Milch

Milch

Milch (Lac), 1) die von den Brustdrüsen der weiblichen Säugethiere abgesonderte eigenthümliche Flüssigkeit, welche von der Natur zur Ernährung des Säuglings bestimmt ist. Sie ist undurchsichtig, weißlich, zuweilen bläulichweiß od. gelbl ichweiß, von schwach süßlichem Geschmack u. alkalischer Reaction, ihr specifisches Gewicht ist 1,018 bis 1,054. Unter dem Mikroskop erscheint die M. als eine klare Flüssigkeit, in welcher die sogen. Milchküchelchen (Milchkörperchen) suspendirt sind; diese Körperchen, deren Durchmesser (0, 0012 bis 0,0018 Linien beträgt, sind Fetttröpfchen, welche mit einer Hüllenmembran umgeben sind. Die Gegenwart dieser Membran, welche von Einigen bezweifelt wurde, läßt sich nur auf chemischem Wege darthun; wäre die M. nämlich eine einfache Emulsion, so müßten beim Schütteln mit Äther die Fetttröpfchen aufgelöst werden, dies geschieht aber erst, wenn man durch Zusatz von etwas Kali die Hüllenmembran zerstört hat. Die klare Flüssigkeit, in welcher die Milchkörperchen suspendirt sind, ist eine Auflösung von Käsestoff u. Milchzucker, sie enthält außerdem noch Albumin, Extractivstoffe u. Salze, von letzterem bes. Chlornatrium, Chlorkalium, phosphorsaure Alkalien, Kalk u. Magnesia, endlich noch Kali u. Natron, welche an den Käsestoff[255] gebunden sind. Im Durchschnitt enthält die M. 85 bis 90 Proc. Wasser. Wenn die M. einige Zeit in Ruhe stehen gelassen wird, so sammelt sich die größere Menge der Milchkörperchen an der Oberfläche u. bildet eine dicke, fettreiche, gelbliche Schicht, den sogen. Rahm, während die darunter befindliche fettarme Flüssigkeit (abgerahmte, abgelassene M.) bläulich erscheint. Ist die Temperaturnicht zu niedrig, so tritt spontane Milchsäurebildung ein, die M. reagirt sauer u. die freie Milchsäure vermehrt sich endlich soweit, daß der Käsestoff coagulirt (die M. gerinnt), während eine gelblich gefärbte, opalisirende Flüssigkeit von süßlichem Geschmack (Molken) zurückbleibt. Auf gleiche Weise gerinnt die M. auf Zusatz von Säuren, Alkohol, Metallsalzen etc., am kräftigsten aber wirkt in dieser Beziehung das Lab; 1 Theil davon ist im Stande 30,000 Theile M. zu gerinnen. Die chemische Wirkungsweise des Labs ist noch nicht genügend erklärt, doch erfolgt die Gerinnung sowohl in saurer, als auch in alkalischer M., wahrscheinlich wird auch hier, wie bei der spontanen Gerinnung, aus dem Milchzucker Milchsäure gebildet. Durch Zusatz von Alkalien gerinnt die M. nicht, geronnene M. wird im Gegentheil durch Alkalien wieder flüssig gemacht, weil diese das Casein wieder auflösen. Die M. enthält alle Substanzen, welche der hierische Organismus während des Kindesalters, in der Periode seines schnellsten Wachsthums, bedarf u. ist daher für das Kind ein universelles Nahrungsmittel, für den Erwachsenen dagegen nicht. Die Zusammensetzung der M. ist wesentlich verschieden nach dem Ursprung, nach der Periode der Lactation, nach der Art der Ernährung u. der übrigen Lebensweise. Frauenmilch ist gewöhnlich bläulicher u. süßer als Kuhmilch, reagirt alkalisch u. wird weniger schnell sauer als andere M., sie enthält 3 bis 4 Procent Caseïn, 4 bis 6 Proc. Milchzucker u. bildet im geronnenen Zustand eine mehr gallertartige, lockere Masse, ist daher für den kindlichen Magen verdaulicher als Kuhmilch. Kuhmilch ist meistens rein weiß, enthält 13 bis 14 Proc. feste Bestandtheile, darunter 8 bis 9 Proc. Caseïn, 3 bis 31/2 Proc. Butter u. weniger Milchzucker als die Frauenmilch. Eselsmilch ist der M. der Frauen am ähnlichsten, aber wässeriger als diese, enthält 1 bis 2 Proc. Käsestoff, 1 Proc. Butter, 6 bis 7 Proc. Milchzucker, wird leicht sauer. Pferdemilch enthält wenig Caseïn, 6 bis 7 Proc. Fett u. gegen 8 Proc. Milchzucker. Ziegenmilch hat einen faden, süßlichen Geschmack, eigenthümlichen Geruch, enthält 4 bis 6 Proc. Caseïn, 3 bis 4 Proc. Butter u. 4 bis 5 Proc. Milchzucker, sie gerinnt in dicken Klumpen. Schafmilch ist dicklich, weiß, von angenehmem Geschmack u. Geruch, enthält viel Käsestoff, 4 Proc. Butter u. 5 Proc. Milchzucker. Hundemilch ist ziemlich dick, noch mehr beim Erwärmen, enthält bes. nach Fleischkost