Kriegsgebrauch

Kriegsgebrauch

Kriegsgebrauch. Der K. ist ein Theil des Völkerrechtes. Ungeachtet im Kriege alle Rechtsverhältnisse zwischen den kriegführenden Parteien aufgehoben sind, so ist man, weil kein gesitteter Zustand ohne alles Recht bestehen kann, von jeher über gewisse Punkt: übereingekommen, deren Übertretung durch die Convenienz gehemmt u. vorzüglich durch das Christenthum verboten wird. Diese Convenienz war im 16. u. 17. u. Anfang des 18. Jahrh. systematisch ausgebildet n. damals am sorgfältigsten geachtet. Jeder spätere Krieg bewirkte aber Umgestaltungen, am meisten die Kriege der Französischen Revolution u. der französischen Kaiserzeit, sowie der Seekrieg mit den Briten, u. es ist schwer zu bestimmen, was jetzt für K. gilt, doch hat die allgemeine Civilisation ihr Recht auf denselben geltend gemacht, u. es gilt in der Regel als Gesetz, daß alle Grausamkeiten, Zerstörungen etc., welche den Zweck des Krieges nicht fördern u. demzufolge unnütz erscheinen, unterlassen bleiben. Freilich kann in jedem Falle das, was förderlich od. unnütz für den Krieg erscheine, einer verschiedenen Deutung unterliegen. Gegen Ende des vorigen Jahrh. gelten etwa folgende Punkte: a) Das Recht, Krieg zu führen, ist ein Zubehör der Souveränetät; jeder Unterthan, welcher sich desselben aber eigenmächtig für sich anmaßt, wird als strafbar betrachtet. Doch gibt zuweilen der Souverän Unterthanen od. häufiger Korporationen (wie z.B. Großbritannien der Ostindischen Kompagnie) das Recht, bedingt Krieg zu erklären. b) Als angreifend wird der gehalten, welcher die Kriegserklärung erläßt u. die Feindseligkeiten eröffnet; doch ist die Frage, wer angreifend, wer vertheidigend sei, fast immer zweifelhaft. c) Jede Macht beruft ihre Unterthanen aus den feindlichen Civil- u. Militärdiensten nach der [816] Kriegserklärung bei Strafe der Vermögensconfiscation od. der Infamie, od. selbst bei Todesstrafe zurück, eben so untersagt sie den diesseitigen Unterthanen mit dem Feinde Handelsverbindungen zu unterhalten od. wenigstens ihm Gegenstande des Krieges od. des gewöhnlichen Bedarfs zuzuführen, od. feindliche Producte u. Manufacturwaaren in das diesseitige Gebiet einzuführen; auch die Assecuranz für Feindesrechnung ist verboten. Oft wird jedoch hierin Manches nachgesehen u. die Correspondenz mit dem feindlichen Gebiet nicht ganz unterbrochen od. doch die Aus- u. Einfuhr gewisser Gegenstände stillschweigend geduldet. d) Sonst stand der Grundsatz fest, daß nur Soldaten wirklicher Kriegsheere u. auf Befehl des Fürsten von Privatpersonen errichteter Freicorps, in Seekriegen aber nur Kriegsschiffen u. mit Markbriefen des Staates versehenen Capern Feindseligkeiten auszuüben erlaubt sei; Nationalmilizen dagegen war es nur innerhalb der Grenzen ihres Vaterlandes gestattet, zu kämpfen. In neuerer Zeit haben indessen die mit großen Massen geführten Invasionskriege u. die dadurch gebotenen Wehranstalten durch Landwehr, Landsturm, Guerillas, Insurrectionen es ehrenvoll gemacht, daß das Volk aufsteht, um den Angriff Fremder abzuwehren. e) Sonst war es Convenienz, daß, um Unordnungen auf dem Platten Lande zu vermeiden, nur Abtheilungen von einer gewissen Stärke zum Kriege ausziehen sollten, u. man behandelte Feinde, welche unter dieser Stärke betroffen wurden u. nicht erweisen konnten, daß sie durch Verlust auf dieselbe herabgeschmolzen waren, als Marodeurs; diese Convenienz ist aber, als mit dem Wesen des Krieges unvereinbar, längst abgekommen. f) Der Krieg erlaubt zwar alle Mittel gegen den Feind, da indessen bei gesitteten Völkern nur Gleiches mit Gleichem