Neuenburg [2]

Neuenburg [2]

Neuenburg (Neufchâtel, Neuchâtel, spr. Nöschatell), seit 1815 der 21. Canton der Schweizerischen Eidgenossenschaft, grenzt nördlich u. östlich an den Canton Bern u. den Neuenburger See, südlich an den Canton Waadt u. westlich an das französische Departement du Doubs u. umfaßt 14,7 QM.; es liegt innerhalb dreier Ketten des Juragebirges, deren östliche, die des Chaumont mit den Spitzen Chaumont (3661 Fuß über dem Meere), Creux du Vent (4410 Fuß) u. der Großen Robeila (4461 Fuß), von dem Seyon u. der Reuse durchbrochen, sich längs des Sees hinzieht; die mittlere mit dem San Martel (4083 Fuß), Tête de Rang (4381 Fuß), la Tourne (3969 Fuß), les Grands Joux (3979 Fuß), Crêt de l'Ours (3937 Fuß), les Fontanelles (3833 Fuß), die Thäler von Chaux de Fonds bis Brévine, von La Sagne u. Val de Travers theilt u. sich bis zum Felsenringwalle von St. Sulpice hinzieht; die westliche endlich mit le Pouillerel (3928 Fuß), les Sagnottes (3698 Fuß) u. Mont du Cerf (4005 Fuß), welche theilweise Frankreich angehört u. die Grenzscheide bildet, im Canton bis zum Grand Taureau (4077 Fuß) sich erstreckt; die Gebirge, welche aus dem, an Versteinerungen reichen grauen Jurakalk bestehen, haben viele Höhlen, wie die Grottes aux Fées, chez le Brand, Tossière u.a.; mehre Pässe führen über jene drei Ketten, u. die bedeutendsten, von letzteren gebildeten Thäler, sämmtlich Längenthäler, sind: Val de Ruz, Val de Travers, la Sagne, Chaux de Fonds u. Locle, Brévine u. Verrières. Gewässer sind: der Neuenburger See (s.d.), welchen die schiffbare Zihl mit dem Bielersee verbindet, die Reuse, der Seyon u. viele kleine Bäche, Bieds genannt. Das Klima ist in den Landstrichen am See mild, in den Gebirgsgegenden rauh; im Sommer verdorren alle Gräser u. die Bäche versiegen, im Winter fällt das Thermometer in manchen Gegenden auf 32° R. Producte: Vieh, Bienen, wenig Wild, Fische (bes. Welse); Getreide (nicht hinreichend), Wein (am See, die besten bei Cortaillod, Neuenburg u. Faverge); Eisenerz, eisenhaltiger Mergel (zu Farben benutzt), goldführende Pyriten, Steinkohlen, viel Torf, Asphalt. Mineralquellen sind zu Locle, Brévine, bei Chatagne u. les Ponts. Der Canton zählt 76,000 Einwohner, welche die Französische Sprache reden u. sich mit Acker- u. Weinbau, mit Viehzucht u. bes. mit Uhren- u. Bijouterieindustrie beschäftigen; ausgefahren wird: Landwein, Champagner, Extrait d'Absinthe, die Producte von zwei Wollspinnereien, Baumwollenfabriken, von Hanf- u. Flachsgarnspinnereien, Spitzen, Tabak, Uhren u. Werkzeuge zur Verfertigung von Uhren: eingefahren werden: Getränke, Seiden-, Baumwollen- u. Wollenwaaren, Salz, Metallrohstoffe etc. Eisenbahnen führen von der Hauptstadt N. über Chaux de Fonds nach Locle, von N. über Landeron nach Neuveville (Biel etc.) von N. nach Yverdon (Genf, Lausanne) u. von N. nach der französischen Grenze zu, zum späteren Anschluß an Pontarlier. Das Schulwesen wird im Canton sehr gepflegt; in