Zigeuner

Zigeuner

Zigeuner, ein in Asien, Ägypten, Europa u. Nordamerika umherschweifendes, allerhand Beschäftigungen, dabei auch Wahrsagerei, Betrügereien u. Diebstahl treibendes Volk. Sie selbst nennen sich Romeitschel, Konnmual-khal, Pharaôn od. Sinte (vgl. Sind, Indier), in Indien heißen sie Nut Beria u. Kangiar, in Persien Luli, in Adserbidschan Hindu karusch, d.i. schwarze Indier, in Syrien Kauli (d.h. Kabuli od. Bewohner von Kabul), bei den Arabern Harami, bei den Griechen Athinganer (nach Ketzern, welche dem Kaiser Michael dem Stammler die kaiserliche Würde prophezeiten), bei den Neugriechen Gyphtoi (d.i. Ägyptier), bei den Türken Tschingan, in Slavonien, der Moldau u. Walachei Cigani, in Ungarn Cygani u. Pharao Nephek, d.i. Volk Pharaos, in Rußland Tschingani, in Italien Zingari, in Spanien Gitanos, in Portugal Ciganos, in Frankreich Bohémiens od. [619] Egyptiens, in England Gypsies (d.h. Ägyptier), in Schottland Trinkler, in Hochschottland Caird, in Finnland Mustalaiset, in Dänemark u. Norwegen Fanter, in Schweden Spakaring, in den Niederlanden Heidenen od. Heider, u. in Deutschland Z. Die Zahl der Z. ist nicht bekannt, doch schätzt man sie in Europa auf 1/2 Million, von welcher auf Österreich an 100,000, auf die Europäische Türkei u. deren Schutzstaaten 200,000 kommen sollen. Ihr Äußeres kennzeichnet sich in schwarzem, glänzendem Haar, dichtem schwarzem Bart, in der Olivenfarbe der Haut, unter welcher auch nicht die geringste Röthe hervorschimmert, in fein gespaltenen Lippen, blendend weißen Zähnen, feurigen, von langen Wimpern beschatteten Augen. Die Gestalt ist immer von mittler Größe, der Körper schlank u. wohlgebildet, das Gliederspiel lebendig, ausdrucksvoll u. anmuthig. Die Frauen stehen in körperlicher Beziehung den Männern weit nach, doch gibt es ausnahmsweise auffallende Schönheiten unter ihnen. Die gewöhnlichen Frauen der Z. entwickeln sich schnell u. verblühen auch ebenso bald, wozu wohl die unstete Lebensweise u. die harte Behandlung, welcher sie von Seiten ihrer Männer ausgesetzt sind, das Meiste beiträgt. Den Männern gelten sie für so unrein, daß keine Speise berührt werden darf, an welche eine Frau auch nur mit dem Rocke angestreift ist. Furcht vor Verunreinigung durch fremde Berührung ist auch der Grund, weshalb jeder Z. sein eigenes Kochgeschirr u. Tischgeräth mit sich herumträgt. Bestimmte religiöse Anschauungen scheint der Z. nicht zu haben; er glaubt an einen großen Gott im Himmel, von welchem Blitz u. Donner, Schnee u. Regen kommen. Heiliger als Gott ist ihm die Erde, die durch sich selbst von Anfang an besteht u. folglich nicht geschaffen worden ist. Auf dem Grabe der verstorbenen Stammesgenossen werden mit Wein, Bier u. Branntwein Opfer gebracht, jedoch glaubt der Z. wohl nicht an eine Fortdauer nach dem Tode. Äußerlich hält sich der Z. zu der Landesreligion, so in der Türkei zum Islam, in christlichen Ländern zum römischen u. griechischen Katholicismus; die Protestanten verachtet er, doch läßt er seine Kinder sofort protestantisch taufen, wenn er dabei Pathengeschenke erhält. Trauen läßt sich der Z. nicht, außer wenn er damit für seine Frau einen regelrechten Paß erlangen will. Vom Christengotte glaubt der Z., daß es einen großen erwachsenen u. einen kleinen jungen Gott gebe; der große Gott ist gestorben od. hat dem Throne entsagt, das Weltregiment führt