vergolten, nicht die Gräuel des Krieges aber gesteigert werden sollen, so beruht das Recht, den Feind zu tödten od. zu verwunden, allein auf der Gewalt, die er uns entgegensetzt. Daher sollen Kinder, Weiber, Greise u. überhaupt Alle, welche nicht die Waffen ergriffen haben, nicht getödtet, verwundet od. gemißhandelt werden, u. eben so wenig die sogenannten Nichtcombattanten der Armeen. Indessen nimmt man diese doch jetzt gefangen. g) Offiziere u. Soldaten wurden von jeher, so lange sie Waffen führten auch mit allen rechtmäßigen Waffen bekämpft; sobald sie aber die Waffen niederlegten, galten sie für Kriegsgefangene. Über den K. bei deren Behandlung s.u. Kriegsgefangene. h) Den Feind mit Gift u. Dolch, u. überhaupt meuchlings zu tödten, ist unerlaubt; allein die Insurrectionskriege neuerer u. früherer Zeit achteten dies Gebot nicht. Das Verbot mehrer Arten von Waffen beruht mehr auf Soldatensagen, als auf der Wirklichkeit, so z.B. das Verbot, haarscharf geschliffene Klingen zu führen, das Verbot der Kettenkugeln etc. sind nicht vorhanden. i) Bestechungen feindlicher Befehlshaber, Absendung von Spionen sind erlaubt, u. dagegen kann sich der Gegner auf jede Art sichern, dir Spione pflegt man aufzuhängen od. zu erschießen etc. k) Über Täuschungen u. Berückungen des Feindes s. Kriegslisten. l) Für Bestattung der Todten u. Unterbringung der Verwundeten, welche nach ihrer Heilung als Kriegsgefangene betrachtet werden, sorgt der Theil, welcher das Feld behauptet. m) Waffenstillstand wird z.B. geschlossen, um Unterhandlungen anzuknüpfen: jeder Theil soll solchen Waffenstillstand wie Verträge im Frieden halten. Gleiches gilt von Cartellen, welche über irgend einen Gegenstand, z.B. über Auswechselung der Gefangenen, geschlossen werden. n) Über das Benehmen der Besatzungen von Festungen, das Capituliren derselben etc. s. Festungskrieg. o) Um mitten im Kriege Unterhandlungen anzuknüpfen, hat man gewisse Zeichen als Merkmale angenommen, daß man die Einstellung der Feindseligkeiten wünsche. Im Felde sendet man einen Trompeter od. Tambour (statt des sonst gewöhnlichen Herolds) ab, welcher, wenn ihn der Feind auch nicht annimmt, doch unverletzlich ist. Ein Trompeter begleitet auch die Parlementärs; in Ermangelung eines Trompeters geben sie sich durch Wehen mit einem weißen Tuche zu erkennen. p) Der feindliche Souverän u. dessen Familie kann zwar dem strengen Rechte nach keine Schonung mehr als Andere begehren, indessen ist es doch in civilisirten Heeren gewöhnlich, daß man dahin, wo man weiß, daß sich der feindliche Regent od. dessen Prinzen befinden, die Kanonen nicht richten läßt, daß man ferner ihn od. dessen Familie, wenn er in Gefangenschaft geräth, nicht als eigentliche Kriegsgefangene behandelt u. überhaupt die Last des Krieges auf die Person des feindlichen Souveräns so wenig als möglich einwirken, so z.B. die Nahrungsmittel, die für dessen Tafel bestimmt sind, frei passiren läßt. q) Mit dem Beginnen des Krieges sind eigentlich alle feindlichen Unterthanen als feindlich zu achten, jetzt betrachtet man aber meist die feindlichen Unterthanen als geschützt u. erlaubt ihnen ohne Weiteres den ferneren Aufenthalt in dem eroberten Lande. (Diesen Grundsatz nicht achtend, betrachtete Napoleon nach dem Wiederausbruch des Krieges 1803 mit England die innerhalb des französischen Gebietes befindlichen Briten als Kriegsgefangene). Ebenso schützt man das Besitzthum der Fremden u. zieht auch das Eigenthum der noch im feindlichen Gebiete Wohnenden, z.B. die Außenstände derselben bei dies seitigen Kaufleuten, nicht ein, indem dies dem Landescredit