N. besteht eine Cantonsschule, in Chaux de Fonds u. Locle Colléges. Verfassung: die gesetzgebende Behörde ist der Große Rath, welcher von allen Bürgern, welche das 20. Jahr überschritten haben, u. von Schweizern anderer Tantone, welche seit 2 Jahren sich in N. aufhalten, u. zwar von je 500 Seelen ein Mitglied für je vier Jahre gewählt wird aus allen im Canton wohnhaften Schweizern, welche das 25. Lebensjahr erreicht haben; er gibt u. schafft Gesetze ab, bestimmt die Steuern, überwacht die Verwaltung des Staatsvermögens, berathet das Budget, entscheidet in Streitigkeiten zwischen den vollziehenden, verwaltenden u. richterlichen Behörden, hat das Recht der Begnadigung u. der Amnestie, ertheilt das Bürgerrecht, wählt die Mitglieder des Staatsraths u. die höheren militärischen Chargen. Der Staatsrath, aus sieben von dem Großen Rath auf je sechs Jahre zu wählenden Mitgliedern[810] besteheno, verwaltet die Staatsgeschäfte nach Departementen u. hat dem Großen Rathe jährlich Rechenschaft abzulegen, er theilt mit dem Großen Rath die Initiative, veröffentlicht die vom Großen Rath gemachten Beschlüsse, ernennt u. überwacht die unter ihm stehenden Behörden u. das Gerichtswesen, verfügt über die gesetzlich organisirten Truppenkörper u. führt die Aufsicht über die Geistlichkeit, den öffentlichen Unterricht u. die Verwaltung der Gemeindegüter. Das Gerichtswesen wird von Friedensgerichten, einem Gericht erster Instanz in jedem Bezirk u. einem Appellationsgericht verwaltet. Die Güter u. das Einkommender Kirche werden mit dem Vermögen des Staates, von dem die Kirchendiener besoldet werden, verschmolzen. Die Ausübung einer anderen als der Christlichen u. Jüdischen Religion ist nur innerhalb der Grenzen der öffentlichen Ordnung gestattet. Kein Beamter hat sein Amt auf Lebenszeit u. darf von fremden Staaten Ehrenzeichen, Pensionen, Titel etc. annehmen. Alle Bürger haben Zutritt zu den öffentlichen Stellen; alle Grundbesitzer u. Corporationen tragen zu den Staatslasten bei; die alten feudalen Lasten sollen abgeschafft werden. Die Verfassung kann vor Ablauf von 9 Jahren nicht revidirt werden; eine nach dieser Frist von dem Großen Rath od. wenigstens 3000 Bürgern verlangte Verfassungsrevision soll den Wahlversammlungen zur Entscheidung vorgelegt werden. Die Einkünfte betrugen 4852: 882,106 Fr., die Ausgaben 716,516 Fr. Der Canton schickt vier Mitglieder in den schweizerischen Nationalrath u. zwei in den Ständerath; er hat ein Geldcontingent von 55 Rappen pro Kopf zu tragen, also gegen 39,000 Fr. Das)Militär besteht aus 18 Compagnien Infanterie mit 2222 Mann, 300 Scharfschützen, 51 Dragoner, 350 M. Artillerie mit 16 M. Packtrain, 12 sechspfündigen Kanonen u. vier 24pfündigen Haubitzen; außerdem 1 Büchsenschmied, 6 M. Gesundheitsdienst u. 220 Trainpferde. Der Canton zerfällt in 6 Bezirke: Neuenburg, Boudry, Val de Travers, Val de Ruz, Locle, La Chaux de Fonds. Münzen, Maße u. Gewichte: N. rechnete früher nach Neufchateler