der kleine Gott. Bei ihrem ersten Erscheinen standen alle Z. unter einem einzigen Oberhaupte (König). Dieser König hat sich nur bei den Z-n in England erhalten, die übrigen haben Häuptlinge od. Hauptleute. In Deutschland gibt es deren drei, in Altpreußen, Neupreußen u. Hannover, u. nach diesen Häuptlingen zerfallen auch die Z. in Deutschland in drei Landsmannschaften, in Altpreußen, deren Farbe schwarz u. weiß ist u. welche nur der Tanne besondere Ehrfurcht zollen; in Neupreußen, deren Farbe grün u. weiß u. deren heiliger Baum die Birke ist; u. in Hannoveraner, welche schwarz, blau u. gold haben u. den Mehlbeerbaum verehren. Die volle uneingeschränkte Gerichtsbarkeit des Hauptmanns u. sein Recht über Leben u. Tod der Seinen bestehen nicht mehr. Er übt jetzt eine gewisse Polizeigewalt, führt das Siegel, auf welchem ein Igel mit dem Reis od. Blatt des heiligen Baums, bestätigt u. trennt die Ehen, verzeichnet Todesfälle u. Geburten, schlichtet Streitigkeiten u. ertheilt Strafen, welche entweder in körperlicher Züchtigung od. in Ausschließung von der Gemeinschaft bestehen. Er macht auch wieder ehrlich, indem er in feierlicher Versammlung dem Geächteten seinen eignen Becher zum Trunke reicht. Der letzte König der deutschen Z., Maximilianus, soll zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs gelebt u. seine Residenz in einem Walde bei Sellstädt, in der Gegend von Mühlhausen, gehabt haben. Jetzt wird der Hauptmann von den erwachsenen Männern der Genossenschaft gewählt. Dem Erwählten wird auf bekränztem Teller ein mit Wein gefüllter Krug überreicht u. sein Haupt wird mit den Zeichen seiner Würde, einem dreieckigen Hut mit silberner Quaste, bedeckt. Der Hauptmann muß den Krug auf einen Zug leeren u. dann in Scherben zertrümmern, er muß ferner unverbrüchliche Beobachtung der Gesetze geloben u. einen heiligen Baum pflanzen. Jede Bande hat eine sogenannte Zi-Mut, immer die älteste Frau, ohne deren Genehmigung nichts vorgenommen werden darf. In der Familie führt der Ehemann eine unbedingte Herrschaft u. ihm überliefern Alle ihre Einnahmen. Das Heirathen erfolgt vor dem Hauptmann, welcher aus einem irdenen Kruge einige Tropfen Wein auf die vor ihm knieenden Brautleute gießt, den Krug dann leert u. hoch in die Luft schleudert; in je mehr Scherben der Krug zerbricht, um so größer soll das Glück der Eheleute sein. Die Z. sind wohl stets ein Wandervolk gewesen, es hat auch fast nie gelingen wollen sie seßhaft zu machen. Für Wohnung u. Wohnen hat ihre Sprache gar keine Wörter. Meist hält sich der Z. im Freien auf, Wald u. Feld sind ihm lieber als ein Haus, wenn er schlafen will. Gesellig ist er, weshalb man ihn immer in Banden ziehen sieht; der einzelne Z. ist entweder ein Kundschafter od. ein Geächteter. Unordnung, Schmutz, zerlumptes Wesen zeigen alle Z., gleichwohl haben sie Neigung sich in phantastischer Weise zu putzen, namentlich verrathen die Frauen viel Geschmack für bunte grelle Farben. Am liebsten ißt der Z. recht fettes Fleisch; Igel, Eichhörnchen, Füchse u. Geflügel sind seine Leckerbissen, auch verachtet er das Fleisch gefallener Thiere nicht. Um Federvieh zu fangen, führt er stets Angelhaken bei sich, welche er gelegentlich auch nach Wäsche u. dergl. auswirft. Geistige Getränke lieben die Z. außerordentlich, am meisten Wein, weniger Branntwein, am wenigsten Bier; der unmäßigste tägliche