viel Käsestoff. Schloßberger beobachtete einen Bock mit ausgebildetem Euter u. gleichzeitig ausgebildeten männlichen Geschlechtstheilen, seine M. war der Ziegenmilch ähnlich, enthielt aber 9,6 Käsestoff. Auch nach den Tageszeiten variirt die Zusammensetzung der M., der Gehalt an festen Stoffen beträgt in der Abendmilch fast 1/3 mehr als in der Morgenmilch u. zwar ist die erstere bes. reicher an Butter, der Gehalt an Käsestoff bleibt constant, Mittags ist die M. am reichsten an Zucker. Der Einfluß der Nahrung auf die Zusammensetzung der M. ist bes. von Boussingault an Kühen nachgewiesen worden. Über den Übergang von Arzneimitteln in die M. sind noch wenig Untersuchungen angestellt worden, sicher ist, daß genossenes Jodkalium in der Milch wieder nachzuweisen ist; noch ganz unerklärt sind die oft schädlichen Wirkungen der M. auf den Säugling bei heftigen Gemüthsbewegungen der Mutter, ebenso sind die Veränderungen der M. in Krankheiten noch wenig erforscht. Die M., welche unmittelbar nach der Geburt abgesondert wird, heißt Colostrum, sie ist eine trübe, seifenwasserähnliche gelbliche Flüssigkeit von schleimiger Consistenz, reagirt stark alkalisch, enthält mehr feste Bestandtheile, bes. mehr Butter u. Milchzucker, auch die mineralischen Bestandtheile sind vermehrt, woher wahrscheinlich die abführende Wirkung auf den Säug ling rührt. Die Butterkügelchen im Colostrum (Colostrumkörperchen, Corps granuleux) sind zu größeren unregelmäßigen Conglomeraten vereinigt, ein Kern u. eine Hüllenmembran ist an ihnen nicht nachzuweisen, sie sind schwerer als die Flüssigkeit u. sinken daher zu Boden; häufig ist das Colostrum reich an Eiweiß. Die Colostrumkörperchen verschwinden in der M. am dritten od. vierten Tage nach der Geburt, die Concentration der M. nimmt ab, steigt aber dann allmälig wieder u. erhält sich während der ganzen Lactationsperiode auf einer wenig veränderlichen Stufe. Die von den Uterusdrüsen der Wiederkäuer abgesonderte, zur Nahrung für den Fötus bestimmte Uterinmilch, ist dicklich, sauer, arm an Fett u. Zucker, enthält dagegen viel Käsestoff. Als Heilmittel wird die M. theils als Gegenmittel bei Vergiftungen, theils bei der Milchcur gegen mancherlei auszehrende Krankheiten, bes. Lungensucht etc. benutzt, sie dient auch äußerlich zu erweichenden Umschlägen, zu Bähungen etc. u. wird zu Bädern, theils für sich, theils mit Wasser vermischt, bes. bei Hautkrankheiten, verwendet. Auch Maler, Anstreicher u. andere Künstler u. Handwerker bedienen sich der M. als Zuthat, bes. als Bindemittel.

Die Gewinnung der M. von Kühen, Ziegen u. Schafen macht einen vorzüglichen Zweig der Landwirthschaft aus, theils wegen der Bereitung der Butter u. des Käses, theils weil die M. selbst häufig als Nahrungsmittel gebraucht wird, theils weil die Molken u. bes. auch die abgelassene M. ein sehr gutes Schweinefutter sind. Die Beschaffenheit der M. ist verschieden nach Race, Alter, Gesundheit, Zeit der Milchabsonderung, Futter etc. Gleich nach der Geburt ist die M. weit wässeriger als die spätere (frisch- u. altmelkend); die beste M. geben die Kühe vom 4._– 10. Jahre u. im Herbst; die zuerst gemolkene M. enthält gewöhnlich weniger Rahm als die zuletzt gemolkene; die Morgenmilch ist reichlicher, aber auch wässeriger als die Abendmilch, erstere enthält mehr Caseïn, letztere mehr Rahm; grünes Futter, besonders Klee od. Körnerfutter, bewirkt, daß die Kühe viele u. gute M. geben; durch starke Gerstestrohsütterung wird die M. bitter, durch starke Ölkuchenfütterung übelschmeckend, von Krapp roth, von Safran gelb, von indigohaltigen Pflanzen blau. Bei kühlem Wetter enthält die M. mehr Käsestoff, bei warmem Wetter mehr Fetttheile. Die M. wird durch das Melken (s.d.) gewonnen. Zur Aufbewahrung der M. wird verschiedenes Milchgeräthe (Milchgefäß) gebraucht. In die Milchgelte wird die M. gemolken, aus dieser in die größere hölzerne Milchkanne gegossen, welche[256] aber mit einem leinenen Tuche (Milchtuch, Seihetuch) zugebunden wird, damit Haare u. andere Unreinigkeiten, welche beim Melken in die M. gekommen sind, in dem Tuche zurückbleiben. Alsdann wird die M. in