Livres od. Franken zu 20 Sous à 12 Deniers od. zu 10 Batzen à 4 Kreuzer, im Werth von 11 Sgr. 0,511 Pf. pr. Crt. od. auch nach Schweizer Franken, seit 1850 aber wie die ganze übrige Schweiz nach dem französischen Münzfuße (s.u. Schweiz). Maße u. Gewichte sind gesetzlich die neuen Schweizer Maße u. Gewichte (s. ebd.), doch kommen im gewöhnlichen Verkehr noch häufig folgende vor: Längenmaße: der Pied du pays (Landfuß) à 12 Pouces (Zoll) à 12 Lignes (Linien) hat 130 Pariser Linien = 0,293 Meter, = 0,93438 preuß. Fuß; der Pied de champ (Feldfuß) = 127,292 Pariser Linien = 0,287 Meter = 0,91491 preuß. Fuß; die Toise commune (gemeine Klafter) hat 10 Landfuß, die Perche de champ (Feldruthe) hat 16 Feldfuß; die Aune (Stab od. Elle) hat 492,551 Par. Linien od. 45 Landzoll = 1,11 Meter = 0,646 Lyoner Stab = 1,36599 preuß. Ellen. Feldmaß: die Faux (Faulx, Juchart, Morgen) = 2,11643 preuß. Morgen; bei Weinbergen ist der Ouvrier à 16 Pieds gewöhnlich, der Pied ist die Quadratlandruthe zu 256 Quadratlandfuß, 1 Ouvrier = 24,8338 preuß. Quadratruthen. Hohlmaße: die Einheit der Pot od. die Maß = 96 Cubikzoll. od. 1,904292 Liter od. 1,66309 preuß. Quart. Getreidemaß: der Muid (Müdd) hat 3 Sac à 8 Emines à 24 Copets; der Muid à 192 Pots = 6,6524 preuß. Scheffel = 365,62 Litres; das Maß für den Hafer ist 1/24 größer. Flüssigkeitsmaße: die Bosse (das Stückle) hat 24 Brandes (Bürken) = 480 Pots (Maß) = 914,060 Liter. Handelsgewicht: der Quintal (Centner) zu 100 Livres (Pfund) 1 Livre = 510,1 Grammes. Gold- u. Silbergewicht ist das Pariser Markgewicht. 2) Bezirk u. 3) Hauptstadt darin, in einer reizenden Lage, am Einflusse des Seyon, welcherdurch einen 1842 vollendeten Kanal (Trou du Seyon) außerhalb der Stadt geleitet worden ist, in den Neuenburger See, von schönen Landhäusern u. herrlichen Weinbergen umgeben; Schloß (welches bis 1848 der Wohnsitz des preußischen Gouverneurs war, jetzt Sitz der Regierung), Stiftskirche, Rathhaus, 2 Hospitäler, von denen das eine von dem 1786 verstorbenen Lissaboner Kaufmann, David Pury (einem geborenen Neuenburger, welcher seiner Vaterstadt 4 Mill. Fr. vermachte u. dem am 6. Juli 1855 eine Bildsäule errichtet wurde), das andere von I. A. Pourtalès gestiftet ist, Arbeits- u. Zuchthaus, Waisenhaus, Collège mit Naturaliencabinet u. andere Lehr- u. Erziehungsanstalten, Wasserleitung, welche in trockenen Sommern die Stadt mit Wasser versorgt; Postdirection, Telegraphenhauptbureau, Ökonomische Gesellschaft, Weinbau, lebhafter Kunstfleiß, Handel mit Wein u. Landfabrikaten; Dampfschifffahrt auf dem Neuenburger See; Freimaurerlogen,: Frédéric Guillaume u. La bonne harmonie; 7730 Ew. Am 29. Sept. 1850 wurde hier für Petitpierre u. am 6. Juli 1855 für Dubois ein Denkmal errichtet. Die Stadt, bis zum 18. Jahrh. ein unbeträchtlicher Ort, hat sich zu einer der blühendsten Städte der Schweiz erhoben. Vgl. I. Bernouilli, Beschreibung von N., Berl. 1783; Essai statistique sur le Canton de N., Zür. 1818.