Genuß geistiger Getränke scheint dem Z. nichts zu schaden u. ihn blos vorübergehend zu berauschen. Den Tabak raucht, schnupft, kaut u. ißt er. Auch die Frauenkrankheiten kennen die Z. fast gar nicht. In allen europäischen Ländern zeigt der Z. denselben moralischen Charakter, dieselben Gewohnheiten, dieselben Laster. Zerstreut u. unachtsam, ist der Z. dennoch klug u. verschmitzt, von scharfer Beobachtungsgabe u. vielem Verstande; er ist ein geborener Spion. Obgleich Furcht u. Feigheit ihn beherrschen, wird er leicht frech u. grob u. dann gleich wieder höflich u. sogar kriechend. Er ist sehr begehrlicher Natur, üppig u. verschwenderisch, aber auch der größten Entbehrungen fähig. Gegen seine Kinder ist er sehr zärtlich; Ehrgefühl ist ihm völlig fremd. Arbeitsscheu u. Faulheit, Leichtsinn u. Lügenhaftigkeit, Sucht zum Stehlen u. Grausamkeit gegen Thiere sind seine gewöhnlichen Fehler, Dankbarkeit u. Anhänglichkeit[620] an Wohlthäter seine hervorstechendsten Tugenden; vor schweren Verbrechen hüten sich die Z. Unter den Erwerbszweigen der Z. nimmt die Musik, für welche sie besonderes Talent haben, die erste Stelle ein, dann sind sie geschickt als Schmiede, Schlosser, Drahtflechter u. Holzschnitzer. Häufig sind sie auch Tänzer, Seiltänzer, Kunstreiter etc.; auch treiben sie auf ihren Wanderungen als Traumdeuter, Schatzgräber u. Wahrsager ihr Spiel u. verkaufen Geheimmittel gegen Viehseuchen, Mißernten u. Feuersgefahr. Daß sie früher häufig Kinder gestohlen haben sollen, dürfte wohl nur Sage sein. Von der Sprache der Z., s. Zigeunersprache. Zahlreich hat die Poesie die Z. benutzt, so im Gil Blas, Walter Scotts Guy Manering, Wolfs Preciosa etc.; in den Romanen La Zingana (Parma 1762), La Zingarella (Lpz. 1751), Der Zigeuner (von Told, Wien 1843).

Über den Ursprung der Z. gibt es mehre Vermuthungen. Sie zeigten sich auf einmal zu Anfang des 15. Jahrh. in Vorder-Asien u. Ägypten, 1416 in der Moldau, 1417 in Ungarn u. Böhmen, an der Nord- u. Ostsee, 1418 in Meißen u. Osterland, auch in der Schweiz, 1419 in der Provence, 1422 in Italien, 1427 in Paris, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrh. in Spanien u. unter Heinrich VIII. in England. Sie behaupteten aus Ägypten zu kommen u. ihr Vorgeben aus Palästina rückkehrende Pilger zu sein erwarb ihnen Anfangs hier u. da Schutzbriefe, so 1425 vom Kaiser Sigismund, obschon sie auch die Kunst verstanden solche Schutzbriefe nachzumachen. Sie sind unbezweifelt, wie auch die Sprache beweist, indische Stämme (s. oben), aber weniger wahrscheinlich durch die Verheerungen Timurs 1398 in Indien (nach Andern durch dessen Enkel Pir Muhammed Dschehan Gir) zur Auswanderung bewogen, als vielmehr, nach Bataillard, von den Gats od. Gets, den Urbewohnern des nordwestlichen Indiens, ausgegangen. Kurz nach ihrem Einwandern erregten sie durch Betrügereien u. Spitzbübereien, so wie durch Irreligiosität den Verdacht der Regierungen u. Völker, u. bereits im 15. u. 16. Jahrh. suchte man sie, wiewohl vergebens, aus Spanien, Frankreich, Italien u. Deutschland zu vertreiben. Nach Dänemark u. Norwegen Z. überzuführen war sonst bei Confiscation des Schiffs verboten. Die Versuche sie an feste Wohnsitze zu gewöhnen u. zu civilisiren schlugen bis auf die neueste Zeit meist fehl. Für die Österreichischen Staaten gab die Kaiserin Maria Theresia 1768 eine Verordnung, nach welcher