Milchäsche (Milchnäpfe, Milchsatten) gegossen, welche meist aus verzinntem Blech od. gebranntem Thon sind. Diese Asche setzt man in einem lustigen, hellen, geruchfreien, trocknen, hohen, nicht dumpfigen, nicht tief unter der Erde liegenden, mit Luftzügen versehenen, mit Stein gepflasterten Gewölbe (Milchgewölbe) auf den steinernen Fußboden u. auf die an den Wänden hinlaufenden Bänke. Milchschwimmen nennt man solche Aufbewahrungsorte, wo die Milchäsche auf laufendem Wasser schwimmen. Milchgewölbe u. sämmtliche Milchgeräthe müssen sehr reinlich gehalten werden, weil davon Haltbarkeit u. Wohlgeschmack der M. u. der daraus bereiteten Producte abhängt. Unterlassung dieser Reinlichkeit hat häufig Milchfehler im Gefolge, von denen es zwei Arten gibt; wirkliche fehlerhafte Beschaffenheit der M., u. Fehler der Umsetzung derselben; die letztern sind die häufigsten. Bei der ersten Art sondert die Kuh die M. schon fehlerhaft ab, blutige, geronnene M.; bei der zweiten Fehlergruppe kommt die M. tadellos aus dem Euter, verwandelt sich aber nach 24–48 Stunden in eine fehlerhafte Beschaffenheit um: blaue M., gelbe M., Langwerden der M. Unter den äußeren Verhältnissen, welche die Entwickelung der Milchfehler begünstigen, sind bes. schlechte Aufbewahrungsorte der M. mit Mangel an frischer Luft u. Ventilation; daher kommen auch die Milchfehler nur selten im Winter, sondern am häufigsten im Vorsommer u. Herbst vor, u. deshalb hat man an einem Tage viel fehlerhafte M., während dieselbe am andern Tage verschwunden ist, weil sich der Zustand der Witterung geändert hat. Das Wesen der Milchfehler, die sich blos durch eine Umsetzung der M. kundgeben, ist sehr verschieden. Bei dem Langwerden hat der Zucker eine Zersetzung erlitten, in Folge dessen schleimige Gährung eintritt. Bei der blauen M. dagegen ist der Käsestoff krank, u. bei der süß-bitter M. sind Fettstoffe u. Milchzucker afficirt. Die Prüfung der M. nach ihrem Fettgehalt geschieht durch den Milch- od. Rahmmesser (s. Galactometer). Durch denselben lassen sich zugleich die Milchverfälschungen durch Zusatz von Wasser, Mehl etc. nachweisen; noch sicherer erreicht man dieses durch die Dörffelsche Milchwage (s.d.). Die Verfälschung mit Mehl, welche am häufigsten vorkommt, erkennt man leicht an der dunkelblauen Färbung, welche eine verdünnte Jodlösung in solcher M. hervorbringt. Um das Überlaufen der M. beim Kochen unmöglich zumachen, erfand Leuthier in Leipzig den Milchhüter. Über den Milchtopf wird noch ein zweiter Behälter angebracht, in welchen die kochende M. beim Aufsteigen eindringt u. aus dem sie durch zweckmäßige Öffnungen im Boden des Behälters wieder in den Milchtopf zurückläuft. M., die man in der Hauswirthschaft zum Kochen, Backen etc. gebrauchen will, kann man vor dem Sauerwerden schützen, wenn man die frische M. bis zum Sieden erhitzt u. dieses einen Tag um den andern, im Sommer täglich, wiederholt. Um M. längere Zeit aufzubewahren, wird sie, sowie sie von der Kuh kommt, in einem töpfernen Gefäß erwärmt, etwas Zucker zugesetzt u. unter beständigem Umrühren auf 1/4 ihres Volumens eingekocht. Die eingedickte M. wird in luftdicht verschlossenen Gefäßen aufbewahrt. Die M. hält sich auch längere Zeit gut, wenn man sie in Glasflaschen luftdicht aufbewahrt. Um die M. zum Gebrauch für die Marine u. weite Seereisen brauchbar zu erhalten, verwandelt man sie nach de Cignac durch Eindampfen in eine feste Masse (Milchconserve, Milchkuchen). 2) (Pflanzenmilch) so v.w. Milchsäfte; 3) so v.w. Emulsion; 4) der milchweiße Saft bei noch unreifen Samenkörnern, bes. beim Getreide; wenn die Getreidekörner in diesem Zustande sind, sagt man: das Getreide milcht; 5) bei den männlichen Fischen ein dicklicher, weicher, weißlicher Körper, welcher die Hoden bei anderen Thieren vertritt; 6) die Brut, wenn sie als Made in einem weißen, dicklichen Safte liegen; 7) durch die M. ziehen, in Lämmer- u. Ziegenfelle, welche zu Handschuhen bestimmt sind, gepulverte weiße Stärke mit einer Bürste einreiben; 8) so v.w. Kalkmilch.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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