Neuenburg gehörte einst zu dem Reiche Arelat (Burgund) u. hatte eigene Grafen, welche auf dem im 9. Jahrh. von der burgundischen Königin Bertha erbauten Schlosse N. residirten. 1033 eroberte Kaiser Konrad II. die Stadt u. verleibte sie dem Deutschen Reiche ein; 1288 belehnte Kaiser Rudolf I. Johann von Chalons damit, von welchem sie der vorige Besitzer Rollin als Afterlehn erhielt. Ihm folgte 1342 Ludwig, welcher 1356 mit dem Hause Baden-Hochberg einen Erbvertrag schloß, u. diesem folgte 1372 seine älteste Tochter Isabella, Gräfin von Niddau; als diese ohne Erben starb, erhielt ihr Neffe Konrad, Sohn der Gräfin Verona von Freiburg, die Belehnung 1397 für den Mannsstamm, 1407 auch für die weibliche Descendenz. Als Johann, Sohn Konrads, 1457 starb, zog Ludwig v. Chalons, zugleich Prinz von Oranien, N. als erledigtes Lehn ein, wurde aber vom Markgrafen Rudolf von Hochberg, Veronas Urenkel, mit Hülfe der Berner, mit denen er 1406 einen Burgrechtsvertrag geschlossen hatte, aus dem Besitz verdrängt, u. das Haus Chalons-Oranien wurde verhindert, seine lehnsherrlichen Rechte über N. geltend zu machen. Unter Philipp, Rudolfs Sohn (1484–1503), wurde 1490 der 1356 zwischen den Häusern N. u. Baden-Hochberg gestiftete Erbvertrag erneuert. Philipps Tochter, Johanna, an Ludwig von Longueville vermählt, erbte 1504 N. von ihrem Vater. Die Schweizer, mit Frankreich im Kriege begriffen, besetzten 1512 N., dessen Fürst sich mit Frankreich verbündet hatte, gaben es aber später nach einem Vertrag mit Frankreich an Johanna zurück. 1530 wurde in N. die Reformation eingeführt. Auf Johanna[811] folgte 1543 Franz von Rethel bis 1551 u. diesem bis 1573 Leonhard von Orleans. Unter Heinrich I. wurde durch den Westfälischen Frieden die Unabhängigkeit N-s vom Deutschen Reiche u. die schon lange bestehende Verbindung mit der Eidgenossenschaft, als zugewandter Ort, anerkannt; 1584 war Valengin an N. gefallen. Heinrich II., welcher sich zuerst souveräner Fürst u. Graf von N. nannte, st. 1663, u. dessen ältester Sohn Johann Ludwig, Herzog von Longueville, Abt von Orleans, trat N. an seinen Bruder Karl von Paris, Graf von St. Paul, ab, erhielt es aber 1677, als dieser ohne Kinder starb, wieder u. ernannte Franz Ludwig, Prinzen von Bourbon-Conti, zum Erben; als er aber 1694 starb, setzte sich seine Schwester Marie, vermählte Herzogin von Nemours, in den Besitz des Landes, u. da die Landstände ihr huldigten, u. die verbündeten Cantone Bern, Freiburg, Solothurn u. Luzern sie gegen Ludwig XIV. schützten, so blieb sie Landesherrin bis an ihren Tod 1707.

Darauf machten 15 Prätendenten Ansprüche auf die Herrschaft: unter ihnen zunächst der Canton Uri, welcher bei Rückgabe N-s an die Gräfin Johanna nach 1512 allein dagegen protestirt u. das Eroberungsrecht auf N. noch nicht aufgehoben hatte; dann Graf Matignon, die Herzogin Sesdiguerre, der Herzog von Brisac u. Maria Margaretha von Villeroi, als Nachkommen Leonhards von Orleans; Baden-Baden u. der Prinz von Carignan-Savoyen, als Nachkommen von Leonhards Schwester Francisca; das Gesammthaus Baden, Württemberg-Mümpelgard u. die Herren von Fürstenberg wegen Erbverträgen; der Prinz Conti als Testamentserbe Johann Ludwigs; das Haus Soissons wegen Schenkung von Marie von Nemours; endlich Ludwig XIV., welcher N. für einen Theil der Baronie Arlay u. zur Franche Comté gehörig erklärte. Gegen alle diese Bewerber trat aber der König Friedrich I. von Preußen als ein Sohn Luisens von Oranien, der einzigen Erbin des Hauses Chalons, auf, welchem der Besitz von N. rechtmäßig zustand, u. welches nie aufgehört hatte, den Besitz den Inhabern streitig zu machen. Die Entscheidung dieses Erbschaftsstreites behielten sich die Landstände N-s vor u. ernannten aus ihrer Mitte ein Tribunal, u. dieses entschied 3. Nov. 1707 für den König von Preußen, welcher dem Fürstenthum die herkömmliche Gerechtsame verbriefte, darauf als souveräner Fürst von Oranien, N. u. Valengin die Huldigung empfing u. 1712 von Frankreich im Utrechter Frieden anerkannt wurde u. seitdem bis 