sie feste Wohnsitze wählen, ein Gewerbe treiben, ihre Kinder kleiden u. in die Schule schicken sollten, u. als sie sich zu nichts von dem bequemten, so wurde 1773 von der Regierung befohlen ihnen ihre Kinder zu nehmen u. dieselben christlich zu erziehen. Aber auch dadurch wurde die Absicht der Regierung mit ihrer Civilisirung nicht erreicht u. unter Joseph II. wurden deshalb die Verordnungen gegen sie gemildert. Nur einzelne Horden siedelten sich in Siebenbürgen, in Dalmatien zu Karasitza u. in Ungarn an, welche Neu-Ungarn (Uj-Magyar) hießen, die übrigen blieben ihrem Nomadenleben u. ihrer Beschäftigungsart treu bis auf den heutigen Tag. In Ungarn haben die Z. ihren Typus am reinsten erhalten, sich aber durch Annahme der magyarischen Tracht der Landesbevölkerung accommodirt. Die Dörfer der Ansässigen, Zeilen genannt, liegen in Ungarn am Ende der Ortschaften u. bestehen aus elenden, schmutzigen Hütten; die Bewohner bleiben selten das ganze Jahr in ihrem Orte, sondern wandern im Sommer umher u. kehren erst im Winter zurück. Die wandernden ziehen im Lande umher, wobei Weiber u. Kinder auf einem schlechten, mit Leinwand bedeckten Wagen sitzen, während die Männer nebenher gehen. Bei einer Ortschaft angelangt schlagen sie ein Zelt auf u. gehen dann ihrem Gewerbe nach, die Männer arbeiten als Schmiede, die Weiber wahrsagen, die Kinder betteln. Eine Hauptbeschäftigung der Z. in Ungarn ist die Musik, u. bei Festen u. Tänzen spielen stets Zigeunerbanden auf; eine Bande, die Loczer Kapelle, bereiste sogar 1846 Deutschland u. England u. ließ sich mit ihrer Nationalmusik hören. Eine andere wesentliche Beschäftigung der Z. ist im Banat u. Siebenbürgen das Goldwaschen, sie heißen als solche Rudari od. Aurari u. erhalten bandenweis von der Regierung die Bewilligung den Sand eines Baches auszuwaschen, wogegen sie einen jährlichen Zins zahlen u. den übrigbleibenden Gewinn unter sich vertheilen. Die Gesammtzahl der Z. in dem Österreichischen Staate wurde 1846 zu 93–94,000 (davon 30,000 in Ungarn, 50–60,000 in Siebenbürgen, 13,000 in Böhmen), 1849 zu 97,000 angegeben. In Deutschland gibt es Z. nur noch in Preußen u. Hannover (s. oben S. 619), doch ist ihre Zahl gering u. ihre Eigenthümlichkeiten haben sich etwas verwischt, wiewohl die Versuche zu ihrer Civilisirung auch hier nicht geglückt sind, namentlich ging die zu diesem Zweck gegründete Anstalt in Friedrichslohra bei Nordhausen 1837 ein. Nur in Jütland haben sich in den großen Heiden noch mehre Z. in ihrer ganzen Nationalität erhalten; sie sind fortwährend auf der Wanderung begriffen u. wohnen im Sommer in Hütten od. Zelten, im Winter in Erdhöhlen; sie machen dort die Viehärzte, Kesselflicker, Scherenschleifer, Abdecker u. dgl.; die Bemühungen der Behörden sie an ein regelmäßiges Leben zu gewöhnen sind stets mißlungen; übrigens mindert sich ihre Anzahl in Jütland. In Norwegen, wo sie seit dem Anfang des 16. Jahrh. einwanderten u. wo ihre Zahl zu 1150 angegeben wird, durchziehen sie, wie anderwärts, hier noch bewaffnet, das Land nach allen Richtungen u. werden bes. in den abgelegenen Thälern ein Schrecken der Bewohner, da sie sich bei denselben einquartieren u. nicht nur Lebensmittel für sich u. Futter für ihre Thiere, sondern auch Geld u. Kleider requiriren. Mit ihnen haben sich hier inländische Landstreicher, Skoier, verbunden, welche auch sogar gegenseitige