zu sehr schaden würde. Das feindliche Privateigenthum, welches zu Lande in der Gewalt des Feindes ist od. kommt, pflegt, obschon dasselbe nach dem strengen Völkerrechte ebenfalls dem Feinde verfallen ist, gesichert zu bleiben; doch tritt oft eine andere Disposition durch Verhältnisse ein, vgl. Beute, Plünderung, Brandschatzung, Contribution, ja selbst das Eigenthum der einen kriegführenden Partei wird von den Soldaten dieser Macht bei besonderen Umständen nicht geachtet, sondern Felder niedergetreten, Wälder u. Plantagen zur Feuerung zerstört, Dörfer u. Städte, wenn es der Kriegszweck verlangt, wie bei Belagerungen niedergebrannt, ohne dem Besitzer Entschädigung zu gewähren, höchstens erhält er eine verhältnißmäßig geringe. In der Eroberung unbeweglicher Güter erlischt das Eigenthumsrecht, sobald der frühere Besitzer wieder durch die Gewalt der Waffen od. nach dem Frieden in den Besitz des eroberten Gegenstandes kommt. Domänen u. andere Landgüter, welche daher der Feind verkauft hat, fallen ohne Entschädigung des Käufers an den ersten Besitzer zurück, wenn es nicht ausdrückliche Verträge anders bestimmen. Anders ist es aber mit dem feindlichen Privateigenthum zur See, welches sich im Augenblick des Ausbruches des Krieges in feindlichen Häfen befindet, od. während des Krieges von feindlichen Capern od. Kriegsschiffen genommen wird,[817] u. das man als Beute betrachtet. Auch die Matrosen u. Passagiere solcher Kauffahrer werden zuweilen als Kriegsgefangene behandelt. Zu Ende des 18. Jahrh. machte man zwar eine Zeit lang den Grundsatz geltend u. bestätigte ihn auch noch durch besondere Verträge, daß Schiffe u. Güter, welche sich beim Ausbruch des Krieges in diesseitigen Häfen befänden, u. solche, die aus Häfen kämen, wo zur Zeit ihrer Absegelung die Kriegserklärung noch nicht bekannt gewesen wäre, von dem Embargo frei wären u. einer bestimmten Frist zum Absegeln genössen; allein dieser Grundsatz wurde, wenn es zum Kriege kam, nur selten gehalten. Die Engländer haben dies noch weiter ausgedehnt, indem sie den Grundsatz: frei Schiff, frei Gut, welcher früher allgemeine Kriegsregel war, in neuerer Zeit als solche anzuerkennen sich weigerten, u. durch Durchsuchung neutraler Kauffahrteischiffe u. ihrer Schiffspapiere die Ladung, die sie in fremden Häfen eingenommen hatten, erkennen u. confisciren zu dürfen, prätendirten. Bei Schiffen u. überhaupt bei beweglicher Beute gilt übrigens noch der Grundsatz, daß, sobald ein Schiff über 24 Stunden in den Händen des Feindes gewesen ist u. dann wieder genommen wird, der ursprüngliche Besitzer keinen Anspruch auf dasselbe hat; wird es hingegen früher zurückerobert, so wird es ihm, nach Abzug der Eroberungskosten, eigentlich zurückgegeben. Hieraus folgt, daß, wenn Jemand gemachte Beute kauft, dieser Kauf gültig ist, selbst wenn das erkaufte Gut wieder in die Hände der Partei kommt, welcher sie abgenommen wurde, sobald 24 Stunden zwischen der Wegnahme der Beute u. dem gemachten Kauf verflossen sind. Indessen findet auch hierin nach den einzelnen Fällen Willkür Statt. In einer eroberten Provinz ist der Feind befugt, die Verfassung zu ändern, sich huldigen zu lassen u. alle Hoheitsrechte auszuüben, also Steuern zu erheben, Gesetze zu geben, zu werben, Münzen zu schlagen etc. Er straft die Übertretung seiner gegebenen Gesetze wie an den eigenen Unterthanen u. hebt zuweilen Geißeln aus, um sich der Treue der Provinz od. der Zahlung rückständiger Contributionen zu versichern. Vgl. Völkerrecht.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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