1806 im Besitz blieb, wo es am 22. März Friedrich Wilhelm III. nebst Kleve gegen Hannover an Frankreich vertauschte, worauf es Napoleon 30. März dem Marschall Berthier als Fürsten von N. gab, welcher am 1.)8. Novbr. Besitz davon ergreifen ließ, aber persönlich nie dahin kam. N. behielt seine Einrichtungen, soweit sie den französischen nicht hinderlich waren, mußte aber 1 Bataillon zur kaiserlichen Armee stellen. Ende 1813 wurde es von den Verbündeten besetzt, kam durch Verzicht Berthiers 3. Juli wieder an Preußen u. erhielt von dem Könige nun eine Verfassung u. damit die Rechte eines selbständigen Staates. 1815 wurde Preußen in dem Besitz N-s von dem Wiener Congreß anerkannt, u. N. am 19. Mai 1815 als der 21. Canton in die Schweizer Eidgenossenschaft aufgenommen. In Folge der Bewegungen von 1830, die sich auch auf N. verbreiteten, trat eine Modification der Verfassung vom Juni 1831 in einigen Punkten ein. Diese Zugeständnisse beschwichtigten jedoch die demokratische Partei nicht, welche vielmehr Trennung von Preußen verlangte, u. am 13. Sept. 1831 nahmen einige hundert Insurgenten, unter Anführung Bourquin's de Courcelles, Stadt u. Schloß zu N. ein. Zu Valengin organisirte sich aber die aristokratische Partei, u. der Staatsrath erklärte, nicht in die Forderung der Demokraten willigen zu können, u. rief die Vermittlung der Eigenossenschaft an. Eidgenössische Commissäre erschienen am 15. Sept. in N. u. eidgenössische Truppen besetzten am 24. Sept. bis zu Austrag der Sache N. Der gesetzgebende Rath (die Landstände) trat nun den 9. Oct. zusammen u. verwarf die Trennung von Preußen. Der General v. Pfuel, vom König von Preußen als Bevollmächtigter gesendet, erschien nun u. setzte den 1. Nov. als Frist zur Einsendung der Unterwerfungsadressen, u. wirklich erfolgte diese Einsendung von den meisten Ortschaften. Aber zu Yverdun sammelte sich ein Ausschuß der Demokraten u. rief zu den Waffen; diese griffen am 17. Dec. 1831300 M. stark N. an, wurden aber von den Regierungstruppen zerstreut. Darauf wurden die Verhandlungen N-s mit der Eidgenossenschaft sehr lebhaft; 1832 hatte Luzern auf der Tagsatzung es zur Sprache gebracht, daß die Eigenschaft N-s als Schweizercanton mit der einer monarchischen Verfassung nicht vereinbar sei. Bald traten alle Cantone bis auf sieben dieser Ansicht bei. Am 24. März 1834 trug N. bei dem Vorort an, aus dem bisherigen Verhältniß als Canton zu scheiden u. der Schweiz nur in so fern anzugehören, als es an der der Schweiz völkerrechtlich garantirten Neutralität Antheil nähme. Als dies von der Tagsatzung verworfen wurde, verlangte der preußische Geschäftsträger bei der Tagsatzung am 30. Oct. die unumwundene Anerkennung N-s als Fürstenthum, u. als der Vorort von N. verlangte, daß es sich in seinen Beziehungen zur Eidgenossenschaft des Titels Fürstenthum enthalten solle, entspann sich hierüber u. über die Führung der preußischen Farben ein lebhafter Streit mit der Eidgenossenschaft, welcher so weit ging, daß 1833 N. sich weigerte, einen Gesandten zur Tagsatzung zu schicken; als letztere drohte, in diesem Falle N. mit 10,000 Mann besetzen zu lassen, gab N. nach u. schickte einen Gesandten. Bei den übrigen Wirren der Schweiz verfocht N. immer durch seinen Gesandten Charnier das conservative Princip. Auf der Tagsatzung von 1847 erklärte sich N. gegen die Bundesrevision, bes. unter Hinweisung auf die von den Großmächten übernommene Garantie des Bundesvertrags von 1815. Den Beschlüssen der Tagsatzung verweigerte N. seine Zustimmung, wie es sich auch Angesichts der beginnenden Verwickelungen für unparteiisch erklärte. Hiergegen forderte die Tagsatzung Erfüllung der Bundespflicht auch von N., u. als es dieselbe nicht erfüllte, entschied die Tagsatzung, daß N. deshalb 300,000 Schweizer Franken als Strafe zu zahlen habe, u. der Gesetzgebende Körper von N. beschloß am 14. Dec. auf Antrag des Staatsrathes, daß die geforderte Summe, wie die anderweit der eidgenössischen Kriegskasse schuldigen 216,000 Fr., bis zum 20. Dec. auszuzahlen seien.