Lebensgemeinschaft eingehen, oft aber auch in den Strafanstalten zusammen sich eingesperrt finden. Alle Hoffnung sie für Seßhaftigkeit u. ein geordnetes Leben zu gewinnen, hat sich auch hier unbegründet erwiesen. In der Türkei u. deren Schutzstaaten, wo sich an 200,000 Z. befinden, haben sie eine zweite Heimath gefunden; in den Donaufürstenthümern gehörten dieselben früher zu 1/6 der Krone, zu 5/6 den Bojaren u. Klöstern als Leibeigene an; nachdem schon 1850 in der Walachei ein Gesetz erlassen war, wodurch verboten wurde Familien beim Verkauf zu trennen u. mehr als drei Familien auf einmal zu verkaufen, wurde 1856 die Leibeigenschaft der Z. dort gesetzlich aufgehoben; sie wurden frei u. der Steuerzahlung unterworfen, die Eigner erhielten Entschädigung dafür aus einem durch die Steuerbeiträge der Z. gebildeten [621] Fonds. Die bereits ansässigen sollten an ihren Orten ferner verbleiben, die wandernden aber in Städten od. Dörfern ansässig gemacht werden, wo sie es wünschten, dort aber sich dann feste Wohnungen anlegen. Auch in u. bei Constantinopel gibt es viel Z., welche theils Muhammedaner, theils griechische Katholiken sind, aber wegen ihrer Religionslosigkeit von keiner von beiden Religionsparteien anerkannt u. auch von der Pforte nicht als Religionsgesellschaft, sondern als eine Zunft angesehen werden; ihr Vorsteher (Kiaja) heißt dort Londscha Baschi. Nach ihrer Beschäftigung sind sie: Demirdschiler, nomadisirende Muhammedaner, betreiben das Schmiedehandwerk u. kommen nur selten nach Constantinopel, wenn es geschieht, so campiren sie unter schwarzen Filzzelten außerhalb Pera bei dem Cavillerplatz; Kjömürdschiler, Kohlenhändler, sind Griechen u. wohnen in einem Dorf nordwestlich von Constantinopel; Sipürgedschiler, Besenhändler, u. Elekdschiler, Siebhändler, sind beide Muhammedaner u. bewohnen eigene Quartiere in Constantinopel; die übrigen unzünftigen Z. nähren sich als Bären- u. Affenführer, Musikanten, Wahrsagerinnen, Lustdirnen u. Diebe. Ihre Kleidung ist die der Rumeliotischen Bauern u. sie unterscheiden sich blos durch ein buntes Tuch, welches sie um den Turban gewickelt tragen; die Weiber gehen unverschleiert. In Rußland, wo man ihre Zahl auf 90,000 schätzte, leben sie fast in allen Theilen des Reiches, selbst bis hinauf in die nördlichen. Schon im Jahr 1809 erschien eine Zigeunerordnung für deren bürgerliche Reform, aber seit 1840 bemühete sich die Regierung ernstlich ihnen bleibende Wohnungen in Städten u. Dörfern anzuweisen u. sie für bürgerliche Gewerbe zu gewinnen. Bis 1847 waren etwa 12,000 Individuen in Kronlandgemeinden untergebracht. Auch in Polen gestattete die russische Regierung den Z-n den Aufenthalt, wenn sie sich einen Erlaubnißschein lösten u. den Anforderungen der Kirche Genüge leisteten. Letzteres thun sie, indem sie sich taufen lassen, übrigens leben sie hier in größter Unordnung, u. durch die Vereinigung mit allen liederlichen Gesindel, wie in Norwegen, entstanden die sogenannten polnischen Z., d.h. vagabundirende Polen, welche sich blos für Z. ausgeben, um ihr unordentliches u. verbrecherisches Leben minder belästigt von der Polizei treiben zu können. In Großbritannien schlägt man ihre Zahl (gewiß zu hoch) auf 18,000 an; ihr Hauptquartier ist in England zu New-Forest, in Schottland in einer wildromantischen Gegend des Cheviotgebirges bei dem Dorfe