verstorbenen Mannes zu heirathen (Levirathsehe) u. überhaupt 90 Tage bis zur Vollziehung der zweiten Ehe vorübergehen zu lassen. Eines Hohenpriesters Frau durfte eine W. nicht werden. Nach rabbinischen Gesetzen blieb die W., wenn sie sich nicht wieder verheirathete, im Hause des verstorbenen Mannes, wo sie standesmäßige Wohnung, Unterhalt zu erhalten u. volle Ansprüche auf das verschriebene Heirathsgut hatte. Die Kinder konnten die W. weder zwingen in ihr elterliches Haus zurückzukehren, noch waren sie verpflichtet, wenn sie selbst dahin gehen wollte, ihr dorthin mehr zu geben, als ihr Theil an der gemeinschaftlichen Wirthschaft ihres Hauses betrug. Als W. galt eine Weibsperson nicht blos nach dem Tode des Mannes nach vollzogener Ehe, sondern auch nach dem Tode des Bräutigams nach der förmlichen Verlobung, daher durfte der Hohepriester auch keine solche bräutliche W. heirathen. Vgl. G. Fronmüller, De vidua hebraea, Wittenb. 1714. Vgl. Waisen. Über das Verbrennen der W-n mit dem gestorbenen Ehemanne in Indien s. Sutti.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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