Auf die Nachricht von der Proclamirung der Republik in Paris erhob sich am 29. Febr. 1848 sofort die Bevölkerung von Chaux de Fonds u. Locle gegen die Regierung, setzte die dortigen[812] Municipalitäten ab u. neue ein, während das die Bewegung leitende Comité von Chaux de Fonds aus am 22. März die Regierung zum Rücktritt nöthigte. Die abtretende Regierung übergab die Geschäfte einer provisorischen Regierung, deren Programm die Aufhebung des monarchischen Princips u. Erklärung des Cantons zur Republik war. Der Vorort, welcher noch am 1. März von einem Abgeordneten der abgetretenen Regierung von der Lage der Dinge unterrichtet u. um Absendung von eidgenössischen Commissären wie um bewaffnete Hülfe angegangen wurde, u. bei welchen der preußische Gesandte am 3. u. wiederholt am 11. März gegen jede Verletzung der Rechte seines Königs Verwahrung einlegte, sandte nun zwei Bevollmächtigte nach N., jedoch unter der ausdrücklichen Erklärung, daß dies nur in Rücksicht auf N-s Stellung zur Eidgenossenschaft, nicht aber bezüglich seines Verhältnisses zum König von Preußen geschehe, u. begann sofort die Umgestaltung der öffentlichen Verhältnisse. Der König von Preußen legte am 5. April von Neuem Protest gegen das Geschehene ein, entband aber die in N. gefangen gehaltenen Staatsräthe ihres Eides, damit ihrer Freilassung nichts weiter im Wege stehe, welche dann auch am 13. April erfolgte. Am 17. März erfolgte die Wahl eines Verfassungsrathes; am 5. April begann derselbe seine Sitzungen u. nahm am 25. den neuen Verfassungsentwurf an. Am 30. April wurde die neue Verfassung vom Volk mit geringer Majorität angenommen u. zugleich der bisherige Verfassungsrath als erster Großer Rath anerkannt. Die Tagsatzung von 1848 garantirte die Verfassung von N., nur der Gesandte von Schwyz erhob Bedenken wegen des dereinstigen Unterthanenverhältnisses N-s zum König von Preußen. Am 22. Januar 1849 fand ein neuer Aufstandsversuch zu Gunsten Preußens statt, wurde aber von der Bürgerwehr unterdrückt. Als 1850 von Seiten der neuen Regierung zur Veräußerung von fürstlichem Dominial- u. Kirchengut geschritten wurde, erklärte das preußische Cabinet unter dem 13. Juli dergleichen ohne königliche Bewilligung vorgenommene Veräußerungen für null u. nichtig. Bei den Wahlen zum Nationalrath im Jahre 1851, so wie bei der Erneuerung des Großen Rathes 1852 wählte N. in seiner Majorität radical, doch war noch immer eine, keineswegs geringe königlich gesinnte Partei im Lande. In Folge eines, am 24. Mai 1852 bei der Londoner Conferenz von den europäischen Großmächten unterzeichneten u. angenommenen Protokolls wurde nach den Verträgen von 1815 das Recht des Königs von Preußen auf N. u. auf Herstellung seiner Auctorität daselbst ausdrücklich anerkannt. Vorläufig sollte dies jedoch nur durch gütliche Mittel von Seiten Preußens geschehen. Darauf hielt die royalistische Partei am 6. Juni 1852 eine Versammlung zu Valangin, um dem Canton Gelegenheit zu geben, seine Sympathie für den König von Preußen zu offenbaren, doch wurde von den zugleich versammelten zahlreicheren Demokraten eine Gegendemonstration gemacht, u. die Rückkehr N-s in preußischen Besitz unterblieb.