Kirk-Yetholm, von wo aus sie dann im Sommer das ganze Land durchstreifen. In Kirk-Yetholm starb im October 1847 ihr König Will Faa im 96. Lebensjahre; sein Nachfolger hieß Blyth. Die Z. Großbritanniens gelten unter allen für die gebildetsten ihres Stammes, indeß die zu ihrer thatsächlichen Civilisirung u. Christianisirung gebildeten Vereine u. angelegten Schulen u. Missionsanstalten, z.B. der 1827 in Southampton gebildete Verein, sind ohne namhaften Erfolg geblieben. In Frankreich sind die Z. fast ganz verschwunden od. wie anderwärts mit den Gaunern verschmolzen, so namentlich die Romanitschels, an ihrer dunkeln Hautfarbe als Z. kenntlich, auch die Schwarze Bande genannt u. als Sorgneurs, weil sie ihre Verbrechen bei Nacht begehen, bekannt. Diese streichen immer im Lande umher, lassen ihre Kinder da, wo sie geboren werden, unter Bezahlung des Ziehgeldes auf einige Zeit, erziehen u. fordern dieselben später, wenn sie nach ihrer Weise gediehen sind, d.h. Talent zur Gaunerei beweisen, zurück od. entführen sie. In Spanien zogen die Z. auch bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrh. ein u. haben sich hier in der Zahl von etwa 40,000, bes. in Granada u. Sevilla, erhalten, während Castilien von ihnen möglichst gemieden wird u. Galicien u. die Baskischen Provinzen ganz frei von ihnen sind. Sie wohnen meist in Städten u. Dörfern u. haben die Landestracht der Maulthiertreiber u. die üppigen spanischen Tanzweisen angenommen; außer den gewöhnlichen Zigeunerbeschäftigungen treiben in Spanien die Männer Handel mit Pferden u. Maulthieren, die Weiber die Kuppelei. Sonst waren sie auch als Räuber gefürchtet u. traten als Banden noch in dem Bürgerkriege zwischen den Christinos u. Karlisten auf. 1846 ging die Rede, daß sie aus Spanien nach Afrika auswandern u. sich dort an Abd el Kader anschließen wollten, ein Entschluß, welchen auch Banden in Ungarn gefaßt hatten. Obgleich sie sich, wie allerwärts, so auch hier zur Landesreligion halten, so geschieht dies doch so äußerlich, daß sie fortwährend als Heiden betrachtet werden, unter denen missionirt wird; Borrow versuchte die spanischen Z. zu christianisiren, aber ebenfalls vergebens. Außer Europa gibt es noch viele Z. in Vorderasien, wo sie namentlich am Libanon u. in Palästina in Banden auf den Dörfern u. bei den Beduinen umherziehen u. bei den Festen Musik machen. Auch in Persien sind sie die Festtänzer nach dem Schalle ihrer Handtrommeln. Vgl. Grellmann, Historischer Versuch über die Z., 2. A. Gött. 1787; J. G. Hasse, Z. im Herodot, Königsb. 1803; A historical survey off the customs, habits and present state of the Gypsies, Lond. 1816; Tetzner, Geschichte der Z. Weim. 1835; Ethnographische u. geschichtliche Notizen über die Z., Königsb. 1842; Borrow, The Zingali, or an account of the Gipsies in Spain, Lond. 1841, 2 Bde., 3. A. 1843; Pott, Die Z. in Europa u. Asien, Halle 1844 f., 2 Bde.; Bataillard, De l'apparition et de la dispersion des Bohémiens en Europe, Paris 1844; Derselbe, Nouvelles recherches sur l'apparition etc., ebd. 1849; Sundt, Beretning om Fante-eller Landstrygerfolket i Norge, Christiania 1850; Reinbeck, Die Z., ihr Herkommen, Geschichte u. Lebensweise, Salzkotten 1861; R. Liebich, Die Z. in ihrem Wesen u. ihrer Sprache, Lpz. 1863.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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