Die Royalisten waren übrigens in zwei Parteien gespalten, die eine betheiligte sich an den Staatsgeschäften, die andere, die sogenannten Abstentionisten, hielten sich fern davon, u. von diesen ging nun unter Leitung des Grafen Pourtalès-Steiger der Versuch aus, die bestehende Regierung mit den Waffen zu stürzen u. die rechtmäßige Gewalt des Königs von Preußen als Fürsten von N. wieder zu thatsächlicher Geltung zu bringen. Am 3. Sept. früh um 3 Uhr zog Oberstlieutenant Meuron mit etwa 300 Mann von La Sagne her nach N., besetzte das Schloß u. pflanzte die Fahne der Hohenzollern wieder auf, während eine andere Schar sich des Ortes Locle bemächtigte u. dann gegen Chaux de Fonds aufbrach. Pourtalès-Steiger zog mit Hülfe heran. Abends langten bereits aus Bern zwei Abgeordnete der Bundesregierung in N. an u. forderten die Führer der Erhebung zur Räumung des Schlosses auf. Diese erklärten sich auch dazu bereit. Während der Zeit hatten die Demokraten Locle wiedergenommen u. das Schloß in N. eingeschlossen, drangen am 4. Sept. früh durch die offnen Thore hinein u. nahmen die Besatzung gefangen. Bald langten noch eidgenössische Truppen an, welche den Canton besetzten. Der Proceß der Gefangenen wurde vor ein Bundesgericht gebracht u. die. Untersuchung eingeleitet. Die Gesandten sämmtlicher Großmächte forderten die Bundesregierung mehre Male vergeblich zur Anerkennung der Rechte des Fürsten von N. u. zur Freilassung der Gefangenen auf, mit dem Versprechen, auf dieser. Grundlage Verhandlungen mit der Bundesregierung zu einer Ausgleichung über die künftige Stellung N-s zu eröffnen. Auch der Deutsche Bund trat am 6. Nov. dem Londoner Protokoll vom 24. Mai 1852 bei u. ließ in seinem Namen durch den bairischen u. badischen Gesandten die Freilassung der Gefangenen beantragen; aber die Bundesregierung stellte höchstens eine Amnestie in Aussicht, wenn gleichzeitig von Seiten Preußens die vollständige Unabhängigkeit N-s anerkannt würde. Bei der Eröffnung der preußischen Kammern am 29. Nov. wies der König in der Thronrede auf die Mäßigung hin, womit er Jahre lang diese Sache im Interesse des allgemeinen Friedens behandelt hätte; fügte aber hinzu, daß er nicht zugeben könne, daß seine Langmuth in eine Waffe gegen sein Recht selbst umgewandelt werde. In einer Note vom 8. Dec. erklärte hierauf die preußische Regierung, daß, nachdem alle Schritte, um auf gütlichem Wege eine Ausgleichung zu bewirken, erfolglos geblieben, Preußen nunmehr frei sei von den Verpflichtungen, die es durch das Londoner Protokoll vom 24. Mai 1852 übernommen habe, u. mit eigener Macht sein Recht auf N. geltend machen werde, indeß weiterer Vermittelung nicht abgeneigt sei. Zugleich wurden Vorbereitungen zu einem kriegerischen Vorgehen getroffen. In weiterem Verfolg der von den Bundesbehörden gefaßten Beschlüsse wurden 66 Neuenburger Royalisten in Anklagestand versetzt, die diplomatische Verbindung mit Preußen abgebrochen, eine ansehnliche Truppenmacht an der nördlichen Grenze aufgestellt, General Dufour zum Oberbefehlshaber ernannt, verschiedene Punkte am Bodensee, bei Eglisau u. Basel befestigt u. der Bundesrath ermächtigt, Anleihen nach eigenem Ermessen aufzunehmen. Indessen gab auf dringendes Anrathen Frankreichs u. der übrigen Großmächte doch der Bundesrath nach u. verstand sich zur Niederschlagung des Processes u. der Freigebung der 66 Angeklagten unter der Bedingung, daß dieselben, bis zum schließlichen Austrag der Sache auf einer demnächst in Paris zusammenkommenden Conferenz, die Schweiz verlassen sollten. Die außerordentlich einberufene Bundesversammlung genehmigte am 15.[813] u. 16. Jan, 1857 diese Maßregel, worauf die Truppen in ihre Heimath entlassen wurden. Die Verhandlungen der betreffenden, am 5. März zu Paris zusammentretenden Conferenz der Bevollmächtigten Frankreichs, Englands, Österreichs, Rußlands, Preußens u. der Schweiz führten um so eher zu einer Vereinbarung, als N. niemals ein nutzbringendes Besitzthum für das preußische Königshaus gewesen war, u. dem König von Preußen nur an einer völkerrechtlichen Anerkennung des von Seiten der Schweiz begangenen Rechtsbruches lag. Es wurde daher in Form eines Vertrags vom 26. Mai 1857 zwischen den genannten Mächten festgesetzt, daß das preußische Königshaus auf die Souveränetätsrechte verzichte, welche ihm nach dem Wiener Vertrag auf N. zustehe; daß N. fortfahre einen Canton der Schweiz zu bilden; daß die Schweiz alle Kosten übernehme, welche die Ereignisse vom September 1856 verursacht haben; daß eine vollständige Amnestie aller Neuenburger, Schweizer od. Fremden ertheilt werde; daß die Schweiz dem Könige von Preußen eine Summe von 1 Mill. Fr. bezahle, endlich daß die Einkünfte der im Jahre 1848 mit dem Staate verschmolzenen Kirchengüter u. die Capitalien u. Einkünfte der frommen Stiftungen u. gemeinnützigen Privatanstalten nie ihrem Zweck entfremdet werden dürften. Nachdem am 29. April der Bundesrath diesen Vertrag angenommen hatte, verzichtete der König von Preußen auch noch auf die vertragsmäßige Summe von 1 Mill. Fr., welche als Ersatz für die seit 1848 nicht mehr ausgezahlte Civilliste des Fürsten von N. angesehen werden sollte, da dieselbe ohnedies stets für N. verausgabt worden war, worauf die Urkunde am 16. Juni von sämmtlichen Vertragsmächten ratificirt wurde. Die von dem Verfassungsrath vorgeschlagene Modification der Verfassung wurde, nach wiederholter Verwerfung am 25. Fuli u. 8. Aug. 1858, endlich am 21. Nov. 1858 durch Stimmenmehrheit angenommen, u. der Verfassungsrath erklärte am 27. Nov. die Verfassung als angenommen u. erließ das Wahlgesetz, nach welchem das zurückgelegte 20. u. nicht das 19. Altersjahr den Cantonsbürger, u. ein zweijähriger, nicht ein einjähriger Aufenthalt im Canton die niedergelassenen Schweizer aus andern Cantonen wahlfähig macht. Mit diesen Abänderungen erlitt die radicale Regierungspartei eine empfindliche Niederlage. Vgl. Die Neuenburger Frage od. der König von Preußen u. die Eidgenössische Tagsatzung, Grimma 1848; Schulze, Die staatsrechtliche Stellung des Fürstenthums N., Jena 1854; Ders., N., eine staatsrechtliche Skizze, 3. A., Berl. 1857; Ghillany, Das Verhältniß N-s zur Krone Preußen, München 1856; Die Neuenburger Frage, Basel u. Zürich 1857; Le prince et le peuple de Neuchâtel, Paris 1857; A. de Gasparin, La question de Neuchâtel, ebd. 1857; Majer, Die Geschichte des Fürstenthums N., Tübingen 1857; Geschichte des Neuenburger Royalistenaufstandes, Zür. 1857.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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